1. Startseite
  2. Politik

Fatale Anfängerfehler: Baerbock und die Grünen vergeigen die Chance ihres Lebens

Erstellt:

Von: Maximilian Kettenbach

Kommentare

Annalena Baerbock und die Grünen hatten die große Chance auf das Kanzleramt. Doch stümperhafte Pannen ließen den Traum platzen.

München – Hervorgehoben wird immer ihre Detailversessenheit, die einst selbst Kanzlerin Angela Merkel bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 beeindruckt haben soll. Umso überraschender scheint es, dass ausgerechnet Annalena Baerbock eine Reihe von kleinen bis mittelschweren Patzern im Kampf um die Bundestagswahl unterliefen, die ihr am Ende die Nachfolge Merkels im Kanzleramt kosten dürften.

Dabei wirkt Baerbock in den vergangenen TV-Auftritten gelöster denn je. Schaltet auf Attacke um und bringt die Kanzler-Favoriten Olaf Scholz und Armin Laschet in die Bredouille. Es dürfte zu spät sein. Die Grünen finden sich in aktuellen Erhebungen auf Rang drei. Einige Punkte hinter SPD und Union. Allerdings unterstreichen diese Auftritte die Ambitionen, die die Grünen mit ihrer Vorsitzenden hatten.

Baerbocks steilen Aufstieg an die Parteispitze der Grünen 2018 krönte sie selbst mit der Kanzlerkandidatur im April 2021, indem sie sich den Vorzug vor ihrem Co Robert Habeck gab. Dem Mann, mit Regierungserfahrung und der durch Ruhe, Charme und Coolness die Menschen im Lande laut Umfragen besser abgeholt hätte. Doch Baerbock durfte sich bestätigt sehen. In Sonntagsfragen steuerte sie nahezu unbeirrt auf 30 Prozentpunkte zu und ließ die mit sich hadernde und in Grabenkämpfen verstrickte Union hinter sich.

Bundestagswahl: Baerbocks Hype wird der Saft abgedreht

Doch ehe der Hype so richtig beginnen konnte, drehte man ihm den Saft ab. Was nun folgte, war eine Serie von Aufregern im Mai, die zunächst am Lack des Vertrauens in ihre Person kratzten: Unvollständige Angaben im Lebenslauf, nachgemeldete Nebeneinkünfte oder Corona-Bonuszahlungen der eigenen Partei, die sie dem Bundestag erst verspätet gemeldet hatte. Sie konnte sich noch darauf berufen, dass vieles auch von einigen Medien aufgebauscht wurde.

Doch Baerbock war verunsichert, verhaspelte sich bei der steif vorgetragenen Rede auf dem Parteitag im Juni und murmelte im Abgang von der Bühne noch ein deutliches „Scheiße“. Es sollte eigentlich Baerbocks Kür sein.

Tatsächlich wurde sie auch überragend bestätigt, doch laut dem Spiegel sitzt eine zweifelnde Baerbock danach „müde, mürbe und frustriert, weil sie sich ungerecht behandelt fühlte“, im Saal. Jetzt haderte auch Baerbock, das war erkennbar.

Mit ihrem Buch verliert Annalena Baerbock die Bundestagswahl 2021

Schaffen sie noch die Trendwende? Robert Habeck und Annalena Baerbock beim Wahlkampf im Wald.
Schaffen sie noch die Trendwende? Robert Habeck und Annalena Baerbock beim Wahlkampf im Wald. © Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Wenige Tage später stellte sie ihr Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ vor. Fatal, weil völlig überhastet. Es dauerte keine zwei Wochen, da behauptet der österreichische Medienwissenschaftler und selbsternannte Plagiatsjäger Stefan Weber in seinem bis dato eher unbekannten Blog, die Kanzlerschaftsanwärterin habe an einer Handvoll Stellen von Dritten abgeschrieben hat. Es war die Bombe, die den Wahlkampf der Grünen sprengte. Nun fahndete gefühlt die halbe Republik nach weiteren abgeschriebenen Passagen. Es sollen angeblich 100 sein – das Buch hat 240 Seiten.

Zwei enorme Fehler der Grünen kamen in der Folge zu tragen. Ihr Team ging in die Gegenoffensive schaltete einen prominenten Medienanwalt ein und sprach von Rufmord. Viel zu spät zeigte Baerbock Reue und Einsicht. Zudem ließ sie das prominenteste Teammitglied nun auch im Stich: Robert Habeck – ihr Co, dem es nach eigener Aussage so schwerfiel Baerbock die Kandidatur zu lassen, der ihr jedoch jede Unterstützung versprach.

Im wichtigsten Moment lässt Habeck Baerbock im Stich

In ihrem wohl schwersten Moment der vergangenen Monate war er nicht an ihrer Seite, ließ öffentliche Anfragen passieren. Noch heute beruft er sich auf seinen Campingurlaub, um Kraft zu tanken. In der ARD-Doku „Wege zur Macht“ wird er auf Nachfrage deutlich, sucht die Fehler bei der Grünen Wahlkampfleitung: Es sei ja „offensichtlich, dass was schiefgelaufen ist“. Die Partei war im Checken von Veröffentlichungen gnadenlos durchgefallen.

Insgesamt bleibt fatalerweise auch hängen, dass Habeck zu lange im Grünen-Wahlkampf nicht existent war. Urlaub hin oder her. Habeck absolvierte viele Wahlkampftermine, doch den Bruch konnte er nicht mehr ausmerzen. Für Habeck dürfte das nicht ganz ohne Eigennutz bleiben, in vier Jahren könnte er eine vielleicht noch größere Chance haben, nach dem mächtigsten Amt in Deutschland zu greifen.

Und Baerbock? Die lässt in der ARD-Dokumentation durchblicken, dass man das, was auf die Partei einprasselte, deutlich unterschätzt habe: „Wir hätten uns noch stärker vorbereiten müssen, was so ein Wahlkampf mit einer Kanzlerkandidatur alles braucht.“ Eine Überforderung weist sie klar von sich, jedoch sei man „auf diverse Angriffe nicht vorbereitet“ gewesen, und habe die notwendigen Ressourcen nicht bereitgestellt.

Baerbocks Grünen unterlaufen ein paar Fehler zu viel - so verspielen sie die Chance auf die Merkel-Nachfolge

Zu guter Letzt unterlief den Grünen ein taktischer Fehler. Nicht jede Talkshow besuchen zu können, nicht jeder Zeitung ein Interview geben zu können und im liebsten Fall mit den wohlgesonnenen Journalisten gleich mehrmals – das scheint plausibel. Das auflagenstärkste Blatt jedoch zu ignorieren und die kritische Berichterstattung auf solche Weise zu erdulden, dürfte jedoch ein misslungenes Manöver gewesen sein. Im Übrigen nicht das einzige Interview, das Baerbock lieber nicht antrat.

Tragisch. Ausgerechnet bei der eigens ausgerufenen Klimawahl patzten die sonst so penibel arbeitenden Grünen. Ob das Wahlvolk Baerbocks inhaltstarke Auftritte noch honoriert oder der Klimastreik am Freitag noch hilft? Vielleicht. Für Merkels Nachfolge wird es allerdings nicht mehr reichen. Baerbock hat mit dem Wahlslogan „Bereit, weil Ihr es seid“ gezeigt, wie sehr sie an die Menschen im Lande glaubt, doch sie hat zu viel Vertrauen der Bevölkerung verspielt. Und damit vielleicht die Chance ihres Lebens vertan.

Auch interessant

Kommentare