Update vom 17. August, 15.43 Uhr: Kanzlerin Angela Merkel hat die aktuelle Corona-Lage in Deutschland offenbar intern als „besorgniserregend, aber noch beherrschbar“ bezeichnet (siehe Erstmeldung). Öffentlich geäußert hat sich nun hingegen ihr Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU): Er hält offenbar sowohl Lockerungen als auch neuerliche Einschränkungen für denkbar - und hat die Deutschen darauf vorbereitet, dass eine Priorisierung zuungunsten von Freizeit-Aktivitäten nötig werden könnte.
Kitas, Schulen, Wirtschaft und Handel müssten angesichts der aktuellen Corona-Entwicklung Vorrang haben vor öffentlichen oder privaten Feiern, erklärte er am Montag in einem Video-Pressegespräch. Man müsse miteinander absprechen, was jetzt Priorität habe und wo man sich noch Zeit lassen könne mit weiteren Lockerungen oder wo man im Fall der Fälle zuerst ansetzen müsse.
Es gebe Dinge, auf die könne man mal verzichten, sagte er mit Blick auf Volksfeste. Bei Familienfeiern müsse man noch einmal schauen, ob man das jetzt in dieser Phase nur im engeren oder engsten Familien- und Freundeskreis mache. Es gehe vor allem um diese Bereiche, „wenn wir gesellig werden“, wo sich das Virus besonders schnell verbreite. „Es stecken sich im Moment besonders viele Jüngere an“, sagte der Minister. Das deute auf einen Zusammenhang mit Partys hin.
Die Menschen müssten weiter wachsam sein, es gebe aber auch keinen Grund für eine „Endzeitstimmung“. Mit der bisherigen Größenordnung könnten die Gesundheitsbehörden umgehen. „Besorgniserregend wäre, wenn es weiter steigt“, warnte Spahn.
Die CDU lehnte jedenfalls weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen derzeit ab. Generalsekretär Paul Ziemiak sagte nach einer Vorstandssitzung: „Wir waren uns einig, dass weitere Schritte zur Öffnung nicht angemessen sind.“ Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach forderte eine bundesweite Begrenzung privater Feiern auf 50 Teilnehmer. „Die zweite Infektionswelle ist bereits Realität in Deutschland“, sagte er der Rheinischen Post.
Erstmeldung: Berlin - Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die ansteigenden Zahlen von Corona-Infektionen in Deutschland als besorgniserregend, aber noch beherrschbar bezeichnet. Nach Informationen der dpa aus Teilnehmerkreisen der ersten virtuellen CDU-Präsidiumssitzung nach der Sommerpause sagte Merkel am Montag demnach weiter, es könne deswegen derzeit keine weiteren Lockerungen geben. Dies gelte auch für Fußballspiele.
Nach weiteren Informationen aus Parteikreisen laufen derzeit Gespräche über ein Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin* in der kommenden Woche, bei der über die Corona-Lage beraten werden soll. Die Entscheidung solle noch im Laufe des Tages bei Beratungen von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) mit den Chefs der Staatskanzleien fallen.
Wann das Treffen stattfinden könnte und ob es mit persönlicher Anwesenheit im Kanzleramt stattfindet, war zunächst nicht bekannt. Bei den Beratungen soll es demnach auch um die uneinheitlichen Regeln im Umgang mit der Pandemie gehen. Vor Wochen hatte sich Merkel aus der Koordinierungsarbeit mit den Ländern verabschiedet.
Nach dem bayerischen Test-Debakel waren aber Kritik und Rufe nach mehr Unterstützung auch von Merkels Seite laut geworden. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte bei derselben Sitzung, sie wolle die steigenden Corona-Infektionszahlen möglichst ohne tiefgreifende Maßnahmen in den Griff bekommen. „Es muss alles daran gesetzt werden, einen zweiten Lockdown zu verhindern“, sagte Kramp-Karrenbauer nach Angaben aus Parteikreisen. Priorität habe derzeit ein möglichst sicherer Betrieb von Schulen und Kitas. Auch die Wirtschaft müsse unterstützt werden, um eine höhere Arbeitslosigkeit zu vermeiden.
Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) warnte nach Angaben aus Teilnehmerkreisen im CDU-Präsidium vor Alarmismus im Zusammenhang mit den aktuellen Corona-Zahlen. In Deutschland gebe es nicht mehr eine Situation wie im März. Man müsse nun besonnen mit der Lage umgehen. Bouffier und auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hätten in den Beratungen deutlich gemacht, dass sie erwarteten, dass man noch lange mit der jetzigen Situation leben müsse.
Dazu passend hat Merkels Regierung auch Bereitschaft zur Verlängerung des Kurzarbeitergeldes gezeigt. Merkel stehe solchen Plänen „grundsätzlich positiv" gegenüber, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Einzelheiten müssten nun von den Koalitionsparteien besprochen werden. Das Kurzarbeitergeld habe maßgeblich dazu beigetragen, das Deutschland der weltweiten Krise verhältnismäßig gut standhalte. Seibert wandte sich in der Pressekonferenz auch mit einer Forderung an Weißrussland.
Vizekanzler, Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte zuvor der Bild am Sonntag gesagt, er wolle die Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld* auf 24 Monate verlängern. Die Corona-Krise* werde in den nächsten Wochen nicht plötzlich verschwinden: „Unternehmen und Beschäftigte brauchen von der Regierung das klare Signal: Wir gehen mit euch den gesamten Weg durch die Krise, damit niemand auf der Strecke ohne Not entlassen wird.“ Aktuell gibt es Sorge vor einer gefährlichen wirtschaftlichen Kettenreaktion.
Die Corona-Lage in Deutschland ist vergleichsweise angespannt. Innerhalb eines Tages hatten die Gesundheitsämter in Deutschland 561 neue Corona-Infektionen gemeldet. Dies ging aus Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom frühen Montagmorgen hervor. Am Freitag und Samstag hatte das RKI jeweils noch mehr als 1400 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet. An Sonntagen und Montagen liegen die Zahlen erfahrungsgemäß oft niedriger, weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter Daten an das RKI übermitteln.
Der Höhepunkt bei den täglich gemeldeten Neuansteckungen hatte Anfang April bei mehr als 6000 gelegen. Die Zahl war nach den immer noch über 1000 liegenden Werten im Mai in der Tendenz gesunken, seit Ende Juli steigt sie wieder, wohl auch in Zusammenhang mit Sommerurlaubs-Reisen. Experten zeigen sich besorgt, dass es zu einem starken Anstieg der Fallzahlen kommen könnte, der die Gesundheitsämter bei der Nachverfolgung von Ansteckungsketten an ihre Grenzen bringt.
Angela Merkel selbst wird am Dienstag zumindest eine kleine Reise unternehmen - sie besucht NRWs Ministerpräsident Armin Laschet in Düsseldorf. (dpa/fn) *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.