„Bedeutet nicht, dass es falsch war“: Merkel verteidigt ihre Haltung zu Putin – räumt aber Nato-Fehler ein

Angela Merkels Russland-Politik steht seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs in der Kritik. Die Altkanzlerin verteidigt ihre Politik erneut. Vermitteln will sie aktuell nicht.
Berlin - Hätte der Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine verhindert werden können? Der Blick in die Vergangenheit wirft Fragen nach politischer Verantwortung und Schuld auf. Auch Angela Merkels Rolle und ihre Russlandpolitik stehen in der Kritik – teils sogar in ihrer CDU.
In einem Interview mit der italienischen Zeitung Corriere della Sera hat die Altbundeskanzlerin ihr Vorgehen gegenüber Russland während ihrer Amtszeit nun nochmals verteidigt. „Ich komme zu dem Schluss, dass ich meine damaligen Entscheidungen nach einer Logik getroffen habe, die mir immer noch vernünftig erscheint“, sagte sie der Zeitung. Ihre Russlandpolitik sei ein Versuch gewesen, einen Krieg zu verhindern. „Dass es nicht geklappt hat, bedeutet nicht, dass es falsch war, es zu versuchen“, betonte Merkel.
Aktkanzlerin Merkel: „Einzige Sprache, die Putin versteht, ist Gewalt“
In der Debatte um die Verantwortung für den Krieg werde der Kontext zu wenig betrachtet, klagte die Kanzlerin a.D.. Während ihrer Amtszeit sei der politische Handlungsspielraum nicht groß gewesen. Die Anbahnung einer möglichen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens, die 2008 diskutiert wurde, sei falsch gewesen: „Die beiden Länder erfüllten die Anforderungen nicht, und man hatte nicht einmal darüber nachgedacht, welche Folgen eine solche Entscheidung sowohl für die Reaktion Russlands auf Georgien und die Ukraine als auch für die Nato und ihre Hilfsregeln haben würde“, sagte Merkel. Darüber hinaus zweifelte sie an, dass die Nato zu einem früheren Zeitpunkte viel hätte tun können, um der Ukraine zu helfen.
Die Minsker Vereinbarungen als politischer Versuch der Beilegung des Ukraine-Konflikts im Jahr 2014 sei ein Versuch gewesen, der Ukraine Zeit zu geben. Und diese Zeit habe die Ukraine genutzt: Sie sei nun ganz anders aufgestellt als noch 2014. Merkel hatte schon bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt als Altkanzlerin betont, dass sie bereits 2007 erkannt habe, was Putin von Europa halte und dass die einzige Sprache, die er verstehe, Gewalt sei. Dennoch blieb Deutschland von russischem Gas abhängig.
Russlandpolitik unter Merkel: „Wir alle wussten, dass es sich um einen eingefrorenen Konflikt handelte“
„Wir alle wussten, dass es sich um einen eingefrorenen Konflikt handelte, dass das Problem nicht gelöst war, aber das gab der Ukraine wertvolle Zeit“, sagte Merkel nun dem Corriere. Die Genehmigung des Baus der Erdgaspipeline Nord Stream 2 rechtfertigte sie im Kontext der damaligen Politik. Eine Ablehnung des Baus der Erdgaspipeline zwischen Russland und Deutschland hätte in Verbindung mit den Minsker Vereinbarungen eine Verschlechterung der Beziehung zu Russland bedeutet. Zugleich sei die Zufuhr aus anderen Ländern wie Holland und Großbritannien zurückgegangen und die in Norwegen geförderten Mengen seien begrenzt gewesen.
Auch der Ausstieg aus der Kernenergie und die Entscheidung, weniger Gas in Deutschland zu fördern, hätten zur Entscheidung für Nord Stream 2 beigetragen. Zwar hätte Flüssigerdgas teuer aus Katar oder Saudi-Arabien bezogen werden können, aber das hätte die deutsche Wettbewerbsfähigkeit „eindeutig beeinträchtigt“. „Heute handeln wir so unter dem Druck des Krieges, was ich gutheiße, damals wäre es eine viel schwerere politische Entscheidung gewesen“, resümierte Merkel.
Selbstkritik: „Auch wir hätten schneller auf die russische Aggression reagieren müssen“
Auf die Frage, ob der Bau von Nord Stream 2 dennoch hätte verhindert werden sollen, antwortete die Altkanzlerin kategorisch „Nein“. Unter anderem auch, da es hierfür keinen Konsens gegeben habe. Selbstkritik um der Selbstkritik wegen lehnte Angela Merkel ab: „Selbstkritisch zu sein, nur weil es von mir erwartet wurde, hielt ich für zu einfach“. Viel wichtiger sei für sie, den großen Kontext für die Politik Russlands zu betrachten. Ihrer Ansicht nach habe der Kalte Krieg nie wirklich geendet, „denn letztendlich wurde Russland nie befreit“.
Als Beispiel führt sie besonders die Zeit seit 2014 an: „Als Putin 2014 auf der Krim einmarschierte, wurde er von der G8 ausgeschlossen. Darüber hinaus hat die Nato Truppen in die baltische Region entsandt, um zu zeigen, dass sie bereit ist, einzugreifen“. Auch die deutsche Regierung habe beschlossen, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung auszugeben. Selbstkritisch argumentierte sie schließlich aber doch: „Auch wir hätten schneller auf die russische Aggression reagieren müssen“. Deutschland habe zum Beispiel das Ziel von zwei Prozent für die Verteidigungsausgaben nicht erreicht. „Ich habe auch nicht täglich gearbeitet, um diese Sache zu unterstützen“, sagte Merkel. (at)