„Es geht um alles“: Presse attackiert Seehofer und Merkel im Asylstreit

Im Asylstreit ist ein vorläufiger Kompromiss gefunden. Die Kommentatoren deutscher Zeitungen zeichnen dennoch ein düsteres Bild: Sie sehen Merkel vor einer unlösbaren Aufgabe - und die Union kurz vor dem Zusammenbruch.
Der Regierungsbruch ist abgewendet - vorerst. Die CSU gibt Kanzlerin Merkel zwei Wochen Zeit, um auf Europaebene eine Lösung auszuhandeln, die eine Zurückweisung von Flüchtlingen an der deutschen Grenze verhindert. Die deutsche Presse sieht die Kanzlerin damit jedoch vor einer fast unlösbaren Aufgabe - und schürt düstere Zukunftsszenarien.
Es gehe beim Asylstreit um weit mehr als ein Wahlkampfmanöver der CSU, schreibt der Münchner Merkur: „Es geht um die Bewahrung unserer Parteienlandschaft und darum zu verhindern, dass irgendwann auch bei uns – wie in Italien – Radikale anstelle der Moderaten die Politik bestimmen.“ 60 Prozent aller Flüchtlinge in Europa würden nach Deutschland kommen, heißt es: „Wer das dauerhaft hinnimmt, riskiert, dass Deutschland, das größte und wichtigste Land, instabil wird. Auch das könnte Europa am Ende zerstören.“ Merkel dürfe nicht länger an der „Gefühlswelt der Mehrheit ihrer Bürger“ vorbeiregieren, kritisiert Chefredakteur Georg Anastasiadis. Seinen gesamten Leitartikel lesen Sie auf merkur.de*.
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Merkel und Seehofer wollen im Asylstreit das Gleiche - nur anders
Ganz anders bewertet die Frankfurter Rundschau Angela Merkels Asylpolitik: Ihrem Image der „Flüchtlingskanzlerin“ zum Trotz stehe sie mittlerweile für eine Politik der Abschottung, genau wie die CSU. Der einzige Unterschied: „Was sie will, ist ein Europa, das die ,Flüchtlingsabwehr‘ an seinen Außengrenzen betreibt und nicht, wie Seehofer es will, im nationalen Alleingang.“ Dass Merkel „für eher offene Grenzen“ und Seehofer „für den Kampf gegen das ,Fluten‘ Deutschlands mit Fremden“ stehe, sei falsch. Merkel und Seehofer stünden in ihren Positionen im Grunde sehr nah beieinander, so die These von Politikredakteur Stephen Hebel - näher, „als es den Menschenrechten der Geflüchteten guttut.“
Was sollen dann allerdings Seehofers Attacken auf die Kanzlerin? Purer Wahlkampf, heißt es im Kommentar: „Seehofer und seine bayerischen Vasallen“ würden „ohne Rücksicht auf Deutschland und Europa daran arbeiten, mit möglichst radikaler Flüchtlingsabwehr ihre Regionalwahl zu gewinnen.“
„CDU und CSU sind derzeit nicht regierungsfähig“
Sollte die Union aus CSU und CDU wirklich zerbrechen,sieht die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Kommentar schwarz für Deutschland: „An der Migrationsfrage, die Europa gespalten und radikalen Kräften den Weg in die Parlamente und Regierungen geebnet hat, droht nun auch noch die politische Kraft zu zerbrechen, die jahrzehntelang ein Stabilitätsfaktor in der deutschen und europäischen Politik war. Mit einem Bruch zwischen CDU und CSU wäre nur jenen gedient, die sich an einer solchen Katastrophe ergötzen würden.“ Es gehe jetzt für Deutschland nicht nur um die Rücknahme von Migranten: „Es geht um alles.“
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Auch andere Kommentatoren deutscher Zeitungen rücken das zerrüttete Verhältnis zwischen der Kanzlerin und ihrem Innenminister in den Fokus.
Süddeutsche Zeitung: "Das Verhältnis zwischen CDU und CSU ist vergiftet. Merkel hat recht: Eine Kanzlerin und ihr Innenminister müssen miteinander im Gespräch bleiben. Leider beweisen Merkel und Seehofer zurzeit nur, wie weit sie davon entfernt sind. Sie entfernen sich immer weiter davon, das Land verantwortungsbewusst zu führen. Nicht ausgeschlossen, dass am Ende beide weichen müssen."
Mannheimer Morgen: „Der eine traut der anderen nicht mehr über den Weg - und umgekehrt. Das ist gegenwärtig der Zustand der Union. Wie Merkel und Seehofer noch gemeinsam eine vernünftige Regierungspolitik zustande bringen wollen, falls der Krach irgendwie beigelegt werden kann, ist schleierhaft. Man kann den Bogen sogar noch weiter spannen und sagen: Derzeit sind CDU und CSU nicht regierungsfähig.“
Kölner Stadt-Anzeiger: „Doch wie um alles auf der Welt sollen Merkel und Seehofer künftig eigentlich noch auch nur halbwegs gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten? Die Autorität der Kanzlerin ist angeschlagen. (...) Merkel steht als Erpresste da, die CSU als mäßig erfolgreicher Erpresser. Verlierer sind beide. Das Ende ist offen."
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