Bei Anne Will: Redet Angela Merkel heute Klartext über Flüchtlinge?

Berlin - Angela Merkel diskutiert heute Abend mit Anne Will in der ARD über die Flüchtlingskrise. Redet die Kanzlerin in der Talkshow Klartext beim Thema Flüchtlinge?
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird am heutigen Mittwoch in der ARD-Sendung "Anne Will" über die Flüchtlingskrise sprechen. Sie ist der einzige Gast in der Sendung mit dem Titel "Können wir es wirklich schaffen?", die auf 21.45 vorverlegt wird. Diese Ausgabe von "Anne Will" wird somit eine Stunde früher als sonst ausgestrahlt. Auch fällt die vorab im Studio in Berlin Adlershof aufgezeichnete Sendung mit 60 Minuten kürzer aus als die üblichen 75 Minuten.
Offensichtlich brennt der Kanzlerin das Thema Flüchtlinge derart unter den Nägeln, dass sie ihre Politik vor einem Millionenpublikum verteidigen will. Bislang gab es nur eine Ausgabe der Talkshow von Anne Will, in der ausschließlich die Kanzlerin befragt wurde: "Kanzlerin in der Krise" hieß die Sendung vom 22. März 2009. Damals wurde die Führungsstärke der Kanzlerin in der Finanz- und Wirtschaftskrise infrage gestellt - und zwar vor allem vom Koalitionspartner SPD. Die damalige Situation von Angel Merkel ist der heutigen durchaus ähnlich. In der aktuellen Flüchtlingskrise wird wieder aus den Reihen der eigenen Koalition auf die Kanzlerin geschossen: Vornehmlich aus der CSU mit Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer an der Spitze. Aber auch in Angela Merkels eigener Partei CDU mehrt sich die Kritik über deren "Wir schaffen das"-Kurs beim Thema Flüchtlinge. Wie schon im Jahr 2009 wird Angela Merkel bei Anne Will vermutlich in die Offensive gehen und ihre Politik verteidigen. Aber nicht nur Anne Will durfte Angela Merkel bislang exklusiv im Zwiegespräch zu umstrittenen Entscheidungen befragen. Im September 2011, verteidigte sie ihren Kurs in der Eurokrise bei Günther Jauch. Im April 2013 ließ die Kanzlerin sich abemals vom ARD-Talkmaster befragen. In diesem Fall ging es um die anstehende Bundestagswahl.
Angela Merkel bei Anne Will: Kritik an der Kanzlerin beim Thema Flüchtlinge
Vor allem CSU-Chef Horst Seehofer kritisiert die Kanzlerin in der Flüchtlingskrise. Als Ministerpräsident von Bayern musste sein Bundesland im Laufe des vergangenen Monats den weitaus größten Anteil an Flüchtlingen aufnehmen.
In der BR-Sendung "Münchner Runde"
brandmarkte Seehofer am Samstag abermals den Kurs von Angela Merkel. Deren Entscheidung, die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen, sei ein Fehler gewesen, betonte er. "Das hat sich ja durch die Praxis bestätigt. Diese Entscheidung ist verstanden worden als Einladung nach Deutschland zu kommen. Wir bekommen heute noch von vielen - auch aus dem Ausland - die Information, dass in den Flüchtlingslagern schlicht und einfach gesagt wird: 'Die Deutschen wollen, dass wir kommen." Merkels Einladung habe eine zusätzliche Sogwirkung ausgelöst. Bayern stehe dank der Kanzlerin bei der Aufnahme von Flüchtlingen vor dem Kollaps. Harte Worte, mit denen Angela Merkel sicher auch am Mittwochabend bei Anne Wille konfrontiert wird.
Am Samstagabend schlug Seehofer im Gespräch mit BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb in einer Extra-Ausgabe der "Münchner Runde" noch lauter die Alarmglocke: Die Möglichkeiten Bayerns zur Aufnahme von Flüchtlingen seien ausgereizt. Es drohe ein Zusammenbruch.
Aktuell distanzieren sich 34 CDU-Funktionäre aus acht Bundesländern in einem offenen Schreiben an Kanzlerin Angela Merkel deutlich von ihrer Flüchtlingspolitik. Die Christdemokraten (allesamt Landes- und Kommunalpolitiker, die die Unterbringung der Flüchtlinge vor Ort meistern müssen) fordern in ihrem Brandbrief klare Maßnahmen gegen den Andrang an Asylbewerbern. Ein großer Teil der CDU-Mitglieder und Wähler fühle sich von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten, kritisierten die Funktionäre in ihrem Schreiben an Angela Merkel. Ebenso wie es CSU-Chef Seehofer für Bayern tut, betonen sie dass die Aufnahmekapazitäten in Deutschland praktisch erschöpft seien. Man darf vermuten, dass dieses Schreiben bewusst an dem Tag veröffentlicht wurde, an dem Angela Merkel ihre Politik bei Anne Will verteidigen möchte.
Angela Merkel vor Auftritt bei Anne Will: Kanzlerin macht Flüchtlingskrise zur Chefsache
Vor ihrem Auftritt am Mittwochabend bei Anne Will in der ARD prescht Angela Merkel in der Flüchtlingskrise ihrerseits nach vorne. Medienwirksam erklärte sie am Mittwoch die Bewältigung des Flüchtlings-Andrangs zur Chefsache. Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) soll künftig als Gesamtkoordinator die auf verschiedene Ministerien verteilten Aufgaben bündeln und besser als bisher koordinieren. Eine entsprechende Vorlage soll am Mittwoch im Kabinett beschlossen werden. Somit hat die Kanzlerin Anne Will für den heutigen Abend gleich ein medienwirksames Gesprächsthema beschert.
Vor Auftritt bei Anne Will: Angela Merkels wichtigste Aussagen zur Flüchtlingskrise
Der Kanzlerin wird nicht selten vorgehalten, sie ziehe es vor, zur Flüchtlingskrise zu schweigen. Allerdings belegen mehrere Zitate aus den vergangenen Wochen und Monaten, dass sich Angela Merkel schon vor ihrem Auftritt am Mittwoch bei Anne Will zum Thema Flüchtlinge durchaus umfangreich geäußert hat.
Auf ihrer Sommerpressekonferenz am 31. August skizzierte die Kanzlerin ausführlich ihren Kurs in der Flüchtlingskrise:
- Hohe Priorität für die Integration von Flüchtlingen von Anfang an
- Schnellere Asylverfahren mit beschleunigter Abschiebung von Aslybewerbern, die allein aus wirtschaftlicher Not nach Deutschland kommen
- Klare Regeln und keine Toleranz für Parallelgesellschaften unter Flüchtlingen
- Eine konsequente Verfolgung fremdenfeindlicher Angriffe
Auf die Kritik des CSU-Chefs an ihrer Entscheidung, Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen zu lassen, antwortete Angela Merkel am 15. September trotzig: "Wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land."
Generell sieht Angela Merkel in der Flüchtlingskrise für Deutschland mehr Chancen als Risiken. In ihrer Regierungserklärung vom 24. September betonte sie: "Die Chancen sind so viel größer als die Risiken, wir müssen sie nur erkennen und auch nutzen."
Möglicherweise bleibt Angela Merkel in der Flüchtlingskrise auch nichts anders übrig, als Zweckoptimismus zu verbreiten. So soll sie in einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt haben: "Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin, nun sind sie halt da."
Man darf angesichts dieser dezidierten Aussagen der Kanzlerin zum Thema Flüchtlinge also erwarten, dass Angela Merkel am heutigen Mittwochabend in der ARD bei Anne Will Tacheles reden wird.
fro