Anne Will: Ganz neue Corona-App schon fertig? „Wir könnten in vier Wochen bereits ...“

Am Mittwoch findet der nächste Corona-Gipfel statt. Fraglich, ob es entscheidende Veränderungen geben wird. Anne Will diskutieren über Warn-Apps und Schnelltests.
Der aktuelle Titel des „Anne Will“-Talks im Ersten klingt fast verzweifelt: „Die große Ratlosigkeit – gibt es einen Weg aus dem Dauer-Lockdown?“ Anlässlich des nächsten Corona-Gipfels am kommenden Mittwoch lädt Will die Runde zum Brainstorming zu Möglichkeiten für Lockerungen ein. Was auffällt: Der Ton Richtung Regierung wird schärfer. Kanzleramtschef Helge Braun sitzt in der Runde auf verlorenem Posten.
Impfen, digitale Kontaktverfolgung und Schnelltests könnten kontrollierte Öffnungen ermöglich, andere Länder haben es erfolgreich vorgemacht. Doch wegen Impfstoffmangels, dem deutschen Datenschutz und der Test-Knappheit sind die Ideen hierzulande ins Stocken geraten.
„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Helge Braun (CDU) - Chef des Bundeskanzleramts
- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) - Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof
- Christiane Woopen - Vorsitzende des Europäischen Ethikrats
- Michael Bernd Schmidt alias Smudo - Rapper (Die Fantastischen Vier), Mitentwickler der „Luca“-App zur Nachverfolgung von Infektionsketten
- Ranga Yogeshwar - Wissenschaftsjournalist
Anne Will/ARD: Die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats fordert einen „Strategiewechsel“ für Öffnungen
Die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, Christiane Woopen, scheint nicht nur ein Statement, sondern schon fast einen Appell an die Zuschauer und vielleicht auch an die politischen Verantwortlichen richten zu wollen. Mit klarer Stimme verkündet sie: „Wir wollen der Bund-Länder-Konferenz einen Strategiewechsel vorschlagen!“ Und: „Es ist ein Teufelskreislauf, in dem wir drin sind. Die Menschen sind emotional erschöpft, viele sind existenziell bedroht!“ Sie nennt unter anderem die Sorge um die Pleiten, dass der Lebenstraum vor die Wand läuft und die Perspektivlosigkeit großer Teile der Bevölkerung. Und sie fordert: Man müsse nun vom Reaktiven ins Produktive kommen. Bis auf Helge Braun heftiges Kopfnicken in der Runde.
Fanta4-Rapper wirbt bei „Anne Will“ für seine Corona-App
Smudo bekommt ordentlich Sendezeit, um für die „Luca“-App Werbung machen zu können, die er mit seinen Fanta4-Kollegen und IT-Spezialisten entwickelte. Sie macht Kontaktverfolgung userfreundlich und datenschutzkonform möglich und kann all das, was die Corona-Warn-App angeblich nicht kann. Die App soll zudem die digitale Übertragung zu den Gesundheitsämtern ermöglichen und die derzeit mehrheitlich analoge und sehr zeitintensive Kontaktnachverfolgung überflüssig machen.
Kanzleramtschef Helge Braun, dem in der kritischen Runde die undankbare Rolle zufällt, den Regierungskurs zu verteidigen, gibt zu, dass die Digitalisierung der Gesundheitsämter schleppend lauft: „Dafür kämpfe ich mit den Ländern seit über einem Jahr!“ Braun könnte sich vorstellen, die „Luca“-App an die gängige Ämter-Software Somas anzubinden. Smudo ist das alles zu kompliziert, das sei kein Hexenwerk, argumentiert der Startupper. Es gebe bereits eine Infrastruktur, die in 95 Prozent aller Gesundheitsämter vorhanden sei, die digitale Einreiseakte, kurz DDA, die zu nutzen wäre. Smudo: „Wir könnten in vier Wochen bereits angeschlossen sein - an alle Gesundheitsämter!“
Ranga Yogeshwar kritisiert Corona-App: 67 Millionen Euro Steuergelder und man fragt sich: Wer hat das programmiert?
Anne Will will wissen: „Und woran scheitert’s dann?!“ Smudo macht eine genervte Handbewegung in Richtung Helge Braun: „An sowas!“ Die ehemalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger übersetzt den Rap-Sprech ins Polit-Deutsch: „Also eine falsche Prioritätensetzung!“ Und stimmt Smudo zu. Der App erteilt die Rechtsexpertin das Datenschutz-Siegel und erklärt, die App selbst schon runtergeladen zu haben. Auch Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar outet sich als „Luca“-Fan: „Wir müssen schnell werden. Schnelligkeit ist alles. Wir haben im letzten Jahr versagt, was Schnelligkeit angeht.“ Die „Luca“-App würde dem Problem Abhilfe schaffen, da sie mit QR-Codes arbeite, die Rückverfolgung schnell und sicher möglich mache.
Yogeshwar lässt kein gutes Haar an der Corona-Warn-App und ist sichtlich empört, dass für die App 67 Millionen Euro an Steuergeldern ausgegeben worden seien, wo man sich beim Nutzen fragen würde: „Wer hat das programmiert?!“ Helge Braun gerät in Rechtfertigungsnotstand und überzeugt wenig, wenn er sagt: „Diese App hat das Vertrauen von 25 Millionen Deutschen gewonnen!“ Und: „Die Corona-App ist ein Superinstrument, das dazu gehört.“
Helge Braun verspricht bei Anne Will: Es wird kostenlose Schnelltests für alle geben
Anne Will wechselt zum nächsten Corona-Kampfmittel: Antigen-Schnelltests. Gesundheitsminister Jens Spahn hatte zum 1. März kostenlose Schnelltests angekündigt, war dann aber von der Kanzlerin zurückgepfiffen worden. Helge Braun verspricht in der Sendung: „Es wird regelmäßige kostenlose Tests für alle geben!“ Wie viel „regelmäßig“ bedeutet, sagt er nicht. Das rechnet die Vorsitzende des Europäischen Ethikrats Christiane Woopen vor: Bei bis zu 800 Millionen Tests in 2021 bei 43 verbleibenden Wochen bedeute das für jeden Bürger nur etwa zehn Tests! Woopen findet: viel zu wenig.
Die Philosophie-Professorin fordert: „Jetzt muss investiert werden in die Produktionskapazitäten.“ Es müssten weitere Test entwickelt werden, die noch schneller sind. Woopen: „Da gehört das Geld hin.“ Eine billigere und vernünftigere Strategie als das, was als Ausgleichszahlungen für den Lockdown gezahlt werden würde! Woopen stellt klar: Es brauche jetzt ein Sicherheitsnetz für die neuen Mutationen, die uns ohne flächendeckende Tests und Kontaktverfolgung wieder an den Anfang der Corona-Pandemie zurückwerfen würde.
Fazit des „Anne Will“-Talks
Die Sendung ist ein Gradmesser: Offensichtlich ist es wieder gesellschaftsfähig, die Regierung zu kritisieren und Forderungen nach Öffnungen deutlich zu machen. Drohte vor ein paar Wochen jedem, der das äußerte, der Verdacht, ein „Corona-Leugner“ zu sein oder gar Tote in Kauf zu nehmen, ist die Stimmung nun offenbar gekippt. Der Unmut kommt offen zur Sprache.