Fünf Lehren aus der Bundespräsidentenwahl: Harte Worte, mehrere „Abweichler“ - und zweimal Corona-Ärger

Frank-Walter Steinmeier bleibt Bundespräsident. Doch rund um die Bundesversammlung gab es auch Überraschungen - fünf bemerkenswerte Erkenntnisse im Überblick.
- Die Bundesversammlung hat Frank-Walter Steinmeier* am Sonntag (13. Februar) für weitere fünf Jahre als Bundespräsident bestätigt.
- Neben dem erwarteten Ergebnis gab es aber auch Überraschungen - etwa kleinere Abweichungen bei der Stimmenzahl für die Kandidaten.
- Auch das Thema Corona spielte eine große Rolle. Auch in Form von Wirren beim Einlass ins Paul-Löbe Haus.
Berlin/München - Deutschland hat einen neuen Bundespräsidenten*. Es ist, wenig überraschend, zugleich der alte: Die Bundesversammlung hat Frank-Walter Steinmeier für fünf weitere Jahre als deutsches Staatsoberhaupt bestätigt.
So weit, so gut. Doch neben dem erwarteten Ergebnis* hat der Sonntag (13. Februar) auch einige neue Erkenntnisse und durchaus bemerkenswerte Randnotizen erbracht. Die wichtigsten Lehren im Überblick - von klaren Worten Steinmeiers, über Abweichler im Wahlgremium und einen Test-Eklat bis hin zu den Fallstricken einer großen Wahl in bewegten Coronazeiten.
Bundespräsidentenwahl: Steinmeier beginnt zweite Amtszeit mit klaren Worten
In seiner ersten Amtszeit als Bundespräsident war Steinmeier bisweilen mangelnde rhetorische Klarheit vorgeworfen worden. Nach seiner Wiederwahl bemühte sich das neue-alte Staatsoberhaupt direkt um deutliche Ansprache. Das Thema: der Ukraine-Konflikt. „Wir sind inmitten der Gefahr eines militärischen Konflikts, eines Krieges in Osteuropa. Und dafür trägt Russland die Verantwortung“, sagt er. In den Augen autoritärer Herrscher gälten demokratische Institutionen als schwach, Versammlungen wie diese Bundesversammlung als belanglose Rituale, demokratische Entscheidungsprozesse als Schwäche. Aber: „Ich kann Präsident Putin nur warnen: Unterschätzen Sie nicht die Stärke der Demokratie!“

Auch einen „Appell“ richtete Steinmeier an Wladimir Putin*: Lösen Sie die Schlinge um den Hals der Ukraine. Suchen sie mit uns einen Weg, der Frieden in Europa bewahrt“, sagte Steinmeier unter dem Beifall der Bundesversammlung*. Vor fast genau acht Jahren hatte der damalige SPD-Außenminister in Kiew über eine Lösung des Machtkampfes in der Ukraine verhandelt.
Doch auch innenpolitisch bezog der Bundespräsident ziemlich deutlich Stellung. „Ich bin hier. Ich bleibe. Ich werde als Bundespräsident keine Kontroverse scheuen, Demokratie braucht Kontroverse. Aber es gibt eine rote Linie. Und die verläuft bei Hass und Gewalt. Und diese rote Linie müssen wir halten in diesem Land“, ruft er. Steinmeier fürchtet, dass die Gegner der Demokratie nicht leiser werden, wenn die Pandemie irgendwann vorbei sein wird. „Sie werden sich neue Themen suchen und vor allem neue Ängste.“
Bundesversammlung: Ergebnis bei der Bundespräsidentenwahl überrascht - zumindest ein wenig
SPD, Grüne, FDP und Union hatten sich schon lange vor dem Tag der Bundesversammlung für die Wiederwahl Steinmeiers ausgesprochen. Die Wahlausgang war also mehr oder minder Formsache. Ein Blick auf das Wahlergebnis lohnt dennoch - schließlich ist nicht ausgemacht, dass alle Abgeordneten und zur Versammlung Nominierten auch im Sinne „ihrer“ Parteien stimmen.
