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Kassen-Zwist um Flüchtlinge

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Von: Sebastian Horsch

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Anerkannte Flüchtlinge haben Anspruch auf Arbeitslosengeld II – und somit auf eine Krankenversicherung. © dpa

Sie sind jung und nehmen seltener Leistungen in Anspruch als Deutsche: Anerkannte Flüchtlinge können für Krankenkassen lukrative Versicherte sein. Doch davon profitiere in erster Linie die AOK, beklagen einigeKonkurrenz-Kassen.

Um fast zwei Millionen Menschen ist Deutschland seit 2015 gewachsen. Allein 2016 steckte der Bund infolge der Flüchtlingskrise rund 1,7 Milliarden Euro zusätzlich in Sozialleistungen. Doch was für den Staat teuer ist, ist für die Krankenkassen ein Gewinn. Die neuen Versicherten stabilisieren die Finanzen, gab deren Spitzenverband zuletzt bekannt.

Dennoch gibt es in der Branche Unmut – und zwar über die Verteilung der Neu-Versicherten. Denn dabei kommen die AOK-Kassen angeblich besser weg als die Konkurrenz. „Es ist Fakt, dass die jungen anerkannten Flüchtlinge überwiegend bei einer Kassenart landen“, sagt Sigrid König, Bayern-Chefin der Betriebskrankenkassen (BKK). Andere Kassen äußern sich ähnlich. Der Tonfall ist dabei vorsichtig. Niemand möchte den Eindruck erwecken, man wolle einen Verteilungskampf auf dem Rücken der Flüchtlinge austragen. Doch wer in Deutschland ein Bleiberecht erhält, kann als Versicherter nun einmal ein gutes Geschäft sein.

Der Hintergrund: Sobald Migranten als Asylberechtigte, Flüchtlinge oder Schutzbedürftige anerkannt werden, dürfen sie eine Arbeit aufnehmen. Finden sie keine, haben sie Anspruch auf Arbeitslosengeld II (ALG II). In beiden Fällen dürfen sie eine gesetzliche Krankenversicherung wählen. Die fast 100 Euro, die für ALG II-Empfänger monatlich in den Gesundheitsfonds fließen, übernimmt der Bund. Dazu kommen knapp 18 Euro für die Pflegeversicherung.

Gut für die Kassen ist in diesem Fall: Die zugewanderten Neumitglieder sind meist jung. Und laut dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nehmen sie darüber hinaus weniger Leistungen in Anspruch als der Durchschnitt in ihrem Alter. Zudem sind sie oft schon länger in Deutschland, was in der Regel bedeutet, dass dringende Gesundheitsbehandlungen bereits auf Kosten der während des Asylverfahrens zuständigen Kommunen erledigt wurden.

Die Zuweisungen aber, die einzelne Kassen aus dem Gesundheitsfonds erhalten, orientieren sich – unabhängig von den tatsächlich entstehenden Kosten – am durchschnittlichen Leistungsaufkommen. „So erhält eine Kasse für einen 25-jährigen ALG II-Empfänger den gleichen Betrag wie für einen 25-jährigen Arbeitnehmer“, sagt Sophie Schwab, die bayerische Landesleiterin der DAK. Für eine einzelne Kasse könne sich so ein finanzieller Vorteil ergeben.

Tatsächlich auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass die Zahl der ALG II-Bezieher in den AOK-Kassen zuletzt im GKV-Vergleich besonders stark gestiegen ist. Dazu kommt: Im Gegensatz zum gestiegenen Durchschnittsalter in der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt ist das der AOK-Versicherten seit 2015 um ein halbes Jahr gesunken.

Ob dies wirklich daran liegt, dass die AOK einen besonders hohen Anteil an Flüchtlingen versichert, lässt sich nicht konkret überprüfen. Denn in der Statistik der Kassen tauchen diese nur als ALG II-Versicherte auf – genau wie deutsche Arbeitslose auch. „Wir können das selbst gar nicht unterscheiden“, sagt eine Sprecherin des AOK-Bundesverbands auf Anfrage.

DAK-Bayern-Chefin Sophie Schwab hat hingegen einen wesentlich eindeutigeren Eindruck von der Lage. In einigen Bundesländern gebe es Rahmenverträge, die Flüchtlinge relativ gleichmäßig auf die Kassen verteilten. In der Regel blieben sie dann auch bei dieser Kasse. Gibt es diese Verträge aber – wie in Bayern – nicht, „wird nach unserem Kenntnisstand der größte Teil der ALG II-Bezieher in die AOKen gesteuert“, sagt Schwab. Das habe wohl historische Gründe. „Bis zur Liberalisierung des Krankenkassen-Wahlrechts 1996 wurden Personen ohne Vorkasse automatisch den sogenannten Pflichtkassen zugewiesen.“ Und in der Regel seien das eben die Ortskrankenkassen gewesen.

Die Bundesagentur für Arbeit führt zwar keine Statistik darüber, bei welcher Kasse Flüchtlinge versichert werden, heißt es auf Anfrage. Ein Sprecher betont allerdings, dass die Jobcenter keinen Einfluss auf die Wahl der Krankenkasse nehmen dürfen, weder bei deutschen Arbeitslosen noch bei Flüchtlingen. Nicht einmal eine Empfehlung sei erlaubt.

In der Praxis dürfte solch absolute Zurückhaltung teils eine echte Herausforderung sein. Viele Flüchtlinge würden nicht einmal genau verstehen, worum es bei der Wahl der Krankenversicherung überhaupt geht, hört man hinter vorgehaltener Hand aus Jobcentern. Und fast alle hätten ganz andere Dinge im Kopf, als die Leistungsangebote verschiedener Kassen zu vergleichen.

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