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Habeck und Lindner als Kanzlermacher? „Welten“ prallen aufeinander - so soll es klappen

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Von: Andreas Schmid

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FDP und Grüne, hier in Person von Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt im Zuge der Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition
Ein Bild aus dem Jahr 2017: FDP und Grüne, hier in Person von Christian Lindner und Katrin Göring-Eckardt im Zuge der Verhandlungen um eine Jamaika-Koalition © Kay Nietfeld/dpa

Die Grünen und die FDP haben in der Hand, wer nach der Bundestagswahl Kanzler wird. Dafür müssen sie sich aber auf eine Koalition einigen. Kann das gelingen?

Berlin - Deutschlands Parteien sind nach der Bundestagswahl enger zusammengerückt - zumindest in der Gunst der Wähler: die Abstände der (einstigen) Volksparteien Union und SPD zu den Grünen sowie der FDP sind kleiner geworden. Die Grünen sowie die Freien Demokraten werden aller Voraussicht nach in der nächsten Regierung vertreten sein. Es stellt sich nur die Frage, unter welchem Kanzler: Diskutiert wird über ein Ampel-Bündnis zusammen mit der SPD oder eine Jamaika-Koalition unter Führung der CDU/CSU. Die Verhandlungen laufen, aber wie soll es klappen?

Koalitionen nach der Bundestagswahl: Ampel und Jamaika als Optionen - GroKo lediglich Notlösung

Laut Sitzverteilung nach der Bundestagswahl kommt zwar auch eine Fortführung der Großen Koalition aus Union und SPD infrage, doch allzu große Lust verspüren beide Regierungsparteien nicht. Acht Jahre Groko haben offenbar ihre Spuren hinterlassen. Aktuell scheint das Zweierbündnis lediglich als Notlösung denkbar. So wie 2017. Bei der letzten Bundestagswahl kam die GroKo nur zustande, weil Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition gescheitert waren.

„Jamaika“, also ein Bündnis aus CDU/CSU, Grünen und FDP, ist auch jetzt wieder möglich. Ebenso wie eine Ampel. Denn obwohl die Union um Kanzlerkandidat Armin Laschet weniger Stimmen als die SPD erreicht hat, könnte auch sie eine solche Konstellation anführen. Wenn sich denn Grüne und FDP einig werden.

Koalitionen nach der Bundestagswahl: Grüne wollen Ampel, FDP favorisiert Jamaika

Doch genau das ist ein bisschen verzwickt. Vereinfacht gesagt wollen die Grünen eine Ampel mit der SPD, während sich die FDP inhaltlich näher bei der CDU/CSU sieht - auch, wenn 52 Prozent der FDP-Anhänger eine Ampel laut einer aktuellen Umfrage sogar befürworten. Letztlich überwiegen in der Parteizentrale der Freien Demokraten aber wohl programmatische Aspekte wie die Wirtschaftspolitik, in der die Union stärker auf FDP-Kurs liegt als die SPD.

Parteichef Christian Lindner hatte im Wahlkampf gar ein „schwarz-gelbes“ Bündnis, also Jamaika ohne die Grünen, als seine Lieblingskonstellation genannt. Eine entsprechende Koalition regiert in NRW. Lindner und Laschet hatten sie ausgehandelt. Die Grünen wiederum sprachen von „Rot-Grün“. Diese Koalition hatte bereits unter Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) regiert. Der Ökopartei ist derweil allerdings mit dem bereits klaren Verpassen einer rot-grün-roten Regierung ein Druckmittel weggefallen, die FDP Richtung SPD zu treiben.

Aktuelle Landesregierungen mit Beteiligung von Grünen und FDP

Rheinland-Pfalz: SPD, Grüne, FDP

Schleswig-Holstein: CDU, Grüne, FDP

Nun lässt sich argumentieren, dass die Wählerinnen und Wähler eher für eine Ampel als für Jamaika votiert haben. Die SPD erreichte mehr Stimmen als die Union, die Grünen mehr als die FDP. „Die Wähler haben drei Parteien gestärkt und erwarten nun zuerst von ihnen, dass sie liefern“, sagte Brandenburgs CDU-Chef Michael Stübgen mit Blick auf ein Bündnis aus SPD, Grünen und FDP. Die Union war bundesweit auf 24,1 Prozent abgerutscht. Darauf verweist auch Kanzleranwärter Olaf Scholz gerne. Die Klärung der Koalitionsfrage ist dennoch alles andere als einfach. Wie kann eine Einigung erzielt werden?

