Baerbock zerreißt Merkels Afghanistan-Kurs: „Augen vor der Realität verschlossen“

Die Grünen üben scharfe Kritik am späten Handeln der Bundesregierung in Afghanistan. Annalena Baerbock findet harte Worte. Joschka Fischer äußert ebenfalls Zweifel.
Frankfurt (Oder)/Berlin - Die Grünen gehen mit dem Afghanistan-Kurs der Bundesregierung hart ins Gericht – Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und Ex-Außenminister Joschka Fischer übten am Montag angesichts der dramatischen Lage in Kabul scharfe Kritik. Baerbock nahm dabei unter anderem Außenminister Heiko Maas (SPD) ins Visier.
Afghanistan: Baerbock geht hart mit Merkels Regierung ins Gericht – „Augen vor der Realität verschlossen“
Es zeige sich jetzt, „wie fatal es war, dass man von Seiten der deutschen Bundesregierung, des Auswärtigen Amts, die Augen vor der Realität verschlossen hat“, sagte die Kanzlerkandidatin bei einem Besuch in Frankfurt an der Oder. Sie rügte vor allem das späte Ausfliegen von ehemaligen Ortskräften aus Afghanistan.
„Wir hatten bereits vor dem Beginn der Sommerpause im Deutschen Bundestag beantragt, Menschen zu evakuieren. Das ist nicht getan worden, man hat es einfach negiert“, fügte Baerbock hinzu. Es gehe nun um Stunden und um Tage. In dieser Frage übte am Montag sogar ein CDU-Abgeordneter selbst Kritik. Man habe den Vorstoß der Grünen „aus Prinzip“ abgelehnt, räumte Roderich Kiesewetter – Obmann im Auswärtigen Ausschuss – auf Twitter ein.
Annalena Baerbock kritisiert Maas und Merkel in Sachen Afghanistan: „Mehr als überfällig“
Es sei „mehr als überfällig, dass die deutsche Bundesregierung endlich alles dafür tut, die Menschen zu evakuieren“, sagte Baerbock. Als gefährdete Gruppen nannte sie unter anderem diejenigen, „die in den letzten Jahren vor Ort die Nato-Truppen mit unterstützt haben, sei es als Dolmetscher, sei es als Ingenieure“. Daneben bräuchten auch freie Journalisten und Frauenrechtlerinnen Hilfe.
All diese Menschen „müssen um ihr Leben bangen“, mahnte die Grünen-Vorsitzende. Baerbock forderte die Regierung auf, gemeinsam mit den Nato-Partnern „klare Kontingente aufzulegen, um Menschen in Sicherheit zu bringen“. Notwendig seien Kräftestärken „im fünfstelligen Bereich“. Es müssten sofort alle ausgeflogen werden, „die mit dem Tod bedroht sind, weil sie mit Nato-Kräften zusammengearbeitet haben“, sagte Baerbock. Ihr Kontrahent bei der Bundestagswahl, Armin Laschet (CDU), warnte am Montag zwar ebenfalls vor „Hinrichtungen in Afghanistan“ – er forderte zugleich aber, nicht „parteipolitisch“ zu streiten.
Grüne: Joschka Fischer kritisiert Truppen-Abzug aus Afghanistan – „Überstürzte Entscheidung“
Ex-Außenminister Joschka Fischer kritisierte den Abzug der internationalen Truppen aus dem Land. „Die sehr frühe Umorientierung auf Irak war ohne jeden Zweifel ein großer Fehler. Ich hätte nicht (damit) gerechnet, dass es zu einer solch überstürzten Abzugsentscheidung kommt und insofern, dass nicht verhandelt wurde über die Bedingungen des Abzugs“, sagte der Grünen-Politiker bei dem gemeinsamen Termin mit Baerbock. „Die Konsequenzen sehen wir heute.“
Der Einsatz sei nach dem 11. September 2001 aber eine zwingende Notwendigkeit gewesen. „Die USA waren der wichtigste Sicherheitsgarant, und da war Solidarität angesagt. Insofern stehe ich zu diesem Einsatz.“
Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hatte Fischer als Außenminister Gerhard Schröders (SPD) den USA zugesichert, die deutsche Unterstützung in Afghanistan schließe keine Option im Kampf gegen den Terrorismus aus – auch nicht eine militärische. Wenige Wochen später sagte er: „Eine politische Lösung ist keine Alternative zu einer Militärreaktion, sie muss auf der Militärreaktion basieren.“ Innerparteilich wurde der Grüne wegen seiner Haltung kritisiert, konnte aber den Kurs mit der Parteispitze durchsetzen. (AFP/dpa/fn)