„Ideologisches Theater“: Bei Anne Will prallen Autofans und Verbots-Ökos aufeinander

Autobahn, Tempolimit oder Bahn: Die Verkehrswende steckt im Stau. Bei Anne Will legt die Ampel-Koalition ihren Streit offen. Gibt es noch einen Ausweg?
Berlin – Es gibt wieder Streit in der Koalition. Dieses Mal geht es um den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) fordert den Ausbau und die teilweise Erweiterung der Autobahnen auf zehn Spuren. Die Grünen wollen die Priorität vor allem beim Schienenausbau und dem öffentlichen Nahverkehr setzen. Am Sonntag suchte Anne Will in ihrer ARD-Talksendung nach einer Lösung.
Gleich zu Beginn steckt Anne Will den Finger in die Wunde und fragt: „Auto oder Bahn, Tempo oder Limit – Steckt die Verkehrswende im Stau?“. Außerdem geht es in der Politik-Runde im Ersten darum, wie Deutschland sein selbstgesetztes, aber verfehltes Klimaziel in Zukunft einhalten kann. Doch statt Lösungsfindung scheinen die Fronten derzeit verhärtet. Welt-Vizechefredakteur Robin Alexander fasst nüchtern zusammen: „Die Grünen haben eine Vorstellung, und die FDP hat eine Vorstellung.“ Einer der Streitpunkte: die Einführung eines bundesweiten Tempolimits.
Anne Will in der ARD: Was bringt das Tempolimit auf Autobahnen für den Klimaschutz?
„Die bundesweite Einführung von Tempo 120 würde schon mal 4,5 Prozent bringen“, trägt Anne Will in die Runde. Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, ist da jedoch anderer Meinung: „Ein Prozent“, sagt der CDU-Politiker, der findet: „Autobahnen sind auch heute immer noch Lebensadern der Wirtschaft!“ Auch für die Umwelt sei ein fließender Verkehr wichtig, sagt Frei und fügt hinzu: „Wenn Sie Umleitungen wegen kaputter Straßen haben, wenn Sie Staus haben, dann ist es ja gerade nicht klimaschonend.“
Grünen-Bundesvorsitzende Ricarda Lang nennt konkrete Zahlen: „30 Milliarden in Autobahnen“ zu investieren sei falsch, befindet sie und fordert ökologischere Prioritäten. Schützenhilfe bekommt sie von der selbsternannten Mobilitätsaktivistin Katja Diehl, die sich mit der Grünen-Chefin duzt: „Autobahnen bauen gegen Stau ist wie den Gürtel zu lockern, wenn man abnehmen will“, moniert Diehl. Und: „Autobahnbau ist CO₂, ist Ressourcen-Verschwendung, ist Fachkräftebindung.“
Die Podcasterin fordert dagegen ein „Grundrecht auf die freie Wahl der Mobilitätsmittel“ und mehr Möglichkeiten für Nahverkehr im ländlichen Raum. Diehl nennt die eigenen Eltern als Beispiel: Diese könnten aus Altersgründen nicht mehr mit dem PKW mobil sein, seien auf die Hilfe der Familie und Freunden angewiesen. Diehl: „Das ist gegen die Würde des Menschen, um Mobilität bitten zu müssen!“ Die Moderatorin kommentiert das trocken und stellt fest: „Nicht jeder fährt unfreiwillig Auto.“
„Anne Will“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) - Bundesvorsitzende
- Christian Dürr (FDP) - Vorsitzender der Bundestagsfraktion
- Thorsten Frei (CDU) - Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion
- Robin Alexander - stellvertretender Chefredakteur Die Welt
- Katja Diehl - Autorin und Podcasterin
Ausbau der Autobahn: Im ländlichen Raum ist der Nahverkehr laut CDU keine Alternative
Dass der Ausbau des Nahverkehrs keine einfache Angelegenheit ist, macht Frei deutlich: Es brauche „Kapazitätsausweitungen, eine bessere Verknüpfung“, so der CDU-Politiker. Außerdem müsse „Pünktlichkeit, Sauberkeit, Sicherheit“ gewährleistet werden. Derzeit biete das Auto, so Freis Resümee, vor allem im ländlichen Raum die notwendige Reichweite und individuelle Versorgung, die ein öffentliches Angebot auch bei einem Ausbau niemals leisten könne.
