Vorbestraft und traumatisiert: Putin lässt begnadigte Wagner-Söldner auf Russland los
Krieg statt Knast: Mit diesem Versprechen lockte Russland tausende Häftlinge in die Wagner-Gruppe. Jetzt kehren die ersten Söldner heim. Ein Problem?
Moskau – Straffreiheit nach Ende des Kriegsdienstes: Mit einem klaren Deal hat die Wagner-Gruppe von Jewgeni Prigoschin wochenlang in Russlands Gefängnissen um neue Söldner geworben. Den ersten Rekruten winkt nun die Begnadigung. Doch dadurch kommen auf die russische Gesellschaft massive Herausforderungen zu. Denn die Kämpfer der Privatarmee gelten als brutal. Westliche Geheimdienste sind alarmiert – und warnen vor den Folgen.
Ukraine-Krieg: Wagner-Gruppe lässt rekrutierte Häftlinge frei – Sorge um Russlands Gesellschaft
Allen voran das britische Verteidigungsministerium hält die Begnadigung der aus Gefängnissen rekrutierten Wagner-Söldner für ein Risiko für Russlands Bevölkerung. In den kommenden Wochen würden voraussichtlich Tausende russische Inhaftierte, die im Ukraine-Krieg für die Gruppe der Wagner-Söldner gekämpft hätten, begnadigt und freigelassen, hieß es am Dienstag (21. März) im täglichen Kurzbericht. Die plötzliche Eingliederung von oft gewalttätigen früheren Straftätern mit kürzlichen traumatischen Kampferfahrungen werde mutmaßlich eine große Herausforderung darstellen, hieß es weiter aus London.

1300 US-Dollar Verdienst und Freiheit: Mit diesem Deal erhöhte Prigoschin die Anzahl der Söldner
Das Vorgehen der Privatarmee war lange Zeit vom Kreml gebilligt worden. Videos zeigten Wagner-Boss Prigoschin persönlich bei der Anwerbung von Söldnern in den Haftanstalten. Nach Angaben des britischen Geheimdienstes erreichte die Rekrutierung von Häftlingen im vergangenen Herbst ihren Höhepunkt, weshalb nun vielen Betroffenen die Freiheit winken dürfte. Denn die Wagner-Gruppe hatte ihnen nach Ende eines sechsmonatigen Einsatzes die Begnadigung zugesichert – neben einem Verdienst von 1300 US-Dollar pro Monat. Einige Söldner bestätigten auf sozialen Plattformen, dass ihnen die „Rückkehr in die Zivilgesellschaft mit einer sauberen Weste nach dem Dienst“ versprochen worden sei.
Getötet oder hingerichtet: Verluste der Wagner-Gruppe wegen Schlacht um Bachmut sehr hoch
Die Wagner-Gruppe gilt als äußert brutal und skrupellos. Derzeit werden die Söldner vor allem in den Schlachten rund um Bachmut eingesetzt. Dabei gibt es immer wieder Berichte, wonach die Soldaten dort regelrecht verheizt werden sollen. Wer sich dabei den Anordnungen von Prigoschin und seiner Führungsriege widersetzt, soll oftmals gnadenlos hingerichtet werden. Dementsprechend hoch werden die Verluste geschätzt. Laut des Nato-Geheimdienstes kommen auf jeden ukrainischen Soldaten, der bei der Verteidigung von Bachmut getötet wurde, mindestens fünf russische Soldaten oder Söldner.
Im Ukraine-Krieg lassen sich viele Informationen nicht unabhängig überprüfen. Doch noch im Januar schätzten die Vereinigten Staaten, dass die Wagner-Truppe etwa 50.000 Kämpfer in der Ukraine im Einsatz haben dürfte, darunter rund 40.000 Sträflinge. Aber wie viele nach Beginn der Frühjahrsoffensive noch leben und tatsächlich in die Heimat zurückkehren dürfen, ist unklar. Fest steht nur, dass die Wagner-Gruppe immer mehr Probleme bei der Rekrutierung hat.
Machtkampf mit Putin: Prigoschin muss Rekruten für Russland-Ukraine-Krieg nun woanders suchen
Denn der Anwerbeaktion in den Gefängnissen hat Russlands Präsident Wladimir Putin mittlerweile einen Riegel vorgeschoben. Dahinter soll ein Machtkampf zwischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Wagner-Chef Prigoschin stecken. Offenbar ist der lautstarke Armeechef, der einst als Putins Koch aufgestiegen war, vielen im Kreml zu mächtig und ambitioniert geworden. Nun soll die russische Armee selber in den Haftanstalten die Rekrutierung für den Russland-Ukraine-Krieg übernommen haben, worüber sich Prigoschin zuletzt mächtig via Telegram-Kanal öffentlicht beschwerte.
Doch der Wagner-Boss braucht neue Soldaten für seine Privatarmee. Statt in Gefängnissen will er jetzt einen landesweiten Werbefeldzug in 42 eigenen Rekrutierungsbüros starten, in denen Männer und Frauen ihre Bewerbung für den Ukraine-Krieg abgeben können. 500 bis 800 neue Söldner werde man dadurch gewinnen – und zwar pro Tag, tönte Prigoschin auf seinem Telegram-Kanal.
Kämpfen für Russland: Wenige Wagner-Söldner zeigen sich durch Ukraine-Krieg geläutert
Ein Großteil der rekrutierten Männer scheint dabei auch trotz der Schrecken des Krieges weiterhin an die Rechtmäßigkeit von Russlands Angriffskrieg zu glauben. So wurden kürzlich sieben gefangene russische Kämpfer aus Wagner-Reihen von der Kyiv Post in einer Haftanstalt in der ukrainischen Stadt Dnipro interviewt. Alle bis auf einen befragten Kämpfer rechtfertigten ihre Teilnahme, leugneten Kriegsverbrechen, aber bestätigten die hohe Zahl von Opfern.
Wirklich geläutert vom Kriegseinsatz zeigte sich nur ein 27-Jähriger, der zuvor wegen Drogenhandels eingesessen hatte. Er gab an, dass er von russischen Medien „in die Irre geführt“ wurde, weil sie ihn glauben machten, dass russischsprachige Personen von der ukrainischen Regierung angegriffen und getötet würden. Er bitte die „ukrainischen Frauen um Verzeihung“, dass die Söldner in ihr Land gekommen seien, „um ihre Ehemänner und Söhne zu töten“. Seine Kameraden zeigten sich weniger einsichtig. (jkf/mit dpa)