1. Startseite
  2. Politik

Wie Influencer aus Armenvierteln in Brasilien für mehr Diversität auf sozialen Netzwerken sorgen

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Lisa Kuner

Kommentare

Influencer Lucas Santos lebt in einem Armenviertel in Rio de Janeiro
Influencer Lucas Santos lebt in einem Armenviertel in Rio de Janeiro © Lucas Santos

In Brasilien haben Marken die Kaufkraft der Ärmeren im Blick und setzen auf Influencer aus Favelas. Das hilft nicht nur den Verkaufszahlen, sondern auch der Diversität.

Complexo do Maré/Rio de Janeiro -  Schicke weiße Stiefeletten, knallbunte Pullover oder ein Eistee aus der Dose - Zur Arbeit von Lucas Santos gehört es, Produkte von Unternehmen in den Kamera zu halten und seinen rund 45 Tausend Followern auf seinem Instagram-Kanal @lucasantosph die Vorteile zu erklären. Vor der gut ausgeleuchteten Kamera auf den sozialen Netzwerken des 24-Jährigen mit den bunten Dreadlocks sieht das am Ende aus, wie bei vielen anderen Influencern auch: Perfekt inszeniert und irgendwie nach viel Geld. Aber Santos versucht gar nicht Reichtum zu verkörpern. Eigentlich repräsentiert er eher das Gegenteil, denn er lebt im Complexo do Maré, einem Armenviertel in Rio de Janeiro. 

Rund 14 Millionen Brasilianerinnen und Brasilianer leben wie Santos in den Armenvierteln, den sogenannten Favelas, des Landes. Das sind sieben Prozent der Bevölkerung, deren Lebensrealität in klassischen Medien oft vergessen wird. Soziale Medien geben diesen Menschen die Möglichkeit sich selbst zu präsentieren und verleihen ärmeren Bevölkerungsgruppen dadurch verstärkt eine Öffentlichkeit.

Brasilien: Für Menschen aus den Favelas, den Armenvierteln des Landes, ist das Leben schwerer

„Ohne das Internet könnte ich meinen Job nicht machen“, erzählt dazu Lucas Santos. „Ich wollte immer gerne PR studieren, aber ich hatte nie Zugang zu einer Uni“. Alles, was er über Marketing, Fotografie und Mode weiß, musste er sich selbst beibringen. „Die sozialen Netzwerke, waren da meine einzige Chance. Dass ich heute so arbeiten kann, macht mich stolz“, sagt Santos. Für Menschen, die aus den Favelas kommen, sei alles im Leben viel schwerer zu erreichen – egal ob ein Schulabschluss, der Zugang zu guten Jobs oder nicht unbeteiligt bei einer Schießerei ums Leben zu kommen. Lucas Santos will deshalb als Influencer nicht nur Werbung machen, sondern auch sensibilisieren. In seinen Videos spricht er darum oft über Ungleichheit, Armut, Rassismus und Homophobie.

Wirtschaftliche Relevanz von Armenvierteln - Brasilianische Agenturen fokussieren Influencer

Inzwischen hat haben viele Unternehmen das wirtschaftliche Potenzial der Influencer aus den Favelas erkannt. Die Agentur „Digital Favela“ hat sich darauf spezialisiert, kleine und mittlere Accounts aus den Armenvierteln zu fördern. Mit Content-Erstellern direkt aus den Armenvierteln, sollen Unternehmen zukünftige Kunden und Kundinnen noch besser erreichen. Wenn „Menschen von nebenan“ Shampoo, Make-Up oder Kleidung bewerben, dann ist das für den armen Teil der Bevölkerung glaubwürdiger, als wenn eine reiche Brasilianerin im privaten Jet dasselbe Produkt in die Kamera hält. Zwar könnte man denken, dass die Bewohner von Armenviertel keine große wirtschaftliche Macht haben, die Realität ist aber anders: Rund 27 Milliarden Dollar Kaufkraft gehen jährlich von den Bewohnern brasilianischer Favelas aus. Aus allen Ecken Brasiliens und zu beinahe allen Themen gibt es darum inzwischen Influencer aus Armenviertel – neben der Werbung für den Eyeliner erklären sie dann oft noch mit, wie man mit wenig Geld ein perfektes Makeup zaubert und wie man es schafft, dass das in der schweißtreiben Busfahrt nicht gleich wieder zerläuft.