FDP-Politiker Christian Dürr sieht’s ähnlich und erinnert an die „46 Millionen Verbrennerautos“ im Land, die von Wählerinnen und Wähler gefahren werden wollen. Für Dürr ist die Frage, wie diese Autofahrer „in Zukunft CO₂-neutral unterwegs sein“ können. Sein Plan: „Synthetische Kraftstoffe, hergestellt in sonnenreichen Gegenden der Welt, die wir statt Erdöl importieren könnten“. Als Diehl dem Plan entgegen schmettert: „Steigende Zulassungszahlen sind ein Indiz verfehlter Verkehrspolitik!“, platzt Journalist Alexander sichtlich der Kragen: Die Politik führe ein „ideologisches Theater“ auf, bei dem die einen „für die Autos“ seien und die anderen „gegen die Autos“, schimpft er stellvertretend die Teilnehmer in der Runde an. „Aber die allermeisten Wähler“, so Alexander, „gehen zu Fuß, haben Fahrrad, haben Monatsticket und haben ein Auto!“
Ricarda Lang stellt die Ziele der Grünen dar: Mobilität schaffen und Klimaziele einhalten
Der Journalist schlägt einen anderen Weg vor: „Bei den LNG-Terminals war es möglich, sehr schnell zu bauen.“ Diesen Lauf sollte man nutzen, findet Alexander. Gegenseitige Vorwürfe wie: „Eure bösen Autos!“ oder „Ihr blöden Verbietungs-Ökos“ seien der falsche Weg. Stattdessen sollte man sagen: „Wir machen das Bestehende einfach schneller!“
Ricarda Lang nickt zustimmend und spricht sich ebenfalls für eine Beschleunigung aus, bekräftigt, man sei sich innerhalb der Koalition auch bereits in vielen Punkten einig. Dass es bei den Streitpunkten aber um „moralische Fragen“ ging, wehrt die Grüne ab. Die Ziele müssten sein, auf der einen Seite „individuelle Mobilität“ und „mehr Freiheit zu schaffen“, auf der anderen Seite aber auch „die Klimaziele einzuhalten“. Das zu schaffen, sei allerdings eine „Mammut-Aufgabe“, gibt auch Lang zu.
FDP-Politiker Dürr bemängelt: Schienenprojekt der Bahn dauert derzeit 18 Jahre in Deutschland
Wie kompliziert die Sachlage ist, schildert CDU-Politiker Frei: „Das 49-Euro-Ticket ist toll für die Ballungsräume, aber schlecht für die ländlichen Räume“, befindet er. Denn es verlagere die Kosten auf die Länder, in deren Folge es dazu kommen könnte, „dass Verkehre abbestellt werden“. „Das 49-Euro-Ticket durchbricht endlich mal diesen absurden Tarifdschungel“, verteidigt Lang dagegen das Grünen-Projekt.
Anne Will bremst aus: „Nur 15 Prozent sagen, sie würden in Zukunft dieses Ticket regelmäßig nutzen wollen.“ Und Alexander befindet: „Das entscheidende ist doch das Angebot.“ In Deutschland sei die Bahn-Infrastruktur inzwischen „verrottet“. Das Tempo sei gedrosselt, das WLAN funktioniere häufig nicht, das Schienennetz müsse mehr ausgebaut werden. Dürr gelobt Besserung: „Bisher dauert es in Deutschland 18 Jahre, bis ein Schienenprojekt fertiggestellt ist.“ Das dürfe natürlich nicht sein. Daher brauche es Beschleunigung bei Bauprojekten. „Ich will Super-Schienenverkehr“, so Dürr.
Fazit des „Anne Will“-Talks
Interessante Diskussion zu Problemen und Stand der Dinge. Einig ist man sich in vielem: Der Ausbau muss schneller werden, das betrifft Genehmigung und Bau. Unterschiede gibt es noch in der Gewichtung, strittig ist vor allem der Ausbau der Autobahnen. (Verena Schulemann)