Anschlag in Berlin: Was wir wissen und was nicht
Berlin - Am Montagabend raste ein LKW ungebremst in die Besuchermenge eines Berliner Weihnachtsmarktes. Ein Überblick über bekannte Fakten und noch offene Fragen.
+++ Update vom 3. April 2017: Bei einer Detonation in einer U-Bahn in St. Petersburg sind offenbar zehn Menschen getötet worden - mehrer Menschen wurden verletzt. Mehr Infos gibt es in unserem News-Blog.
Update vom 21. Dezember 2016: Die Ereignisse vom Mittwoch lesen Sie im aktuellen News-Ticker zum Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin.
Berlin ist in einem Schockzustand. Am Montagabend, kurz vor Weihnachten, raste ein Lkw in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtnis-Kirche am Berliner Breitscheidplatz. Der Markt gehört zu den beliebtesten und meistbesuchten Weihnachtsmärkten in der Hauptstadt. Hier finden Sie einen Überblick über die aktuelle Situation, bestätigte Fakten und noch offene Fragen.
Was wir wissen:
Gegen 20.00 Uhr raste am Montagabend ein Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Dabei legte er eine Strecke von 50 bis 80 Metern zurück und überfuhr Menschen und Marktbuden. Am Mittwoch will der Innenausschuss des Bundestags in einer Sondersitzung über den Terroranschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt beraten.
Tote und Verletzte:
Bei der schrecklichen Tat auf dem Breitscheidplatz wurden 49 Menschen verletzt. Davon hätten 18 lebensgefährliche Verletzungen erlitten, 14 seien schwer verletzt worden und 17 leicht. Die Verletzten wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht. Ärzte und Krankenhauspersonal sprechen von vielen Brüchen und inneren Verletzungen. Insgesamt sind die Berliner Krankenhäuser gut vorbereitet gewesen. Am Dienstagabend befanden sich noch 25 der 49 Verletzten in klinischer Behandlung.
Jedoch gab es auch Todesopfer bei dem mutmaßlichen Anschlag. Zwölf Menschen starben. Bisher konnten sechs der elf Todesopfer identifiziert werden, die durch den Anschlag ums Leben kamen. Sie alle seien deutsche Staatsbürger, sagte BKA-Chef Holger Münch am Dienstagnachmittag. Das zwölfte Opfer ist der polnische Beifahrer, der erschossen wurde. Es werden allerdings noch weitere ausländische Staatsbürger vermisst, die sich unter den Toten befinden könnten, darunter eine 30-jährige Italienerin, die seit mehreren Jahren in Berlin lebte und eine ältere Israelin.
Einer der Toten ist der polnische Beifahrer des Täters, der den Lkw ursprünglich fuhr und der erschossen wurde. Bei dem Toten soll es sich um Lukasz U. handeln. Der 37-jährige Pole war gegen 16 Uhr am Nachmittag das letzte Mal erreichbar und wurde von seinem Cousin, dem Chef des familienbetriebenen Speditionsunternehmens, identifiziert. Laut Informationen des Cousins gab es Verzögerungen bei der Lieferung von Luksz U. Sonst wäre dieser am Montagabend bereits zurück in Polen gewesen. Der Lkw-Fahrer hinterlässt eine Ehefrau sowie einen 17-jährigen Sohn.
Obwohl bei dem Anschlag einige der Weihnachtsmarktstände komplett zerstört wurden, befinden sich keine Schausteller unter den Toten. Klaus-Jürgen Meier, Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft City e. V., die den Weihnachtsmarkt an der Gedächtnis-Kirche veranstaltet, sagte der Bild-Zeitung: „Es grenzt an ein Wunder, dass keine Schausteller verletzt oder getötet wurden, obwohl einige Hütten komplett zerstört sind. Wir haben noch keine Information darüber, wie viele der rund 200 Stände zerstört wurden, wahrscheinlich dürfen wir den Tatort heute noch begehen und verschaffen uns dann einen Überblick. Unser Sicherheitskonzept wurde perfekt umgesetzt, da können wir uns nichts vorwerfen.“
Terroranschlag durch den IS:
Am Dienstagabend bekannte sich der Islamische Staat zu dem Anschlag. Die Polizei ging schon zuvor davon aus, dass der Lkw vorsätzlich in die Menge gerast sei. „Alle polizeilichen Maßnahmen zu dem vermutlich terroristischen Anschlag am Breitscheidplatz laufen mit Hochdruck und der nötigen Sorgfalt“, twitterte die Polizei am frühen Dienstagmorgen. Auch Innenminister Thomas de Maizière erklärte noch in der Nacht, dass viel für einen Anschlag spreche. Der Generalstaatsanwalt hat die Ermittlungen übernommen.
