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Lambrecht-Nachfolger vor Mammutaufgabe: Pistorius will Gas geben – „Ich lese nichts anderes mehr“

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Von: Mike Schier, Leonie Hudelmaier

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Boris Pistorius
Boris Pistorius ist der Nachfolger von Ex-Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. © Julian Stratenschulte/dpa

Er scheint nicht die erste Wahl gewesen zu sein. Aber dafür stößt der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius in Berlin auf erstaunlich viel Wohlwollen. Die Aufgabe ist riesig.

München – Auf Boris Pistorius wartet ein Kaltstart. Am Donnerstagmorgen (19. Januar) um 9 Uhr soll der 62-jährige SPD-Politiker im Bundestag vereidigt werden. Kurz darauf steht schon US-Amtskollege Lloyd Austin vor der Ministeriumstür. Tags darauf treffen sich beide wieder: Im rheinland-pfälzischen Ramstein tagt die Ukraine-Kontaktgruppe, um über weitere Waffenlieferungen zu beraten. Der Nachfolger von Christine Lambrecht muss thematisch also sofort auf Flughöhe sein. „Ich habe vieles im Kopf, das können Sie mir glauben. Ich lese seit gestern nichts anderes mehr“, sagt Pistorius am Dienstagnachmittag in einem ersten, kurzen Statement.

Neuer Verteidigungsminister Boris Pistorius war früher selbst in der Bundeswehr

Es sind – mal wieder – turbulente Tage in Berlin. Und Pistorius, seit 2013 Innenminister von Niedersachsen, ist etwas überraschend im Zentrum des Sturms gelandet. „Es ist mir eine außerordentlich große Ehre“, sagt er. Sehr überraschend sei der Anruf des Bundeskanzlers am Montag gewesen. Aber nein, gezögert habe er nicht. Das unterscheidet ihn von anderen SPD-Politikern, die offenbar wenig Lust verspürten, das schwierige Amt zu übernehmen. Lars Klingbeil wollte lieber SPD-Chef bleiben, Hubertus Heil Sozialminister und Wolfgang Schmidt wird als Chef des Kanzleramts und rechte Hand von Olaf Scholz gebraucht. Deshalb also Pistorius. Ein Konservativer, bodenständig und direkt. Ein Familienvater und Ex-Partner der ehemaligen Kanzler-Gattin Doris Schröder-Köpf. Einer mit Regierungserfahrung – wenn auch nur auf Landesebene. Einer, der die Sprache der Truppe versteht.

Man könnte auch sagen: Einer, der gedient hat. 1980/81 Steuben-Kaserne in Achim bei Bremen. „Das war die Heeresflugabwehr. Ich war damals Wehrpflichtiger und sollte Fahrer des Gepard-Panzers werden“, erinnert sich Pistorius. Doch daraus wurde nichts – der Kommandeur suchte auch einen Fahrer.

Boris Pistorius: „Ich will die Bundeswehr stark machen.“

Vielleicht weiß Pistorius deshalb, was die Soldaten jetzt hören wollen. „Ich will die Bundeswehr stark machen.“ Und: „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde.“ Hinter vorgehaltener Hand war im politischen Berlin zuletzt immer öfter zu hören gewesen, wie schwierig das Haus sei. Fast unführbar. Der interne Widerstand, die ständigen Durchstechereien an die Presse. Schon der später so beliebte Peter Struck habe sich einst geärgert, nicht zu Beginn mehr Posten mit Vertrauensleuten besetzt zu haben. Man darf also davon ausgehen, dass Pistorius ein paar Vertraute installieren wird. „Das Verteidigungsministerium ist schon in Friedenszeiten eine große Herausforderung“, sagt er. Deutschland sei aber „indirekt“ am Krieg in der Ukraine beteiligt.

Boris Pistorius
Großer Andrang: Am Mittag äußerte sich der künftige Verteidigungsminister Boris Pistorius erstmals öffentlich zu seiner neuen Aufgabe. © Julian Stratenschulte/dpa

Bis er am Donnerstag vereidigt ist, will sich der Neue inhaltlich nicht äußern. Das erledigen andere. Zum Beispiel Lars Klingbeil, seit Jahren im Verteidigungsausschuss. Pistorius sei „jemand, der die notwendigen Reformen beschließt“, sagt der SPD-Chef. Es gehe um das Beschaffungswesen und darum, die 100 Milliarden Euro Sondervermögen auf den Weg zu bringen und die Truppe auszustatten. „Nachdem 16 Jahre lang die Kollegen der Union dafür gesorgt haben, dass bei der Bundeswehr immer weniger zur Verfügung stand.“

Kann und wird Pistorius die Ukraine-Politik ändern? Die Chancen sind gering

Vorgängerin Lambrecht war immer wieder dafür kritisiert worden, dass sie den Wandel nicht entschlossen genug angehe. An der insgesamt zurückhaltenden Ukraine-Politik der Regierung dürfte aber auch ihr Nachfolger wenig ändern – denn die kommt von Scholz und der SPD-Spitze um Klingbeil, Saskia Esken und Fraktionschef Rolf Mützenich. Der Appell von Unionsfraktionschef Friedrich Merz, Pistorius möge nun rasch grünes Licht für die Lieferung deutscher Kampfpanzer vom Typ Leopard geben, dürfte verpuffen.

Die größte Kritik an der Berufung kommt ausgerechnet vom Koalitionspartner. Den Grünen missfällt, dass der Neue keine Frau ist. Fraktionschefin Katharina Dröge sagt, Pistorius sei zwar geeignet und qualifiziert. „Aber unser Selbstverständnis ist es, dass im Jahre 2023 ein Kabinett paritätisch besetzt ist.“

Mike Schier/Leoni Hudelmaier

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