Streit ums deutsche Wahlrecht eskaliert: Aufgeblähter Bundestag - Besonders CSU-Abgeordnete bangen
Die Union droht mit einer Verfassungsklage gegen die Ampel-Pläne zur Wahlrechtsreform. Offenbar müssten vor allem direkt gewählte CSU-Abgeordnete im Bundestag zittern.
Berlin/München – Am Montagmittag greift der CSU-Generalsekretär zum verbalen Flammenschwert. „Organisierte Wahlfälschung“, tobt Martin Huber, „so etwas kennen wir nur aus Schurkenstaaten“, die Ampel lege „die Axt an unser demokratisches Fundament“. So schrill? Die Aufregung in der Union muss groß sein. Tatsächlich sorgt der Vorstoß von SPD, Grünen und FDP zur Verkleinerung des Bundestags für Unruhe. Weil es die CSU in hohem Ausmaß treffen würde.
Der Plan im Überblick: Die Ampel-Koalition will den Bundestag auf seine reguläre Zahl von 598 Abgeordneten verkleinern, bis zu 299 davon weiterhin direkt gewählt. Aktuell sind es über 730 Parlamentarier, weil Ausgleichs- und Überhangmandate aus dem Ruder laufen. Diese Sondermandate will die Ampel komplett streichen. Auf den ersten Blick träfe das alle Parteien – die Union aktuell mit 41, die SPD mit 36, die Grünen mit 24, die FDP mit 16, die AfD mit 14 und sogar die Linke mit 7 Mandaten. Damit der Bundestag in der Sitzverteilung noch das Wahlergebnis abbildet, soll aber nicht jeder direkt gewählte Abgeordnete sicher einziehen.
Wahlrechtsreform im Bundestag: Ampel-Pläne versetzen CSU in Aufruhr
Beispiel: Die CSU gewinnt in Bayern fast jeden Wahlkreis (nur in München-Süd siegten die Grünen). Das sind mehr Mandate, als ihr nach Zweitstimmen in einem 598er-Bundestag zustehen würde. Die Ampel will, dass die Kandidaten mit dem niedrigsten Ergebnis in ihrem gewonnenen Wahlkreis nicht in den Bundestag einziehen.
Ist das fair? Das dürften vor allem die Bundestagsabgeordneten aus größeren bayerischen Städten bezweifeln. Sie sind es, die dann bei der nächsten Wahl rausflögen. Bernhard Loos (in Schwabing), Stephan Pilsinger (Münchner Westen), Sebastian Brehm (Nürnberg) und Volker Ullrich (Augsburg) haben bayernweit die schwächsten Ergebnisse, je unter 30 Prozent. Nun hinterließ bisher nicht jeder dieser Herren große Fußstapfen in der Hauptstadt – die Zahl allein sagt aber nicht alles über die Eignung aus, eher über die Struktur des Wahlkreises. Bayerns Städte sind bunter als das Land. Falls die CSU hier überhaupt noch direkt siegt, dann sehr knapp.

Weniger Abgeordnete im Bundestag? CSU dagegen - Mehrheit der Bevölkerung dafür
Es lässt sich auch anders argumentieren: Die CSU hat mathematisch großen Anteil am aufgeblähten Bundestag. Dass der Münchner Kandidat Pilsinger seinen Wahlkreis 2021 hauchdünn vor den Grünen gewann – unter 150 Stimmen –, verursachte 17 Ausgleichs- und Überhangmandate. Und politisch wird der Union vorgeworfen, nie mehrheitsfähige Vorschläge für eine Reform eingebracht zu haben. Die CSU hatte stets Ideen befördert, Listenmandate (bei anderen) zu streichen, um auf höchstens 699 Abgeordnete zu kommen. Die CDU hatte angeregt, abwechselnd Ausgleichs- und Listenmandate zu kürzen und einen Deckel bei 750 einzuziehen. Und FDP, Grüne und Linke hatten vor der Wahl 2021 alle anderen mit dem gemeinsamen Vorschlag verstört, nur noch 250 Wahlkreise zuzulassen.
Die Union feuert aus allen Rohren gegen die neuen Pläne. Sie droht Klagen vor dem Verfassungsgericht an. Das ist für die Union auch die letzte Möglichkeit, um die Pläne zu stoppen. Denn eine Handhabe im Bundestag hat sie nicht: Das Wahlrecht kann mit einfacher Mehrheit beschlossen werden, also von SPD, Grünen und FDP. Die drei Fraktionen haben der Union zwar Gespräche angeboten und Friedrich Merz ihren Vorschlag zugeschickt, sind aber nicht darauf angewiesen. In der Koalition wird auch auf die Stimmung im Volk verwiesen: 8 von 10 Befragten sagen, der Bundestag sei zu groß.
Wahlrechtsreform in Deutschland? Auch Teile der SPD sind dagegen
„Die Zeit der Ausreden für eine echte Wahlrechtsreform muss vorbei sein. Der Bundestag muss kleiner werden“, sagt Konstantin Kuhle, der Unterhändler der FDP. Allerdings gibt es auch in der SPD Geraune. Nach dem Modell wäre sie in Landstrichen wie im Osten Mecklenburg-Vorpommerns plötzlich ohne Abgeordnete. Schon bei einer SPD-internen Abstimmung im Sommer gab es deshalb laut „Spiegel“ 30 Gegenstimmen und Enthaltungen.
Derweil ist der Bundeskanzler wieder in ein Fettnäpfchen getreten: Olaf Scholz leistet sich fröhliche Bier-Fotos - ein CSU-Mann sieht „Dilettantismus pur“.