Angst vor dem nuklearen Schlag: Wie groß ist Putins Atom-Arsenal - und welchen Schaden kann es anrichten?

Wladimir Putin droht im Ukraine-Konflikt mit atomarer Kriegsführung. Wie groß und gefährlich ist Russlands Atomwaffen-Arsenal?
München - Seit Ende Februar wächst die Angst vor einer weiteren Eskalation im Ukraine-Konflikt - nicht zuletzt weil Wladimir Putin der Welt indirekt mit einem Atomschlag drohte. Für Merkur.de hat ein Experte die Gefahr eines Nuklear-Schlags eingeschätzt. Doch weitere Fragen schwelen: Wie viele Atomwaffen besitzt Russland? Welchen Schaden könnte ihr Einsatz verursachen?
Mit Stand Januar 2021 war Russland laut dem Friedenforschungsinstitut Sipri weltweit das Land mit den meisten Atomwaffen. Mit 6255 Atomsprengköpfen liegt es sogar noch vor den USA, welche zu diesem Zeitpunkt 5550 besaßen. Es folgt mit immensem Abstand China, das laut der Angaben 350 Atomsprengköpfe besaß.
Weltweit waren zu dem Zeitpunkt 13.080 atomare Sprengköpfe bekannt. Weitere Staaten im Besitz von Atomwaffen sind Frankreich, das Vereinigte Königreich, Pakistan, Indien, Israel und Nordkorea. Die nordkoreanischen Zahlen konnten dabei jedoch nicht unabhängig bestätigt werden. Die Ukraine gehört nicht zu diesen Atommächten.
Wie viele Atomwaffen hat Putin?
Von den Atomsprengköpfen im russischen Besitz sei jedoch vermutlich nur ein Bruchteil an Land, im Wasser und in der Luft einsetzbar, meint der Direktor des Nuclear Information Project der Federation of American Scientists, Hans Kristensen. In seiner Recherche „Nuclear Notebook“ schätzte der Atomwaffen-Experte 2021, dass sich in Putins Arsenal etwa 4500 nukleare Sprengköpfe befinden, welche in Langstrecken-Startvorrichtungen sowie auf Kurzstrecken taktisch verwendet werden können.

Aus dem Arsenal seien schätzungsweise 1600 nukleare Sprengköpfe einsatzbereit - 800 für den Einsatz an Land, etwa 624 für den Einsatz im Wasser und etwa 200 auf schweren Bomberbasen. Der Rest sei Reserve und nicht sofort einsatzfähig. Die verfügbaren Waffen seien jedoch vollkommen ausreichend, um Milliarden Menschenleben zu beenden, mahnt Kristensen.
Zusammen mit den eingelagerten, nicht sofort einsatzfähigen Sprengköpfen schätzt Kristensen Putins Arsenal in seiner Recherche auf 6257.
Strategische und taktische Atomwaffen: Was ist der Unterschied?
Militärisch unterschieden wird zwischen strategischen und taktischen Atomwaffen. „Während strategische Nuklearwaffen ganze Landstriche zerstören, lassen sich kleine, taktische Nuklearwaffen für eine psychologische Kriegsführung einsetzen“, erklärt die Professorin für Internationale Beziehungen an der Hertie School Berlin, Marina Henke, im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Taktischen Sprengköpfe hätten „eine deutlich geringe Sprengkraft als größere strategische Nuklearwaffen“, erklärte sie. Ihr zufolge kann durch die kleineren Bomben ein großer Bereich verseucht werden, ohne direkt Menschen zu töten. Nach Henkes Einschätzung geht es dabei dann um ein Signal: „In russischen Militärkreisen spricht man davon, die Nato durch eine solche Nuklearbombe so sehr in Schrecken zu versetzen, dass sie sich den Forderungen Russlands beugt.“
Henke betont aber auch, dass der Einsatz atomarer Waffen „nicht Putins erste, zweite oder dritte Wahl“ seien. Der Umstand, dass Russland eine Nuklearmacht ist, hebe den Ukraine-Krieg aber auf eine andere Ebene als etwa den Balkankrieg oder den Irakkrieg.
Putins implizierte Drohung mit Konsequenzen, „die ihr in eurer Geschichte noch nie erlebt habt“, sei Grund zur Annahme, dass zumindest theoretisch der Einsatz von Atomwaffen von russischer Seite möglich sei, so Henke. Den Einsatz von strategischen Atomwaffen durch Putins Russland sieht allerdings auch Experte Gustav Gressel als unwahrscheinlich an: „Ich bin sehr skeptisch, dass er sich dazu entscheidet, seine Atomwaffen gezielt einzusetzen. Denn er weiß, wie die Nato darauf reagieren würde“, sagte er Merkur.de. „Das Spiel mit dem Atomkrieg als politische Waffe ist Putins einziges Mittel, um die Öffentlichkeit zu verunsichern oder zu beeinflussen.“
Abrüstung der Atomwaffen zwischen USA und Russland
Im Zuge des Vertrags zur Reduzierung Strategischer Offensivwaffen (SORT) 2002 wurde der Umfang der nuklearen Arsenale von Russland beziehungsweise der USA auf 1700 bis 2200 einsatzfähige Gefechtsköpfe begrenzt.
2011 folgte das New-START (Strategic Arms Reduction Treaty) Abkommen zwischen den USA und Russland - damals unter Obama und Medwedew. Die Anzahl der strategischen nuklearen Waffen sollte weiter begrenzt werden. Über sieben Jahre sollte die Anzahl der Sprengköpfe von 2200 auf je 1550 und die Anzahl der Trägersysteme von 1600 auf 800 reduziert werden. Die Verlängerung dieses Abkommens wurde Anfang 2021 von Biden und Putin erneut bestätigt und unterschrieben.
Russlands Abschreckungskräfte können auch ohne Atomwaffen abschrecken
In Bezug auf die Abschreckungskräfte, die Putin am Sonntag (27. Februar) nach eigenen Angaben in Alarmbereitschaft versetzt hat, erklärt Militärexperte und Journalist Thomas Wiegold bei tagesschau24, dass es sich hierbei nicht nur um atomare Waffen handeln müsse. Auch sogenannte Hyperschallwaffen seien unter anderem Teil des Arsenals, gegen das eine Abwehr „kaum möglich“ sei. (mda)