Baerbocks Ukraine-Besuch - „Junge Dame“-Kommentar im ZDF sorgt für Entrüstung: „Ich habe es satt“
Am Dienstag besuchte Annalena Baerbock die Front in der Ostukraine. Für ihre 40-minütige Stippvisite muss die Außenministerin auch Kritik einstecken.
Berlin - Wie hat man sich zu fühlen, wenn man mit Stahlhelm auf dem Kopf die Frontlinie in einem Konfliktgebiet inspiziert? Ginge es nach Tagesspiegel-Redakteur Christoph von Marschall, wäre wohl ein entspanntes Lächeln angebracht gewesen. „Dieses Bild ist wirklich ein bisschen entlarvend“, kommentierte der Journalist am Mittwochmorgen im ZDF-„Morgenmagazin“ ein Foto von Annalena Baerbock in der Ostukraine. „Man sieht ja deutlich, dass diese junge Dame, die unsere Außenministerin ist, sich in dieser Situation nicht besonders wohlfühlt.“
Baerbock eine „junge Dame“? Äußerung sorgt für Entrüstung
Auf Twitter zog von Marschalls Äußerung einen Sturm der Entrüstung nach sich - vor allem das despektierlich wirkende „junge Dame“ erzürnte viele Nutzer. Unter dem Hashtag „diesjungedame“ schrieb etwa die Autorin Annika Brockschmidt: „Am Beispiel Baerbock und ihrer Titulierung durch einen der Chefkorrespondenten des Tagesspiegel als #diesejungedame sieht man übrigens wieder, wie empfindlich das Patriarchat darauf reagiert, wenn (junge) Frauen in sogenannten ‚Männerdomänen‘ Raum einnehmen.“
Auch „Morgenmagazin“-Moderatorin Dunja Hayali äußerte sich zu der Aussage ihres Gastes: „In der Presseschau laden wir Kolleg*innen ein, um ihre Kommentierung zu hören. Anders als bei Politiker*innen/ Expert*innen widersprechen wir hier in der Regel nicht.“ Stattdessen habe sie im Nachhinein mit von Marschall gesprochen. Bei Twitter teilte die 47-Jährige einen Screenshot einer Konversation mit dem Journalisten, in der dieser sein Bedauern über seine Formulierung ausdrückte: „Es tut mir leid, wenn meine Formulierung Anlass für Missverständnisse gegeben hat.“
Doch die Entschuldigung kam offenbar ebenfalls nicht gut an. Zeit-Journalistin Judith Liere lederte: „Ihr nennt Frauen unter 45 „junge Dame“, aber flippt aus, wenn man euch „alte weiße Männer“ nennt, weil das ja schließlich eine abwertende Schublade sei.“
Grünen-Politikerin Britta Haßelmann nimmt Baerbock in Schutz: „Sie zeigt Haltung, Mut und klaren Kompass. Ich habe es satt, dass irgendwelche Typen meinen, mit #diesejungedame Haltungsnoten an Frauen in Führungspositionen verteilen zu können. Das haben so viele Frauen zu oft erlebt. Es reicht!“ Ein weiterer Kommentar lautet: „Es bleibt ein mühseliger Lernprozess, Frauen aus ihren Rollenbildern herauszuholen und ihnen den Respekt für ihre geleistete Arbeit entgegenzubringen.“
Baerbock in der Ukraine: Reaktionen auf ihren Besuch
Wohlgefühlt hatte sich Baerbock jedenfalls tatsächlich nicht bei ihrer Stippvisite ins Krisengebiet. Sie komme von ihrem Aufenthalt mit „sehr bedrückenden Gefühlen“ zurück, gab Annalena Baerbock im Anschluss zu Protokoll. Kein Wunder, wird dort doch noch immer fast täglich scharf geschossen: Erst am Sonntag war nach Angaben russischer Separatisten auf ihrem Gebiet bei der Stadt Donezk ein Mann von einem ukrainischen Scharfschützen getötet worden. Am Montag wurde in der Gegend nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums ein Soldat der Regierungstruppen verletzt. Und auf der anderen Seite der Grenze warten seit Wochen Zehntausende russische Soldaten auf einen Befehl Putins, dessen Inhalt freilich derzeit niemand kennt.
Kritik an Baerbocks Frontbesuch kam auch vom Bundestagsabgeordneten Jan Korte. Der Politiker der Linken kritisierte allerdings nicht Baerbocks Gemütslage, sondern ihren Besuch als solchen: „Was finden einige Grüne eigentlich so geil daran, sich martialisch mit Helm und Schutzweste an der Front ablichten zu lassen? Über Wege zum Frieden redet man mit PolitikerInnen, nicht mit Militärs“, schrieb Korte bei Twitter.
Annalena Baerbock: Treffen mit ukrainischem Amtskollegen - „Ist es eigentlich Ihr Geld?“
Vor ihrem Besuch an der Front hatte sich Baerbock in Kiew mit ihrem Amtskollegen Dmytro Kuleba getroffen und ihre Solidarität mit der Ukraine verkündet. Mit Bezug auf mögliche Sanktionen gegen Russland, sollte Putin tatsächlich den Befehl zum Einmarsch ins Nachbarland geben, sagte sie: „Wir sind bereit, für die Sicherheit der Ukraine einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen.“ Ein Satz, der sowohl von ganz links als auch von ganz rechts außen für Kritik sorgte.
„Ist es eigentlich Ihr Geld, das Sie ohne Legitimation des Bundestages in der Ukraine verteilen, Annalena Baerbock? Haben Sie die Bürger gefragt, ob sie bereit sind, einen ‚hohen wirtschaftlichen Preis zu bezahlen‘?“, schrieb AfD-Fraktionschefin Alice Weidel bei Twitter. In dieselbe Kerbe schlug, ebenfalls auf Twitter, Sevim Dağdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken: „Außenministerin Baerbock muss offenlegen, welche Hilfszusagen sie der Ukraine im Einzelnen gemacht hat und welchen ‚hohen wirtschaftlichen Preis‘ die Bürger Deutschlands im Fall weiterer Sanktionen gegen Russland zahlen sollen. Ist ja nicht ihr Geld.“
Ukraine-Konflikt: Außenministerin Baerbock vor Ort
Baerbock hatte sich am Dienstag etwa 40 Minuten an der Front zwischen der ukrainischen Armee und den von Russland unterstützten Separatisten aufgehalten. In dem Gebiet kommt es trotz eines Waffenstillstands immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Separatisten. Am selben Tag hatte sich Bundeskanzler Olaf Scholz in Washington mit US-Präsident Joe Biden getroffen, um über die Lage in der Ukraine zu sprechen. Während Biden ein Aus von Nord Stream 2 im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine forderte, erwähnte Scholz die geopolitisch umstrittene Ostseepipeline nicht.
Baerbock ist unterdessen bereits zur nächsten heiklen Reise aufgebrochen: In Jerusalem sicherte sie Israel Solidarität zu - übte aber auch inhaltliche Kritik. (sh/dpa)