Bundestag beschließt längere Atomlaufzeiten
Berlin - Der Bundestag hat am Donnerstag das Energiekonzept der Regierung gebilligt. Auf Steuerzahler kommen Milliardeninvestitionen zu. Die Opposition plant eine Verfassungsklage.
Auch mehrere Bundesländer wollen nach Karlsruhe ziehen, weil der Bundesrat nicht mitbestimmen darf. In der Schlussdebatte über die vier Energiegesetze hatten sich Opposition und Koalition noch einmal einen erbitterten Schlagabtausch geliefert.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) warf SPD, Grünen und Linken “argumentationsloses Kampfgeschrei“ und Konzeptionslosigkeit vor. Die Opposition beklagte einen “Putsch“ gegen ihre Rechte bei der Beratung der Gesetze und warnte vor dem Ende des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland. Ihr Versuch, Debatte und Abstimmung in letzter Minute zu verhindern, scheiterte allerdings an der Mehrheit von Union und FDP.
Zentraler Punkt des Energiekonzepts ist die Verlängerung der Atomlaufzeiten um acht bis 14 Jahre. Von den zusätzlichen Gewinnen der vier Betreiber will die Koalition bis zu 30 Milliarden Euro abschöpfen und in den Ausbau erneuerbarer Energien stecken. Sie argumentiert, sonst wäre die Umstellung auf Ökoenergien bis 2050 nicht bezahlbar. Die heutige Opposition, die in der rot-grünen Regierung vor zehn Jahren den Atomausstieg bis 2021 durchsetzte, warnt vor den Gefahren der Technik und davor, dass der billige Atomstrom den Ausbau erneuerbarer Energien verzögert.
“Energiepolitische Blindgänger“
Umweltminister Röttgen sagte, SPD, Grüne und Linke hätten kein Gegenkonzept. Sie seien “energiepolitische Blindgänger, Sie haben nichts drauf.“ Dagegen plane die Regierung “die effizienteste, klimafreundlichste, wettbewerbsfähigste Energieversorgung, die es weltweit gibt in einem Industrieland“.
Dies sei in Zahlen belegt. Die Koalition wolle bis 2050 einen Anteil von 80 Prozent für erneuerbare Energien an der Stromversorgung, 80 Prozent weniger Kohlendioxidausstoß und eine Halbierung des Energieverbrauchs. “Das ist unser Konzept, das ist Zukunft, und zwar ganz konkret“, sagte er. Über diese Ziele gebe es in Wahrheit Konsens im Bundestag. Dazu solle sich die Opposition bekennen. Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warf den Anhängern der Opposition vor, den für erneuerbare Energien so wichtigen Netzausbau zu blockieren. Um den Widerstand der Bürger zu überwinden, schlug Brüderle einen “nationalen Pakt für neue Netze“ vor.
Karlsruhe soll Gesetze stoppen
Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) zerpflückten das Konzept der Regierung und griffen ihren Nachfolger auch direkt an. Röttgen fülle seine Aufgabe als Minister für Reaktorsicherheit nicht aus, sagte Gabriel. Unter anderem weiche er Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke auf. Der SPD-Chef war sich sicher, die längeren Atomlaufzeiten noch stoppen zu können: “Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen.“ Dies bekräftigte auch Grünen-Fraktionschef Trittin. Die Koalition habe im Bundestag die Rechte der Minderheit ignoriert und wolle auch den Bundesrat nicht beteiligen. “Sie brechen die Verfassung und sie spalten die Gesellschaft“, sagte Trittin. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi schloss sich der Kritik an. Wenn in Deutschland ein Atomkraftwerk explodiere, werde Leben hier unmöglich: “Das nehmen Sie alles in Kauf für die Profitinteressen von vier Konzernen“, sagte Gysi. Im Regierungsviertel demonstrierten während der Debatte Tausende mit einer Menschenkette und einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert gegen die Laufzeitverlängerung.
Verena Schmitt-Roschmann, dapd