Lindner statt Habeck: Grüne reagieren mit FDP-Häme - und könnten dennoch die Kabinetts-Verlierer sein
Christian Lindner ist Finanzminister. Ein Sieg für die FDP? Die Grünen sehen es hinter vorgehaltener Hand anders. Doch der Partei drohen Probleme im Scholz-Kabinett. Eine Analyse.
- Die Ampel-Koalition steht - samt Vertragswerk und Ressortverteilung.
- Das begehrte Amt des Finanzministers geht an die FDP. Grüne sehen darin hinter vorgehaltener Hand aber keine Niederlage.
- Doch die Machtverteilung in Scholz‘ Ampel ist komplex. Auch für die Grünen wartet eine Fußangel im Kabinett.
Berlin - „Die Ampel steht“. Das ist - verkündet in genau diesen Worten von Olaf Scholz - seit Mittwochnachmittag offiziell. Hauptresultat sind 177 Seiten Koalitionsvertrag mit einigem Raum für Interpretationen. Und mit ihnen eine Ressortverteilung auf die drei Ampel-Partner SPD, Grüne und FDP.
Die bietet ebenfalls Raum für Interpretationen. Einerseits mit Blick auf die Frage, wer sich im Ringen um die wichtigsten Schalthebel durchgesetzt hat. Andererseits für die noch recht hypothetische Überlegung, wo es im Ampel-Gebälk knirschen könnte. Dabei spricht einiges dafür, dass es ein fast schon kurioses Machtgleichgewicht gibt - das andererseits einige Risiken birgt. Wie das eben so ist, bei „Machtteilung“. Ablesen lässt sich das am Resultat für die Grünen: Die haben ihren plakativsten Positions-Kampf verloren, finden das gar nicht so schlimm - und könnten doch an einer anderen Postenbesetzung im Kabinett massiv leiden.
Grüne und FDP im Ampel-Kabinett: Doch kein Sieg für Lindner? Finanzministerium als „blockiertes Haus“
Es geht, natürlich, zunächst um das Finanzministerium. Schon vor dem Wahltag hatten die Parteichefs Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) Interesse angemeldet - und ließen in den Ampel-Verhandlungen nie öffentlich von ihrem Begehren. Auch intern wurde offenbar bis zuletzt gerungen. Letztlich hat Lindner das begehrte Amt davongetragen, nebst eines etwas eigentümlichen Zusatztitels.
Und die Grünen? Die nehmen‘s offenbar gelassen. In den Verhandlungen sei die Finanzpolitik das größte Problem gewesen, hörte die taz aus Grünen-Parteikreisen: „Die Linien unterscheiden sich fundamental.“ Die Quelle des linken Blattes wurde sogar noch deutlicher. Angesichts der Differenzen sei Lindners Finanz-Ressort ein „blockiertes Haus“. Also gewissermaßen wertlos. Ein Verdikt, auf das gleich noch zurückzukommen sein wird.
Grüne mit doppelbödiger Minister-Strategie? Insider gaben Plan preis - doch nun braucht Habeck die FDP
Ohnehin kursierte zuvor schon eine andere Erzählung: In den Ampel-Gesprächen sei es für die Grünen vor allem darum gegangen, das Finanzministerium „so teuer wie möglich zu verkaufen“, urteilte ein anonymer Verhandlungsteilnehmer unlängst bei Focus Online. Eigentliches Ziel sei gewesen, ein Super-Ministerium herauszuschlagen - eines mit „Veto-Macht“, wie ein Grünen-Teilnehmer der Gespräche dem Portal erklärte. Habeck wird nun wohl Minister für Wirtschaft und Klima. Und das Thema Klima soll sich durch alle Ressorts ziehen, wie die Ampel-Spitzen am Mittwoch erklärten.
