Fast ein „legaler Putsch“? Union mit Vorschlag für kleineren Bundestag - FDP findet ihn „zynisch“

Nach der nächsten Wahl droht ein Riesen-Bundestag. Unions-Abgeordnete graben einen alten Reform-Vorschlag aus, der besonders der Partei selber helfen könnte - die FDP ist erbost.
Berlin - Abgeordnete der Union wollen im Streit um eine Reform des Wahlrechts für einen kleineren Bundestag wieder in die Offensive kommen - und ernten damit herbe Kritik. 24 Parlamentarier von CDU und CSU werben erneut für einen eigentlich schon begrabenen Vorschlag aus dem vergangenen Frühjahr.
Sie erläuterten in einem Brief an Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) die Idee, die andere Fraktionen schon im April abgelehnt hatten. Demnach würden in den 299 Wahlkreisen weiterhin per Erststimme Abgeordnete direkt ins Parlament gewählt. Weitere 299 Abgeordnete würden über die Zweitstimme nach Verhältniswahlrecht ermittelt werden.
Über den Brief der auf den 23. Dezember datiert ist, hatte zuerst die Bild-Zeitung berichtet. Die Abgeordneten um Axel Fischer (CDU) schreiben darin: „Mit unserem Vorschlag wollen wir erreichen, dass die CDU/CSU die Meinungsführerschaft bei diesem für die Bürgerinnen und Bürger wichtigen Thema zurückgewinnt.“ Erst- und Zweitstimme würden damit gleich gewichtet und die vorgesehene Größe des Bundestags von 598 Abgeordneten werde erreicht. Zuletzt hatten die Kosten des Parlaments einen neuen Rekord erreicht.
Wahlrechts-Reform: FDP sieht Unions-Vorschlag als „legalen Putsch“ - schwere Vorwürfe
Der neue Vorschlag aus der Unionsfraktion zur Reform des Wahlrechts stößt bei der FDP auf scharfen Widerspruch. Das von 24 CDU/CSU-Abgeordneten vorgelegte Konzept "erschüttert das Vertrauen des Wählers und hat Elemente eines legalen Putsches", sagte der Wahlrechtsexperte der FDP-Fraktion, Stefan Ruppert, am Freitag der Nachrichtenagentur AFP.
Offensichtlich wolle die Union "nur Machtsicherung" betreiben, sagte Ruppert. "Der Vorschlag bringt der Union zahlreiche neue Mandate zulasten aller anderen Parteien." Die 24 Abgeordneten "träumen offenbar von einer absoluten Mehrheit selbst bei ihrem schlechtesten Abschneiden seit 1949, denn das zeigt ein Blick auf die Zahlen der Bundestagswahl 2017".
FDP-Fraktionsvize
Alexander Lambsdorff
schrieb von einem „unverantwortlichen, ja zynischen“ Vorschlag - das Wort Vorschlag setzte er in Anführungszeichen. Seine Partei sei sich mit
Grünen und Linke
in einer Einschätzung einig: Die Union wolle in Wirklichkeit keine Reform des Wahlrechts.
Bundestag soll kleiner werden: Keine Einigung in Sicht, Experten rechnen mit bald 800 Abgeordneten
Derzeit bestimmt grundsätzlich die Zweitstimme die Zusammensetzung des Bundestags. Wer in einem der 299 Wahlkreise direkt gewählt wird, hat aber einen Sitz sicher. Das führt zu vielen sogenannten Überhang- und Ausgleichsmandaten. Das Parlament war dadurch bei der letzten Bundestagswahl auf die Rekordgröße von 709 Abgeordneten angewachsen. Die Union aus CDU und CSU gewinnt besonders viele Direktmandate, sie würde von dem Vorschlag der CDU-Abgeordneten profitieren.
FDP, Linke und Grüne hatten im November gemeinsam einen anderen Vorschlag vorgelegt. Sie schlagen unter anderem vor, die Zahl der Wahlkreise von 299 auf 250 zu reduzieren. Gleichzeitig wollen sie die Normzahl der Parlamentssitze von 598 auf 630 erhöhen. Das soll die Wahrscheinlichkeit von Überhangmandaten reduzieren. Die Mehrheit der Abgeordneten von Union und SPD hatte sich aber dagegen ausgesprochen. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) scheiterte mit Moderationsversuchen - und das mehrfach.
Staatsrechtler gehen davon aus, dass es nach der nächsten Bundestagswahl sogar mehr als 800 Parlamentarier sein könnten. Mehrere Versuche, das Wahlrecht zu reformieren, um eine weitere Vergrößerung des Bundestags zu verhindern, blieben bislang erfolglos. Ein Scheitern könnte auch nach Ansicht von führenden Politikern einen „Glaubwürdigkeitsverlust“ bedeuten.
dpa/fn/AFP