Bundestagswahl: Grüne und FDP „wirklich konträr“ - die Unterschiede beider Kanzlermacher

Grüne und FDP wissen um ihre Bedeutung in den Koalitionsverhandlungen. Daher haben sie angekündigt, zuallererst miteinander zu sprechen, ehe es um die Frage SPD oder Union gehen soll.  „FDP und Grüne sprechen jetzt miteinander, um zwischen beiden Parteien Brücken zu bauen“, sagte FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff der Augsburger Allgemeinen. Denn zwischen beiden Parteien gibt es genügend Differenzen, die es zu klären gilt. „Wir sind in sozial-, steuer-, finanzpolitischen Fragen wirklich konträr“, sagte Grünen-Co-Chef Robert Habeck am Montag dem NDR. Gerade deshalb sei es jedoch wichtig, dass seine Partei zuerst mit der FDP spricht. Dabei solle im Geheimen gesprochen werden. Um „Vertrauen nicht zu gefährden“, wie Lindner erklärte.

Einige Beispiele für Konfliktpunkte: Die Freien Demokraten lehnen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen ab, die Grünen halten es für ein unabdingbares Mittel im Kampf gegen den Klimawandel. Diesen haben zwar auch die Liberalen auf der Agenda, allerdings mit gänzlich anderer Herangehensweise. Die FDP setzt auf neue Innovationen statt Verbote - die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock wiederum im Wahlkampf als „Innovationstreiber“ bezeichnet hatte.

In der Steuerpolitik unterscheiden sich beide Parteien ebenfalls elementar. Die Grünen wollen Großverdiener stärker zur Kasse bitten und Menschen mit kleineren und mittleren Einkommen stärker entlasten. Die FDP lehnt diesen Gedanken ab und wehrt sich vehement gegen eine diskutierte Erbschafts- oder Vermögenssteuer. Die Grünen wollen außerdem die Schuldenbremse durch eine „Investitionsregel“ ergänzen, die eine Erneuerung der Infrastruktur ermöglichen soll. Die FDP lehnt jegliche Aufweichung der im Grundgesetz festgeschriebenen Regel ab. Neben der Klima- sowie der Steuerpolitik gibt es noch weitere Unterschiede, etwa beim Thema Sozialversicherungen oder zuletzt in der Corona-Politik, wo sich die FDP für einen lockeren Kurs als die mehrheitlich der Regierungslinie gefolgten Grünen entschied. Auch beim Streit um Klima-Maßnahmen und die Kostenverteilungen auf Mieter und Vermieter sprach Habeck von „Welten, die da dazwischen liegen“.

Koalitions-Poker: FDP und Grüne wollen es richten - hier gibt es Gemeinsamkeiten

Gemeinsamkeiten zwischen Grünen und FDP gibt es aber durchaus. Beide Parteien wollen die Digitalisierung im Land voranbringen oder die Drogenpolitik lockern. Auch beim Thema Außenpolitik und Bürgerrechte liegen Grüne und FDP nicht weit auseinander. Zum Thema Freiheitsrechte, Überwachung und Polizeigewalt positionierten sich beide Parteien jüngst einheitlich - und widersprachen mit ihren Äußerungen denen der Union teils entschieden. Einigkeit besteht darüber hinaus beim Thema Bildungspolitik, die beide Parteien stärker in den Fokus rücken wollen. Auch beim Wahlrecht ziehen beide Parteien an einem Strang: Hier haben sie sich schon in der vergangenen Legislaturperiode für eine Neufassung eingesetzt, mit der eine weitere Aufblähung des Bundestages verhindert werden soll.

Zudem haben Grüne und FDP eine weitere entscheidende Gleichartigkeit: Beide Parteien wollen nach jahrelanger Opposition unbedingt regieren. Ein weiterer Pluspunkt scheint das verbesserte Verhältnis der (Noch-)Oppositionsparteien zu sein. Nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen initiierten FDP-Innenpolitiker Stephan Thomae sowie der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz Treffen in einer Bar. Man wollte das „mangelnde Grundvertrauen“ verbessern, erklärt von Notz dem Bayerischen Rundfunk. Es gehe um Gemeinsamkeit statt Unterschiede.

Koalitionen nach der Wahl: Jamaika oder Ampel - so sollen der passende Verhandlungsrahmen aussehen

Auch Habecks Credo scheint das Finden von Berührungspunkten zu sein. Der gebürtige Lübecker war in Schleswig-Holstein beim Bilden der ersten Jamaika-Koalition auf Landesebene beteiligt. Habeck, der damals als Umweltminister fungierte, hat nach eigenem Bekunden dabei gelernt, gemeinsame Punkte statt Unterschiede zu benennen. „Damals ging es auch um die Frage: Was können wir eigentlich gemeinsam gut machen“, sagte Habeck der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Und es ging eben nicht darum, was die Parteien trennt.“

Bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 im Bund sind die beteiligten Personen laut Habeck aufgefordert worden, die Liste der trennenden Punkte aufzuschreiben. Das könne nicht funktionieren, betonte der Grünen-Chef, dem bei den Sondierungsgesprächen eine besondere Rolle zukommen wird. Er setzt zugleich auf Verschwiegenheit und Vertrauen - „Balkonbilder“ wie bei Jamaika 2017 will er unbedingt vermeiden. Das Wort „Vertrauen“ erlebte dann auch unmittelbar nach der Wahl Hochkonjunktur: FDP-Chef Lindner schwieg unter Verweis auf das Vertrauensverhältnis zu Sondierungsdetailfragen. Und auch SPD-Kanzleranwärter Scholz bemühte das Wort mit Blick auf seine Koalitionspläne am Montagabend in einem ARD-„Brennpunkt“ mehrfach.

Mittlerweile gibt es Indizien, dass Habeck zu einem wichtigen Architekten der angestrebten Koalitionen werden könnte. Er soll nach dem letztlich doch enttäuschendem Wahlergebnis anstelle von Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Wortführer auftreten. Dem 52-Jährigen wird die Aufgabe offenbar eher zugetraut - allerdings nahmen ihm Teile der eigenen Partei auch das Durchsickern der geplanten Rochade übel.

Robert Habeck, Chef der Grünen, nach einem Pressetermin am Montag
Robert Habeck, Chef der Grünen, nach einem Pressetermin am Montag © Britta Pedersen/dpa

Bundestagswahl: Streit um die Koalition - Ministerämter als Ausgleich?

Klar ist, dass beide Parteien Abstriche machen werden müssen. Damit diese nicht allzu sehr schmerzen, könnten im Gegenzug Ministerposten zugesichert werden. Das ist insbesondere beim Finanzministerium interessant.

Denn die Parteichefs beider „Kanzlermacher“ wollen ins Finanzministerium. Robert Habeck und Christian Lindner liebäugeln bereits mit dem Ministerposten. Das Finanzministeramt, aktuell von Olaf Scholz bekleidet, könnte in den Verhandlungen eine entscheidende Rolle spielen. Auch, wenn Lindner betont, dass es „um Inhalte und nicht um Karrieren“ gehe. Habeck könnte mit dem Posten bei einer Jamaika-Koalition, Lindner im Falle einer Ampel getröstet werden.

Darüber hinaus gibt es strategisch wichtige Ministerien für beide Parteien. Die Grünen wollen freilich das Umweltministerium besetzen. Auch das traditionell von der zweistärksten Partei geführte Außenministerium könnte den Grünen zugestanden werden. Womöglich kommt dafür sogar Annalena Baerbock infrage. Die FDP strebt das Wirtschaftsministerium an. Generalsekretär Volker Wissing wird dafür gehandelt. Er ist Landesvorsitzender der FDP in Rheinland-Pfalz, wo aktuell übrigens eine Ampel-Koalition regiert. Das Verteidigungsministerium könnte ebenfalls an die Freien Demokraten gehen. Marie-Agnes Strack-Zimmermann gilt als Kandidatin, die neben ihrem Wissen als Verteidigungspolitikerin gleichzeitig mehr Weiblichkeit ins Kabinett bringen könnte.

Volker Wissing
Wird für das Wirtschaftsministerium gehandelt: Volker Wissing, FDP-Generalsekretär und Landesvorsitzender der FDP in Rheinland-Pfalz. © Gregor Bauernfeind/dpa

Bundestagswahl: Koalitions-Deal um Bundespräsidentenamt?