Terrorismusforscher Peter Neumann hielt es bereits vor dem Bekenntnis des IS für möglich, dass es sich um einen terroristischen Anschlag handelt, die Vorgehensweise erinnert an die Tat in Nizza, bei der 86 Menschen starben.
Schon knapp eineinhalb Stunden nach der Tat meldeten sich nach Bild-Berichten deutschsprachige Mitglieder der Terror-Miliz zu Wort. Sie nahmen zwar die Tat nicht direkt für sich in Anspruch - es gab also kein direktes Bekennervideo - , riefen aber zu weiteren Taten, wie dem Anschlag am Montag auf.
Festgenommener wieder frei:
Ein Mann wurde noch auf der Flucht nahe der Berliner Siegessäule festgenommen. Aus Sicherheitskreisen wurde bekannt, dass der Verdächtige Naved B. heißt und unter mehreren Alias-Namen gelebt habe, die seinem richtigen Namen sehr ähnlich seien. Dem Festgenommenen konnte jedoch keine Beteiligung am Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt nachgewiesen werden. Deshalb kam er schon am Dienstagabend wieder auf freien Fuß.
Innenminister de Maizière erklärte am Dienstag auf einer Pressekonferenz, dass der zunächst Verdächtigte aus Pakistan oder Afghanistan stamme und am 31. Dezember 2015 nach Deutschland eingereist und registriert worden sei. Sein Asylverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Demnach kamen mehrere Versuche einer Anhörung nicht zustande - einerseits, weil der Mann nicht erschienen sei, andererseits weil er angegeben habe, eine Sprache zu sprechen, für die kein Dolmetscher zur Verfügung gestanden habe. In einschlägigen Dateien, etwa der Geheimdienste oder zu Terrorverdächtigen, sei der Festgenommene aber nicht geführt worden, sagte de Maizière.
Der 23-Jährige sei polizeibekannt, allerdings bisher nicht als Islamist aufgefallen. Er war der Polizei im Zusammenhang mit Ermittlungen zu einem sexuellen Übergriff bekannt geworden. Nach dpa-Informationen aus Sicherheitskreisen kam es im Juli im Kontext zu einem sexuellen Übergriff des Mannes auch zu Beleidigungen. Einen entsprechenden Eintrag gebe es in der Inpol-Datenbank, dem länderübergreifenden Informationssystem der Polizeien.
Aus Sicherheitskreisen war bereits zuvor bekannt geworden, dass der Verdächtige die Tat abgestritten und alle Vorwürfe von sich gewiesen habe. Ein Zeuge, der dem Mann hinterher gerannt war, hatte die Polizei alarmiert.
Das Tatfahrzeug:
Der Lkw mit polnischem Kennzeichen gehört einer Spedition aus Polen. Der Eigentümer Ariel Zurawski erklärte im polnischen Fernsehen, dass er gegen Montagnachmittag den Kontakt zu seinem Fahrer verloren habe. Der Fahrer sei sein Cousin und er könne seine Hand für ihn ins Feuer legen, dass er nichts mit der Tat zu tun habe. Zurawski vermutet, dass seinem Cousin etwas zugestoßen sein müsse. Der Lkw hatte Stahlkonstruktionen von Italien nach Berlin transportiert. Am Dienstagmorgen soll der Lastwagen zur Spurensicherung abgeholt werden.
Die Ermittlungen:
In Berlin arbeitet die Polizei auf Hochtouren daran, die Hintergründe sowie den Tathergang zu rekonstruieren. Am Dienstagmorgen kam es zu einem SEK-Einsatz der Berliner Polizei. Die Einsatzkräfte durchsuchten einen Hangar auf dem früheren Flughafen Tempelhof.
