Brexit-Übergangsfrist: EU und UK haben noch vieles zu verhandeln

Bis Silvester gilt eine Übergangsfrist, in der Großbritannien und die EU ihre Beziehungen neu sortieren können. Kritisch könnte vor allem der Handel werden.
- Nach dem Brexit gilt eine Übergangsphase bis Ende des Jahres 2020.
- Innerhalb dieses kurzen Zeitraums können die Briten und die EU ihre Beziehungen neu sortieren.
- Boris Johnson will die Übergangsfrist auf jeden Fall einhalten, Experten vermuten ein taktisches Manöver.
London - Die EU steht vor einer historischen Zäsur: Bisher war die Staatengemeinschaft immer gewachsen, an einen Austritt hatte lange Zeit niemand gedacht. Selbst der „Grexit“ für das wirtschaftlich angeschlagene Griechenland war nur als Ausscheiden aus der Eurozone gedacht, nicht aus der Europäischen Union.
Doch nun verlässt Großbritannien als erstes Mitglied nach jahrelangem Ringen die Europäische Union. Ein Abkommen wurde ausgehandelt, die nächsten Schritte wurden zur Formsache. Das Brexit-Datum wurde auf den 31. Januar festgelegt.
Doch was kommt danach? Was wird aus den EU-Bürgern im Vereinigten Königreich? Was mit den Handelsbeziehungen? Und was passiert mit den durch die EU eingeführten Gesetzen und Normen?
Brexit: Abkommen enthält Übergangsfrist von einem Jahr
Ein No-Deal Brexit hätte diese Fragen offen gelassen und damit nicht nur Großbritannien ins Chaos gestürzt. Insbesondere die Unternehmen dies- und jenseits des Kanals hätten ihre Geschäfte nicht störungsfrei fortsetzen können.
Dem sind die neue britische Tory-Regierung und die EU-Unterhändler allerdings zuvorgekommen. Sie haben ein Abkommen ausgehandelt, das eine Übergangsphase bis Ende des Jahres 2020 vorsieht. Bis zum 31. Dezember bleibt damit erstmal vieles beim Alten.
Übergangsfrist gilt für EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU
Zum Beispiel dürfen sich EU-Bürger bis dahin in Großbritannien aufhalten. Und auch Engländer, Waliser, Schotten und Nordiren können umgekehrt problemlos in Europa bleiben. Bis zum Ende der Übergangsfrist reicht reisenden EU-Bürgern auch weiterhin ein Personalausweis zur Einreise.
Danach braucht man aber einen gültigen Reisepass. Für Aufenthalte über drei Monaten wird dann zudem Visumpflicht bestehen. Wie sich Auslandsaufenthalte für Studenten gestalten, wenn das Erasmus-Programm nicht mehr gilt, ist ebenfalls noch unklar.
In der Brexit-Übergangsphase bleibt die Zollunion mit der EU bestehen
Wichtigste Nachricht für die Unternehmen ist, dass die Zollunion ebenfalls erst einmal weiter besteht - auch wenn ein möglicher „harter Brexit“ noch nicht ausgeschlossen ist. Damit fallen keine Zölle auf Importe und Exporte der Briten und der EU-Mitgliedsstaaten an. Dafür zahlen die Briten weiterhin ihre Beiträge, die im Wahlkampf eines der Hauptargumente der „Brexiteers“ waren.
Die Handelsbeziehungen können also vorerst aufrecht erhalten werden. Bis zum folgenden Jahr muss aber ein Handelsabkommen verabschiedet werden, ansonsten stehen die Parteien erneut vor einer Art No-Deal-Brexit.
Die schmerzliche Trennung ist also noch nicht durchgestanden. Das Problem: elf Monate sind dafür reichlich knapp bemessen. Das monierte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Brexit-Übergangsfrist stammt von 2017, Boris Johnson will sie aber auch nicht verlängern
Die aktuelle Frist besteht schon seit 2017 und hängt mit der Haushaltsplanung der EU zusammen, die am 31. Dezember endet. 2017 ging man jedoch noch vom Austrittstermin im März 2019 aus. Was zwischenzeitlich passierte, ist hinlänglich bekannt: Theresa May trat nach wiederholten Anläufen zurück und machte die Bahn frei für Boris Johnson, der seine Macht mit dem Wahlsieg im Dezember festigte.
Mit der Mehrheit des Parlaments konnte „The Boris“ nun seinen Slogan „Get Brexit done!“ (“Setzt den Brexit um!“) wahrmachen. Und obwohl der neue Termin am 31. Januar fast ein Jahr nach dem ursprünglichen Datum liegt, will der Premierminister bei der Frist bleiben.
Brexit: Boris Johnson will mit Zöllen Druck auf die Europäische Union ausüben
Johnson will sich dafür sogar rechtlich absichern: Auch wenn kein Handelsabkommen zustande kommt, soll Großbritannien die Zollunion verlassen. Dann würden für die EU-Staaten umfangreiche Zölle auf Exporte Richtung Insel anfallen.
Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) sieht darin eine Strategie des Premiers: „Großbritannien setzt die EU durch seine Zollstrategie unter Druck. Nach dem Ausscheiden aus der EU wird das Königreich als Handelspartner für andere Länder attraktiver. Europäische Exporteure bekommen deutlich mehr Konkurrenz, dies ist ein starker Anreiz für die EU, ein Freihandelsabkommen mit den Briten zustande zu bringen“, erklärt IfW-Präsident Gabriel Felbermayr in einer Stellungnahme.
pks