Darüber hinaus gibt es auch Spekulationen um das Amt des Bundespräsidenten, das Teil eines Koalitionsdeals sein könnte. Bundespräsident und damit Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland ist aktuell Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Politiker kann sich gut vorstellen kann, weitere fünf Jahre im Amt zu bleiben. Dafür muss er jedoch von der Bundesversammlung und damit von den Abgeordneten des Bundestags gewählt werden. Es gibt immer wieder Gerüchte, wonach die Grünen das Bundespräsidentenamt interessant finden und es als Ausgleich für Kompromisse in den Koalitionsverhandlungen einfordern könnten. Die aktuelle Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt könnte dann die erste Bundespräsidentin werden.

Über diese personalpolitischen Aspekte werden beide Parteien im Laufe der Sondierungsgespräche diskutieren. Zunächst sollten erst einmal die eigenen Differenzen geklärt werden, ehe es um Ministerienämter und die viel entscheidendere Frage nach der Koalition geht. Ampel oder Jamaika? Grüne und FDP haben es in der Hand. Fest steht allerdings auch: Sollten sich beide Parteien nicht auf eine Koalition einigen, wird die „Notlösung“ Groko plötzlich wieder interessant.

Koalitionen nach der Bundestagswahl: Kann Söder die Verhandlungen beeinflussen?

SPD und CDU/CSU werben vorerst intensiv um die Gunst der zukünftigen Koalitionspartner. Die SPD erhöht dabei den Druck für eine zügige Regierungsbildung. Erste Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP könnten nach Aussage von Fraktionschef Rolf Mützenich noch in dieser Woche geführt werden. Die SPD sei bereit, „nicht nur schnelle, sondern auch verlässliche Gespräche zu führen“. 

Und die CDU/CSU? Der wiedergewählte Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus sagte in den „Tagesthemen“, CDU und CSU seien sich einig, dass man Grünen und FDP nun Gespräche über eine Jamaika-Koalition anbieten wolle. Am Dienstag (28. September) gab es Berichte, wonach CSU-Chef Markus Söder Wortführer der Union in den Sondierungsgesprächen sein solle - offenbar um die Jamaika-skeptischeren Grünen zu überzeugen. Auf einer denkwürdigen CSU-Pressekonferenz dementierte Söder diese Gerüchte allerdings.

„Aus diesem Wahlergebnis lässt sich nun wirklich kein Regierungsauftrag moralisch legitimieren“

Markus Söder über mögliche Koalitionsverhandlungen

Söder äußerte sich auch zu möglichen Koalitionen. Der CSU-Chef erteilte Laschets Kanzlerhoffnung auf Jamaika dabei indirekt eine Abfuhr. „Aus diesem Wahlergebnis lässt sich nun wirklich kein Regierungsauftrag moralisch legitimieren“, sagte Söder. „Ganz klar ist, dass eine Ampel naheliegt“, fügte Söder hinzu. Man sei „bereit zu Gesprächen“, werde sich dabei allerdings „nicht anbiedern“. Diese Aussagen klingen eher nach einem Ampel-Bündnis. Söder erklärte allerdings auch, ihm fehle die Fantasie für die Zusammenarbeit in dieser Koalition. Er betonte gleichzeitig: „Jamaika ist sicherlich kein Selbstläufer.“

Mit Söder als Sondierungsführer könnte eine Jamaika-Koalition womöglich wahrscheinlicher werden. Der bayerische Ministerpräsident hat gute Beziehungen zu Habeck und auch Winfried Kretschmann, dem einzigen grünen Ministerpräsidenten in Deutschland. Kretschmann Kretschmann gilt innerhalb der grünen Partei als einer der wenigen Jamaika-Befürworter und warb am Dienstag indirekt für eine Zusammenarbeit mit der Union, indem er sagte, der grün-schwarze Koalitionsvertrag aus Baden-Württemberg sei eine „gute Blaupause“ für den Bund. Der Regierungschef sagte außerdem, er sehe für seine Partei im Bund einen klaren Regierungsauftrag. „Wir haben jetzt den Auftrag zu regieren.“ Stellt sich nur die Frage: mit wem? (as)

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