Dort befindet sich Berlins größte Flüchtlingsunterkunft. Vier junge Männer Ende 20 aus dem Hangar 6 seien befragt worden, es gab aber keine Festnahmen, sagte Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, am Dienstag.
Der Einsatz, an dem auch Kräfte der Spezialeinheit (SEK) beteiligt waren, habe um 3.00 Uhr mit bis zu 250 Beamten begonnen. Die Kräfte seien dann aber reduziert worden. Die Lage sei ruhig gewesen. Um 8.00 Uhr sei der Einsatz beendet gewesen.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte bereits am Dienstag in Berlin: „Wir haben keinen Zweifel mehr, dass es sich bei dem schrecklichen Ereignis gestern Abend um einen Anschlag gehandelt hat.“ Ein Bekennerschreiben lag zu dieser Zeit allerdings noch nicht vor. Der Minister betonte, Weihnachtsmärkte und andere Großveranstaltungen sollten weiterhin stattfinden. Er rief jedoch zur Wachsamkeit auf.
Die Beamten waren bis Dienstagabend mit der Vernehmung des zunächst Verdächtigten beschäftigt. Dieser stritt die Tat jedoch ab. Da sich seine Unschuld bestätigt hatte, wurden die Ermittlungen deutlich ausgeweitet. Der wahre Täter könnte sich in der Zwischenzeit ins Ausland abgesetzt haben oder weitere Taten planen.
Am Dienstagnachmittag bestätigte Polizeipräsident Kandt, dass in der durchsuchten Flüchtlingsunterkunft ein Handy gefunden und zur Untersuchung gebracht worden sei. Weitere Angaben machte er nicht. Dafür sei die Auswertung noch nicht weit genug fortgeschritten.
Was wir nicht wissen:
Der zunächst Verdächtigte:
Nach dpa-Informationen soll der mittlerweile wieder auf freiem Fuß befindliche Mann mehrere Identitäten haben. Der in der Nähe der Siegessäule Festgenommene ist wohl über die Balkanroute und schließlich über Passau nach Deutschland eingereist, allerdings liegen dafür bisher keine Bestätigungen vor. Zu den genauen Umständen der Festnahme des Verdächtigen sagte die Berliner Polizei nichts.
Schon auf der Pressekonferenz der Berliner Polizei sagte Polizeipräsident Klaus Kandt über den Verdächtigen: „Es ist in der Tat unsicher, dass es der Fahrer war."
Da sich nun bewahrheitet hat, dass der Flüchtling nicht der Fahrer des Lkw war, befindet sich der wahre Täter noch immer auf der Flucht- und womöglich bewaffnet. Auch Generalbundesanwalt Peter Frank bestätigte ebenfalls frühzeitig die Zweifel an der Täterschaft des festgenommenen Verdächtigen. BKA-Chef Holger Münch sagte: „Wir sind hochalarmiert.“
Widersprüchliche Angaben:
Widersprüchliche Angaben gibt es dazu, was kurz vor dem mutmaßlichen Anschlag mit dem Laster passierte. Während die Polizei Hinweisen nachgeht, dass das Fahrzeug bereits in Polen von einer Baustelle gestohlen wurde, sagte der Speditionschef, der Fahrer sei auf dem Weg von Italien nach Berlin gewesen.
Weitere Informationen rund um den Anschlag in Berlin
Schon in der Nacht von Montag auf Dienstag kam es zu deutschen und internationalen Reaktionen auf den mutmaßlichen Anschlag in Berlin.
Alle Informationen und aktuelle Entwicklungen finden Sie in unserem News-Blog zu dem mutmaßlichen Anschlag in Berlin.
Video
Aufregung in Berlin am 21. Dezember 2019: Die Polizei räumte am Abend den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Es ging um einen verdächtigen Gegenstand.
In Volkmarsen in Hessen wurden bei einem Karnevalsumzug mindestens 52 Menschen verletzt. Ein 29-Jähriger raste mit seinem Auto in den Umzug. Autos werden immer wieder als Waffe missbraucht.
mt und kah mit Material von dpa und AFP