Lucas Santos ist dabei wichtig, dass er und andere Influencer aus den Favelas nicht nur für Armut, Rassismus und Diskriminierung stehen, sondern mit ihrer Expertise und als Menschen wahrgenommen werden. „Meine Themen sind Mode und Make-Up. Ich bin Fotograf“, erzählt er. Andere Influencer aus den Favelas machen beispielsweise verstärkt Werbung für Tourismus, der in Brasilien bis zum Beginn der Pandemie boomte.

Social: „Von da, wo ich herkomme, ist es eine große Errungenschaft, nicht vor dem 18. Geburtstag an einer Kugel zu sterben“- schreibt Lucas Santos auf Instagram. Erst nachdem er schon mehrere Jahre als Influencer arbeitete, machte er öffentlich, dass er aus einem von Rios Armenvierteln kommt. 

Brasilien: Arbeit aus der Favela ist eine Herausforderung

Zwar wächst der Markt, aber die Arbeit mit Werbeprodukten in der Favela ist eine Herausforderung – auch für Lucas Santos. Promotions-Sets mit Werbeartikel können die Unternehmen nicht zu ihm nach Hause schicken, denn die meisten Postdienste liefern nicht in Favelas. Viele der Armenviertel sind sogenannte „Risikozonen“, weil es dort häufiger zu Schießereien oder Raubüberfallen kommt. Hinzu kommt, dass es in vielen Teilen der Favelas keine befestigten Straßen gibt. So kommen nicht nur Werbekits nicht zu Lucas Santos nachhause, sondern auch keine Taxis oder Essensbestellungen von großen Restaurantketten. Bevor er eine neue Creme präsentieren kann, muss Santos die erst zu Fuß bei einer Poststation oder einem Kurierdienst abholen. „Ich versuche darüber zu lachen“, meint der Influencer dazu.

Brasilien: Vorurteile gegenüber armen Menschen - Influencer Lucas Santos steht zu seiner Herkunft

Inzwischen steht der junge Mann offen zu seiner Herkunft: Dass er schwarz ist und aus einem Armenviertel kommt, ist Teil seiner Marke geworden. Das war nicht immer so. Bis 2019 nannte er auf die Frage, wo er herkomme, ein bürgerliches Wohnviertel in der Nähe des Complexo de Maré. „Ich habe mich nicht dafür geschämt, wo ich herkomme, aber es gibt so viele Vorurteile gegenüber Bewohnern von Favelas“, erzählt er. Menschen aus Favelas würden im schlimmsten Fall als Drogendealer und im besten Fall als dumm und ungebildet angesehen. Darum habe er Angst gehabt, dass seine Arbeitgeber negativ auf seine Herkunft reagieren könnten – glücklicherweise haben sie das nicht. „Ich möchte die Menschen, die mir folgen, ermutigen“, erzählt er. Es sei wichtig, dass auch arme Menschen öffentlich sichtbar und so mögliche Vorbilder seien. Noch immer gebe es das viel zu selten. Besonders freut Santos darum, wenn Follower oder Followerinnen ihm das Feedback geben, dass er sie bestärkt.

Influencer in der Nische - Diversität in sozialen Medien in Brasilien noch Randphänomen

Auch wenn Lucas Santos und andere junge Menschen aus den Favelas so für etwas mehr Diversität auf sozialen Medien sorgen und zehntausende Menschen erreichen, sind sie noch eine Nische. Accounts wie der von Santos gehören zu den sogenannten „Micro Influencern“. Die größten brasilianischen Content-Creator erreichen jeden Tag ein Millionen Publikum – und von den zehn größten Accounts des Landes kommt nicht kein einziger aus einem Armenviertel.

Ob Lucas Santos für immer in der Favela Maré wohnen bleibt, kann er nicht sagen. Auch wenn er sein Zuhause mag, das Leben in der Favela hat viele Nachteile. Gewalt ist an der Tagesordnung, die Gesundheitsversorgung ist schlechter als in anderen Teilen der Stadt und Strom und Internet fallen häufiger aus. „Wenn ich wegziehe, dann aber auf jeden Fall nicht, weil mir die Favela peinlich ist“, sagt er. „Sondern weil wo anders zu wohnen mein Leben und meine Arbeit erleichtern würden“. (Lisa Kuner)

Das sind die 10 größten Influencer aus Brasilien*

*summierte Zahl der Follower auf allen sozialen Netzwerken (Youtube, Facebook, Instagram und Twitter), Quelle

Corona hat Brasiliens Wirtschaft stark getroffen. Trotzdem hat sich durch die Pandemie die soziale Ungleichheit verringert.

Autorin: Lisa Kuner

Auch interessant

Kommentare