Am Ende kam Steinmeier auf 1045 von 1425 gültigen Stimmen. Gerhard Trabert (Kandidat der Linken) erhielt 96 Stimmen, Max Otte (von der AfD vorgeschlagen) 140 und Stefanie Gebauer (von den Freien Wählern nominiert) 58 Stimmen. Dass hier und da im Vergleich zur Maximalstimmzahl der Parteien einige Stimmen fehlten, verwundert nicht - schließlich wären 1472 Delegierte prinzipiell stimmberechtigt gewesen. Manche Wahlleute mussten kurzfristig passen (siehe unten).
Allerdings gab es auch Abweichungen nach oben - bei Steinmeiers Gegenkandidaten*. Die AfD hatte nach eigenen Angaben letztlich 133 Delegierte in der Bundesversammlung vertreten, es gab also offenbar einige Bonusstimmen für ihren Kandidaten Max Otte. Gleiches gilt in noch größerem Maße für Trabert, der 25 Stimmen mehr erhielt, als die Linke maximal haben konnte. Gebauer konnte vorab gar nur auf 18 Stimmen von Freie-Wähler-Delegierten zählen. Steinmeier hätte im besten Falle hingegen mehr als 1.200 Stimmen von den vier Unterstützerparteien erhalten können.
An seinem ungefährdeten Ergebnis änderten die kleineren Abweichungen allerdings nichts. Zu beachten ist beim Wahlergebnis auch: Es mischten mehrere Fraktionslose mit, etwa ausgetretene einstige AfD-Abgeordnete oder der SSW-Parlamentarier Stefan Seidler.
Corona und die Bundespräsidentenwahl: Teil I - Gewusel im Paul-Löbe-Haus erregt im Netz Argwohn
Kurz vor dem zweiten Corona-Gipfel des Jahres ringt Deutschland um das richtige Maß an pandemiebedingten Einschränkungen. Bei der Bundespräsidentenwahl trafen die Planer einige Vorkehrungen: Der Termin fand nicht im Bundestagsplenum sondern im Paul-Löbe-Haus statt. Größere Abstände zwischen den Sitzplätzen waren die (erwünschte) Folge.
Allerdings kam spätestens nach dem ersten Wahlgang der Steinmeier-Wiederwahl die menschliche Seite der Delegierten heraus: Fotos zeigten kleinere und größere Runden und Menschentrauben. Der Abstand von 1,5 Metern, so viel ist sicher, blieb nicht immer gewahrt. Teilweise entlud sich auf Twitter Unmut. „Wäre ich aus der Veranstaltungsbranche, Gastronomie oder hätte aufgrund deren Maßnahmen meine Existenz verloren, wäre ich nun etwas sauer“, hieß es dort zum Beispiel. Der Münchner CSU-Abgeordnete Bernhard Loos* beschrieb die Stimmung im Gespräch mit Merkur.de* als „erhebend“ - aber auch als „locker“.

Tatsächlich zeigte die Bundesversammlung mitten in der Pandemie Qualitäten als Ort des Austausches - auf Schnappschüssen im Netz waren etwa Bundestrainer Hansi Flick und CDU-Chef Friedrich Merz im Gespräch zu sehen. FC-Bayern-Star Leon Goretzka geriet zum Selfie-Magneten. Ebenfalls stark gefragt war Kanzlerin a.D. Angela Merkel (CDU)*. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) trafen sich zum gemeinsamen Foto mit Pianist Igor Levit. Zumindest für ein paar Sekunden fiel auch dabei der Abstand - nicht aber die Maske.
Corona und die Bundespräsidentenwahl: Teil II - der Streit um die Tests
Die AfD* hat zumindest nach eigener Ansicht einen massiven Aufreger rund um die Bundespräsidentenwahl erlebt: Ex-Fraktionschef Alexander Gauland durfte nach Angaben der AfD-Bundestagsfraktion nicht am Wahlgang teilnehmen - weil Corona-Testnachweise nicht anerkannt wurden. Gauland hatte sich demnach einem Spucktest unter Aufsicht von Fraktionsmitglied und Zahnärztin Christina Baum unterzogen. Fünf weitere AfD-Bundestagsabgeordnete seien auf die gleiche Weise getestet, aber zur Bundesversammlung zugelassen worden. Gauland selbst nannte die Geschehnisse „skandalös“.
Die Bundestagsverwaltung bestätigte, Gaulands Test sei nicht anerkannt worden. Es sei ihm jedoch angeboten worden, sich ohne Wartezeit von der Parlamentsärztin testen zu lassen. Auch der Fraktionssprecher bekräftigte, dass Abgeordneten ein Test vor Ort angeboten worden sei. Er wusste allerdings nicht, wer davon Gebrauch machte. Insgesamt hätten 133 AfD-Mitglieder und von der Partei nominierte Prominente an der Bundesversammlung teilgenommen.

Völlig unerwartet kam der kleine Eklat nicht. Die AfD hadert immer wieder öffentlich mit den Corona-Regeln im Bundestag. Im Vorfeld hatte auch ein Parlamentarier der Rechtspopulisten angekündigt, sich keinesfalls von Parlamentsoffiziellen testen zu lassen - aus Sorge vor Schmerzen beim Test, wie tz.de* berichtete.
Gleichwohl: Gauland war nicht der einzige, dem letztlich die Teilnahme verwehrt wurde. Mehr als 70 Nachrücker kamen zum Zuge - unter anderem, weil Delegierte mit positiven Coronatests ausfielen. Vor dem Reichstag war eigens ein Testzentrum aufgebaut worden - mit Kapazitäten von bis zu 650 Tests in der Stunde. Trotzdem bildeten sich dort schon am Samstag zeitweise lange Schlangen.
Bundespräsidentenwahl: Steinmeier wirkt nach - zumindest seine Minister-Jahre
So einige Bundespräsidenten blieben mit Reden im kollektiven Gedächtnis Deutschlands hängen. Richard von Weizsäcker etwa, der als erster den 8. Mai 1945 klar als Tag der „Befreiung“ benannte. Oder Roman Herzog mit seiner „Ruck-Rede“. Einen ähnlich großen Impact hatte Steinmeier als Bundespräsident noch nicht. Dennoch wurde in den Tagen rund um die Wahl klar, dass auch er schon seine Spuren hinterlassen hat.
Allerdings waren die Gesprächsthemen nicht durchweg positiv. Bei der Berlinale etwa ist derzeit der Film „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ zu sehen. Regisseur Andreas Dresen appellierte an die Politik, sich beim früheren Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz zu entschuldigen. Kurnaz hatte mehrere Jahre ohne Anklage in dem US-Gefangenenlager auf Kuba gesessen. Steinmeier war in der Zeit Kanzleramtschef und Außenminister. Dresen sagte, er finde es sehr schade, dass die deutsche Regierung damals nicht auf ein Angebot der Amerikaner im Herbst 2002 eingestiegen sei, Kurnaz freizulassen.
Auch in der Ukraine-Krise spielt Steinmeier nach wie vor eine Rolle über seinen aktuellen Posten als deutscher Bundespräsident hinaus. Er hatte in seiner Zeit als Außenminister vorgeschlagen, dass der Sonderstatus des Donbass bereits ab dem Tag von Kommunalwahlen in der Region gelten solle. Die sogenannte Steinmeier-Formel ist noch immer nicht in das ukrainische Gesetz aufgenommen worden. Auch der gesamte Minsker Vertrag bietet nur noch wenig Hoffnung. Aufgrund vielen Streitpunkte sehen viele Beobachter keine Chance mehr für eine Umsetzung des Friedensplans in seiner derzeitigen Form.
Für Steinmeier könnte es in seinen zweiten fünf Jahren als Bundespräsident nun eine kleine Nebenmission geben: Sich mit wichtigen Botschaften dauerhaft in Erinnerung bringen. Seine erste Rede schien anzudeuten, dass er dazu gewillt ist. Fest damit rechnen will übrigens auch SPD-Chef Lars Klingbeil. Steinmeier werde sich „stärker in gesellschaftspolitische Debatten einmischen“ und „dem Land stärker Orientierung geben“, mutmaßte er am Sonntag im TV-Sender Phoenix. (fn mit Material von dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.