Corona-Abstände im Bundestag gar nicht möglich: Merkel sitzt nicht mehr auf Regierungsbank

Bruch und Aufbruch an einem Tag: An diesem Dienstag kommt der neu gewählte Bundestag erstmals zusammen. Wolfgang Schäuble verliert seinen Chefposten, Angela Merkel bekommt ihre Entlassungsurkunde.
Berlin/München - Für einen Moment, ein paar Minuten nur, wird es noch mal das gewohnte Bild geben. Einmal noch wird Wolfgang Schäuble auf dem Präsidentenplatz sitzen, den Abgeordneten gegenüber, wer am Pult eine Rede hält, hat ihn dann im Nacken. Doch der Eindruck, da sei alles wie immer, ist trügerisch. Schäuble, der alte Fuchs der CDU, muss seinen Platz bald räumen.
Als Alterspräsident darf er, wenn er möchte, an diesem Dienstag, 11 Uhr, die konstituierende Sitzung im Reichstagsgebäude eröffnen. Er wird als Erster gefragt, weil er dienstältester Abgeordneter ist, seit 1972 ununterbrochen im Bundestag. Doch weil seine Union nicht mehr die stärkste Fraktion ist seit dem Wahldebakel von Ende September, endet Schäubles Aufgabe mit ein paar protokollarischen Floskeln. Als regulärer Bundestagspräsident* wird er nicht wiedergewählt, der Posten geht an die SPD* und ihre Abgeordnete Bärbel Bas.
Neuer Bundestag tritt zusammen: Schäuble legte selbst Grundlage für seinen Abschied als Bundestagspräsident
Schäubles Abschied, der Rückweg zum einfachen Abgeordneten, ist einer der Brüche dieses besonderen Dienstags in Berlin. Er wird sich wohl keine Bitterkeit anmerken lassen, keinen Groll. „Darauf bin ich eingestellt und das ist kein Problem für mich“, sagte er unlängst. Aber vorgestellt hat er sich das anders.
Schäuble wollte im Amt bleiben. Doch mit seinem massiven Einsatz für den unglücklichen Unions-Kanzlerkandidaten Armin Laschet legte er selbst die Grundlage für die Wahlniederlage und seinen Abschied. Mancher in der Unionsfraktion, erst recht in der CSU, empfindet da Genugtuung.

Neuer Bundestag tritt zusammen: Corona-Abstände wegen Abgeordneten-Anzahl nicht möglich
Der Bundestag wird anders aussehen als sonst. Mit 736 Abgeordneten ist das Parlament eh vollgestopft. Das geht so nur ohne Corona-Abstände, weil diesmal die 3G-Regel gilt. Ungeimpfte Abgeordnete müssen, so berichtet der Tagesspiegel, der Parlamentsärztin und ihrem Team Testnachweise vorlegen, die nicht älter als 24 Stunden sind.
Wer 3G erfüllt, bekommt ein schwarz-rot-goldenes Bändchen als Zutrittserlaubnis. Wer sich 3G verweigert, manche Abgeordnete der AfD womöglich, muss auf einer gesonderten Tribüne Platz nehmen. Gar nicht im Saal sind akut infizierte Abgeordnete wie AfD-Fraktionschef Tino Chrupalla.
Video: Patriarch Schäuble zieht sich zurück
Neuer Bundestag tritt zusammen: AfD-Kandidat für Amt des Vizepräsidenten bekommt wohl keine Mehrheit
Spannend werden die ersten Abstimmungen. Bas wird wohl unumstritten zur Bundestagspräsidentin gewählt, übrigens protokollarisch ein höheres Amt als das der Kanzlerin. Doch schon bei den Vizepräsidenten hakt es. Die Union rang bis zuletzt um ihren Vize, ehe sich Yvonne Magwas (41) aus Sachsen durchsetzte* - die CSU geht zu ihrem Ärger leer aus.
Die AfD* wird wieder einen Kandidaten ins Rennen schicken, der aber keine Aussicht auf eine Mehrheit hat. Die Linke* wird wieder die frühere PDS-Abgeordnete Petra Pau nominieren, eine Mehrheit ist wahrscheinlich. Sicher sind nur die Kandidaturen von Claudia Roth (Grüne), Aydan Özoguz (SPD) und Wolfgang Kubicki (FDP*).
Neuer Bundestag tritt zusammen: Merkel sitzt nicht mehr auf der Regierungsbank
Ungewöhnlich ist der Tag auch für die Kanzlerin. Angela Merkel wird am späten Nachmittag vom Bundespräsidenten ihre Entlassungsurkunde bekommen. Gleichzeitig muss sie aber mit ihren Ministern geschäftsführend im Amt bleiben - „bis zur Ernennung seines Nachfolgers“, schreibt das Grundgesetz in Artikel 69 vor.
Nur im Fall einer schweren Krankheit dürfte diese Pflicht abgelehnt werden. Womöglich wird das noch eine längere Phase, 30 bis 171 Tage waren es in der Geschichte bisher. Allerdings plant das Ampel-Bündnis eine Kanzlerwahl in den ersten Dezembertagen.
Die Macht der geschäftsführenden Regierung ist formal nicht begrenzt. Die politische Tradition gebietet den Noch-Ministern aber besondere Zurückhaltung. Und die Praxis zeigt: Sie sind vorsichtiger, weil sie ja keine parlamentarische Mehrheit mehr hinter sich haben. Merkel wird das ab diesem Dienstag auch symbolisch zeigen: Sie nimmt auf der Ehrentribüne des Bundestags Platz, nicht auf der Regierungsbank. (cd) *merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA