Atomkraft ja bitte – aber warum kommt Lindners Einsicht so spät?

Die FDP will die Weiternutzung der Kernkraft prüfen. Ein richtiger Vorstoß angesichts von Putins Krieg, aber Dynamit für die Ampelkoalition. Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.
München – Überraschend am Atom-Vorstoß von FDP-Chef Lindner ist nur, dass er so spät kommt. Viel zu lange haben die Liberalen geschwiegen, aus Angst, die Ampel-Flitterwochen mit der Forderung nach einer längeren Nutzung der letzten deutschen Atommeiler zu verderben. Doch der rot-grün-gelbe Honeymoon ist jetzt eh vorbei. Dafür haben schon SPD und Grüne gesorgt, indem sie den kleinsten Koalitionspartner mit ihrem Ruf nach Steuererhöhungen für bestimmte vom Krieg begünstigte Branchen, etwa die Ölindustrie, zu grillen versuchen. Würde Lindner auch noch diese Kröte schlucken, wäre die FDP erledigt.
Atomkraft-Verlängerung: Die Zukunft des Industriestandorts Deutschland steht auf dem Spiel
Jetzt kommt sein Vorstoß ein bisschen wie eine Retourkutsche daher. Schon quietschen die Grünen vernehmlich. Richtig ist der Vorschlag dennoch, wenn die Regierung ihr eigenes Wort von der Zeitenwende ernst nimmt. Angesichts von Putins Vernichtungskrieg in Europa ist es eine nationale Verrücktheit, kostbares Gas für die Verstromung zu vergeuden und sich selbst einer verlässlichen und mehrheitlich (wieder) akzeptierten Energiequelle zu berauben. Diese könnte Deutschland schon im kommenden Winter dringend brauchen, um Blackouts zu verhindern.
Es ist ja nicht nur der Mörder im Kreml, der mit der Gas-Waffe fuchtelt. Auch der bisher als Energiereserve verfügbare Atomstrom aus Frankreich wird wegen der fälligen Sanierung vieler französischer AKW bald knapp. Da kann der grüne Wirtschaftsminister Habeck noch so viele Bücklinge vor den Gas-Scheichs machen: Geht die Energiepreisexplosion im Herbst ungebremst weiter, haben nicht nur die Ampelparteien ein Problem, sondern alle Bürger und Betriebe in Deutschland. Auf dem Spiel steht nichts weniger als die Zukunft des Industriestandorts Deutschland.