Bayern zeigt in der Gas-Krise auf die Ampel – doch so bekämpfte die CSU Stromtrassen einst selbst

Bayern ist von der Energie-Krise besonders betroffen. Dabei war es der Freistaat, der den Bau von Stromtrassen lange verzögerte – und voll auf Gas setzte.
München – Es ist Oktober 2014, als Horst Seehofer ein tolles Thema entdeckt: den Kampf gegen die „Monstertrassen“. Diese Stromtrassen, die offiziell „Südlink“ und „Südostlink“ heißen, sollen vor allem Ökostrom aus dem windigen Norden in den Freistaat bringen. Seit Wochen regt sich im Norden des Freistaats Widerstand. Ein gewisser Hubert Aiwanger, damals Oppositionspolitiker, tingelt durch die betroffenen Gemeinden und mobilisiert.
Schließlich sagt Seehofer in einem Interview: „Wir sind im Moment an einer Wegscheide, wo wir wirklich nachdenken müssen über den nächsten Schritt der Energiewende.“ Was er meint: Die Energiewende ist der CSU nicht so wichtig. Und die zwei geplanten Leitungen sollten nicht gebaut werden. Stattdessen will Seehofer neue Gaskraftwerke. Grüne und SPD sind empört – Aiwanger ganz begeistert.
Wer die aufgeregte Energiediskussion dieser Tage verfolgt, die ständigen Vorwürfe aus dem Freistaat in Richtung Berlin – der muss an diese Episode bayerischer Landespolitik denken. Ein Blick ins Archiv fördert Interessantes zutage: Eigentlich hatten die Länder 2013 dem Bund die Kompetenz für den Bau der Trassen übertragen – um die Energiewende zu beschleunigen und als Ersatz für die Atomkraftwerke. Dann stellte sich Bayern quer. Ausnahmsweise treu an der Seite Seehofers: Markus Söder.
Energietrassen blockieren: „Ich finde das eine gute Idee“, so Söder damals
Der damalige Heimatminister kündigte im April 2015 an, mithilfe des Landesentwicklungsprogramms die Trassen zu blockieren. Darin sollten ökologisch sensible Gebiete wie etwa Gebirgsrücken gesperrt werden. Das war Seehofers Vorschlag. „Ich finde das eine gute Idee“, sagte Söder damals. Und: „Der Bund kann sich nicht einfach über die Länder hinwegsetzen.“ Wenn sich Berlin über landesplanerische Vorgaben hinwegsetze, sei Bayern „auch bereit, das juristisch entscheiden zu lassen“.
Söders Einsatz für Seehofers Projekt wird verständlicher, wenn man bedenkt, wer damals die eigentlich zuständige Energieministerin war: Söders Konkurrentin Ilse Aigner. Diese war erst kurz zuvor aus Berlin nach München gewechselt und hielt die Trassen für eine gute Sache – schließlich sollte der Strom jenen aus den Atomkraftwerken ersetzen, die ja bis Ende 2022 abgeschaltet würden. Intern flogen die Fetzen, Aigner musste schließlich gegen ihren Willen die harte Seehofer-Position vertreten. Auch ihren Plan, mithilfe von Pumpspeicherkraftwerken (beispielsweise am Jochberg) regenerative Energie zu speichern und in schwachen Zeiten zu nutzen, konnte sie nicht durchsetzen.
Grüne: CSU hat die „Energieschlagader Bayerns abgeschnürt“
Diskussionen und Ärger über die Trassen gab es natürlich überall in Deutschland. Wer will so etwas schon in der Nachbarschaft? Aber nirgends sonst stellte sich die Landesregierung gegen den Plan. Die anderen Ministerpräsidenten waren außer sich: „Wer hier Abwehrkämpfe führt, hat nicht verstanden, was auf dem Spiel steht“, schimpfte Torsten Albig (SPD), Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. „Wir brauchen den Netzausbau, und zwar dringend“, sagte auch der Kollege aus Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU). Aus der CSU widersprachen nur wenige Seehofer. Der Wirtschaftspolitiker Peter Ramsauer nannte Bayerns Position „Verrat an der gesamten Energiewende“.
Inzwischen sind die meisten Atomkraftwerke vom Netz, den Strom aus dem Norden könnte der Freistaat gut gebrauchen. Aber die Trassen werden erst in Jahren fertig. „Es war fahrlässig von der CSU, den Ausbau der Stromtrassen erst zu blockieren und dann über ein knappes Jahrzehnt zu verschleppen“, sagt Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann heute. Man habe die „Energieschlagader Bayerns abgeschnürt“. Bayern müsse beim neuen Stresstest der Bundesnetzagentur besonders unter die Lupe genommen werden. Hartmann: „Der Freistaat ist zum Energie-Sorgenkind der Nation geworden.“ VON MIKE SCHIER
Im Kreml amüsiert man sich über die eigenen Lügen zu den angeblich defekten Gas-Turbinen. Orban scherzt über deutsche Gas-Expertise aus dem Holocaust. Georg Anastasiadis kommentiert.