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Ampel-Pläne nur mit Tricks bezahlbar? Experte findet‘s „nicht seriös“ - Ausweg wohl auch wegen Corona

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Von: Marcus Giebel

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Habeck, Baerbock, Scholz und Lindner sprechen nach einem Sondierungsgespräch für eine mögliche Ampel-Koalition.
Habeck, Baerbock, Scholz und Lindner sprechen nach einem Sondierungsgespräch für eine mögliche Ampel-Koalition. © Kay Nietfeld/dpa

SPD, Grüne und FDP würden in einer Ampel-Koalition ordentlich investieren wollen. Ohne Steuern zu erhöhen oder die Schuldenbremse anzutasten. Da wird ein Experte stutzig.

München - Eines können sich die Verhandler der wohl ersten Ampel-Koalition im Bund bereits auf die Fahnen schreiben: Aus den Sondierungsgesprächen ist so gut wie nichts nach außen gedrungen. Die wenigen öffentlichen Statements schienen vorher allesamt abgesprochen zu sein. Durchstechereien? Fehlanzeige! Das eine oder andere hohe Tier von CDU und/oder CSU sollte bei der politischen Konkurrenz vielleicht demnächst in die Lehre gehen.

Denn auch wenn sicher gerungen und gestritten wurde, geschah dies eben hinter verschlossenen Türen. Niemand von SPD, Grünen oder FDP musste später in den Medien nachlesen, was er oder sie während einer der Sitzungen gesagt haben soll.

Finanzierungspläne der Ampel-Verhandler: Sondierungspapier wird öffentlich seziert

Umso intensiver wurde aber natürlich das Mitte des Monats veröffentlichte Sondierungspapier, auf dessen Basis die Koalitionsverhandlungen geführt werden sollen, öffentlich seziert. Schließlich war es die erste Gelegenheit, um einzusehen, was die drei Parteien da in wohl nicht immer trauter Runde erarbeitet hatten.

So mancher Experte schien schon beim ersten Blick seinen Augen nicht zu trauen. Marcel Fratzscher etwa. Der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), der sich auch schon zur quasi aufgeschobenen Rentenproblematik geäußert hatte, kritisierte im ZDF-„Morgenmagazin“ den Investitionsplan der Verhandlungspartner. Denn Rot, Grün und Gelb wolle zwar in den nächsten vier Jahren viel Geld in die Hand nehmen. Doch die Frage bleibt: Woher nehmen?

Finanzierungspläne der Ampel-Verhandler: Mehr Investitionen ohne Steuererhöhung und mit Schuldenbremse

Im Sondierungspapier heißt es: „Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen.“ Auch an der Schuldenbremse soll nicht gerüttelt werden. Das deutet sehr auf Zugeständnisse der Koalitionspartner in spe an die Liberalen hin.

Für Fratzscher klingt das nicht zu Ende gedacht: „Seriös ist das nicht, weil das ist gar nicht machbar.“ Der Ökonom moniert: „Dieser Spagat, sehr viel mehr Geld ausgeben zu wollen - 50, 60 Milliarden Euro mehr pro Jahr -, gleichzeitig keine Mehreinnahmen, also sprich keine zusätzlichen Steuern, und man will auch noch die Schuldenbremse einhalten, die man schon ohne die Mehrausgabe verfehlen würde - dieser Spagat ist gar nicht möglich.“

Marcel Fratzscher sitzt vor einer weißen Wand und hält beide Hände mit den Handflächen nach oben vor sich
Zweifelt an den Ampel-Plänen: DIW-Chef Marcel Fratzscher findet die Finanzierungsvorhaben nicht seriös. © Bernd von Jutrczenka/dpa

Finanzierungspläne der Ampel-Verhandler: Ökonom würde „kurzfristig mehr Schulden machen“

Er empfiehlt eine klare Prioritätensetzung. Zwar sei es löblich, nun Schulden abbauen zu wollen. Doch: „In der jetzigen Situation, wo so dringende Aufgaben anstehen wie Klimaschutz, Digitalisierung, ist es klug, kurzfristig mehr Schulden zu machen, damit man langfristig gute Arbeitsplätze in Deutschland sichern kann - und damit dann auch Schulden schneller wieder abbauen kann.“

Zwei Optionen sieht Fratzscher, wie das politische Trio weitere Schulden finanzieren könnte. Einerseits könnten bestimmte Ausgaben so ausgelagert werden, dass die Schuldenbremse nicht angetastet werden muss - hierbei handelt es sich laut dem Experten um „eine Mogelpackung - wir Ökonomen reden häufig von Schattenhaushalten“.

Andererseits könnte der Umstand genutzt werden, dass die Schuldenbremse aufgrund der Corona-Krise auch 2022 ausgesetzt ist. So würde sich anbieten, schon jetzt Geld für künftige Investitionen abzugreifen und die ab 2023 wieder geltenden Vorgaben somit einhalten zu können. Dieser Vorschlag hatte Juristen auf den Plan gerufen.

Video: Die Knackpunkte der Ampel-Koalitionsverhandlungen

Finanzierungspläne der Ampel-Verhandler: Hofreiter sieht öffentliche Hand in der Pflicht

Dennoch scheint Fratzscher durchaus ins Schwarze getroffen zu haben. Denn Anton Hofreiter als Mitglied des Grünen-Verhandlungsteams offenbarte in der ntv-Sendung „Frühstart“ einen Teil der Pläne. „Wir können uns durchaus vorstellen, dass die öffentliche Hand investiert“, betonte der Fraktionschef.

Der gebürtige Münchner brachte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), die Deutsche Bahn und die Autobahn GmbH ins Spiel. Allesamt Unternehmen, an denen der Bund eine Beteiligung besitzt, und deren Kreditaufnahmen nicht vollständig in die Staatsverschuldung eingerechnet werden. Angedacht sein könnten offenbar auch Gründungen weiterer Gesellschaften oder die Ausweitung der Aufgaben bestehender Gesellschaften.

Finanzierungspläne der Ampel-Verhandler: Kleine Stichelei gegen mutmaßlichen Kanzler Scholz

„Es wird dafür gesorgt, dass die Investitionen möglich sind“, beruhigte Hofreiter. Zugleich nutzte er die Gelegenheit zu einer Stichelei gegen den mutmaßlichen Kanzler Olaf Scholz: „Wenn man Steuervermeidung mal ernsthaft anpackt, kann man sehr viel Geld holen.“ Stichworte: Hamburg, Cum-Ex-Geschäfte, Warburg Bank.

Grünen-Chef Robert Habeck gab sich derweil in der ZDF-Talksendung „Markus Lanz“ etwas nebulöser. Zur Finanzierungsdebatte ließ er wissen: „Wir haben natürlich stundenlang darüber geredet, wie das unter Einhaltung der Schuldenbremse gelingen kann. Fairnessgründe sagen, dass ich das hier jetzt nicht aufblättern darf, aber es steht eine Reihe von Vorschlägen im Raum.“ Sicher sei: „Die öffentlichen und die private Investitionen werden deutlich steigen.“ (mg)

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