Also alles nach Plan? Zumindest Plan B der Grünen scheint aufgegangen zu sein. Dafür brennt es anderer Stelle. Die Partei besetzt fast alle umwelt- und klimarelevanten Ministerien: Umwelt und Landwirtschaft sind dabei; auch das Außenministerium, das einiges mit internationalen Weichenstellungen zum Thema zu tun haben wird. Aber anders als lange spekuliert werden weder Cem Özdemir noch Anton Hofreiter Verkehrsminister - sondern der Lindner-Vertraute Volker Wissing. Eines der Hauptsteckenpferde der Grünen ist damit in FDP-Hand. Die nächste Niederlage auf diesem Feld, direkt nach dem Verzicht auf ein Tempolimit.

Ampel-Koalition: Klima-Engpass ausgerechnet bei Verkehr und Finanzen - sogar Scheuer spöttelt
Vielsagende Kommentare ließen nicht lange auf sich warten. Greenpeace-Chef Martin Kaiser etwa konnte im Koalitionsvertrag zwar zumindest den Weg zum Pariser Klimapfad „erahnen“, erkannte aber auch massive Probleme - just am Schnittpunkt von Verkehr und Finanzen. Instrumente wie die Dieselsteuerbefreiung oder die Pendlerpauschale müsse man jetzt deutlich reformieren, sagte er dem TV-Sender Phoenix. „Ohne diese Maßnahmen und nur mit Fördermitteln, die vielleicht auch irgendwann auslaufen, kann diese Koalition nicht darlegen, wie sie die Verkehrswende so gestalten will, dass wir auf dem Pariser Klimakurs bleiben.“
Heftig in den Ohren geklingelt haben mag den Grünen auch die Einschätzung des skandal- und kritikumwitterten Noch-Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU). „Schön, dass die Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt“, sagte er der dpa: Den Vertrag hätte er bei den Themen Verkehr und Digitales auch schreiben können. „Wir werden die Sprüche und Forderungen der letzten Jahre mit den zukünftigen Taten der neuen links-gelben Regierung vergleichen“, kündigte Scheuer an. Tatsächlich dürfte eine der größten Ängste der Regierungs-Grünen sein, mit ihren Klima-Bemühungen zu scheitern - sie werden den guten Willen der FDP brauchen. Vielleicht sogar über den Koalitionsvertrag hinaus.
Lindner machtlos? Erste Ampel-Machtdebatten laufen schon - doch ein Veto haben bald alle
Und damit zurück zu Lindners „blockiertem Haus“: Machtlos ist auch ein Finanzminister in einem engen Koalitionskorsett nicht. International gibt es einige Linien mitzugestalten - zumal, wenn im Koalitionsvertrag lyrische Sätze stehen wie: „Die EZB kann ihr Mandat, das vor allem dem Ziel der Preisstabilität verpflichtet ist, dann am besten ausüben, wenn die Haushaltspolitik in der EU und in den Mitgliedsstaaten ihrer Verantwortung nachkommt“. Nicht umsonst hatten sich nach der Wahl Nobelpreisträger in die Frage der deutschen Finanzministerei eingemischt - und war Lindner als möglicher starker Mann der Weltwirtschaft debattiert worden.
Unter dem Strich steht vermutlich, dass jeder der drei Ampel-Partner künftig Vetorecht hat: Die SPD das des Kanzlers, die FDP das des Finanzministers, die Grünen das des Klima-Superministers. Das kann tatsächlich in Blockade ausarten. Oder in ein schönes, konstruktives Miteinander. Wenn es so kommt, wie es Habeck selbst am Mittwoch in fast schon gefühligen Worten ausdrückte: „Manchmal gab es Momente, wo es gekippt ist, wo man den Hintergrund einer Argumentation verstanden hat. Und dann wurden neue Lösungen möglich“, berichtete er aus den Verhandlungen.
Gegensätze könnten überwunden werden durch eine „lernende Politik“ meinte der Grüne. „Das ist das Versprechen, das wir uns geben.“ Lindner zäumte das Pferd wenig später nochmal andersrum auf. Ein jeder Minister werde nicht für SPD, Grüne oder FDP agieren, sondern für das Land, sagte der Liberale. Und wer würde da schon so ein Ministerium blockieren wollen - oder eine neue Verkehrspolitik? Ob das eine rhetorische Frage bleibt - die Zeit wird es zeigen. (fn)