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Scholz schlägt Laschet - doch ein Baerbock-Lindner-Coup könnte ihn düpieren

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Von: Florian Naumann

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Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) und Christian Lindner (FDP) stehen zusammen in einem Fernsehstudio vor einer Wahldebatte zur Bundestagswahl 2021.
Christian Lindner (li.) und Annalena Baerbock könnten Olaf Scholz zum Kanzler machen - oder auch nicht. © Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Deutschland hat gewählt. Doch ausgerechnet der Überraschungs-Wahlsieger Olaf Scholz könnte am Abend mit leeren Händen dastehen - es bilden sich unerwartete Allianzen.

Berlin/München - Lange ließ der Wahlabend die wichtigsten Fragen offen. Doch nach 20.15 Uhr schärfte sich das Bild: Sieger der Bundestagswahl dürfte die SPD sein - die Deutschen haben am Sonntag die noch vor wenigen Monaten so stolze Union von der letzten Volkspartei zur zweiten Kraft herabgestuft. Von einer „historischen Konstellation“ sprach der Politologe Karl-Rudolf Korte im ZDF. Erst zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik führt ein Politiker die SPD zur Rolle als stärkste Kraft im Bundestag. Olaf Scholz steht nun tatsächlich in einer Reihe mit Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder.

Die zweite Erkenntnis: Auch eine rot-grün-rote Regierung wird nicht Realität werden. Eine Mehrheit für den von Union und FDP so heftig gefürchteten Linksrutsch gibt es nicht. Doch schon jenseits dieser zwei simplen Erkenntnisse wird es sehr, sehr kompliziert. In der Elefantenrunde erheben sowohl Scholz als auch der vom Wahlergebnis durchaus gezeichnete Armin Laschet Anspruch auf das Kanzleramt. Und allen Signalen der FDP nach zu urteilen könnte der Weg ins Amt des Regierungschefs für Scholz ein sehr steiniger werden. Möglich scheint gar, dass Liberale und Grüne dem Wahlsieger Scholz das Heft des Handelns aus der Hand nehmen. Ein Traditionsbruch der interessanteren Sorte.

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In der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF ließen FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock jedenfalls durchblicken, dass sie gar nicht erst auf Initiativen der beiden GroKo-Parteien warten wollen. Es könnte ratsam sein, dass die Parteien, die gegen den Status quo der Großen Koalition Wahlkampf gemacht hätten, zuerst miteinander sprächen und das weitere Vorgehen strukturieren, erklärte Lindner - und rannte bei Baerbock buchstäblich offene Türen ein. Es sei mehr als sinnvoll, dass unterschiedliche Parteien in unterschiedlichen Kombinationen miteinander sprächen, meinte sie. Die Logik „da ist einer, der alle anderen anruft“ tue dem nötigen Aufbruch nicht gut.

Gesucht wird - auch das ist am Wahlabend immer wieder zu hören, sogar aus dem Munde Laschets, „frischer Wind“ oder eben: Ein „Aufbruch“. Laschet erkannte, wenig überraschend, seine einzige Machtoption als „Zukunfts-Koalition“: Jamaika. Auch CSU-Chef Markus Söder forderte, „Deutschland zu erneuern“. Einzig Olaf Scholz blieb auch am Wahlabend ganz auf dem Kurs der ewigen Kanzlerin. Er wollte „eine gute pragmatische Regierung für Deutschland zustande kriegen“.

Zwischen den Zeilen schien es, als könnte eine schwarz-grün-gelbe Regierung durchaus in den Bereich des Möglichen rücken. Laschet und Lindner - füreinander ohnehin erklärte Wunschpartner - umschmeichelten die Grünen mit dem Angebot einer Koalition, in der jeder Partner „sichtbar“ wird. Die Grünen selbst betonten sehr viel stärker die Notwendigkeit einer Klimawende als sozialpolitischer Maßnahmen - und in Sachen Klima nehmen sich SPD und Union gar nicht so viel. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, erklärte sogar, er sehe die Ampel nicht als natürlichere Regierungsoption für seine Partei. Man müsse nun „gut verhandeln“.

Und dann war da noch Söder, der sich in erstaunlichem Tonfall an die Ökopartei heranwanzte. „Wir sind jetzt auch zum Teil eine gemeinsame Generation, nicht so weit auseinander“, sagte er in der Elefantenrunde mit Blick auf Baerbock, ihren Co-Chef Robert Habeck und Christian Lindner. „Man kann da wirklich was voranbringen. Man könnte auch eine grundlegende Erneuerung fürs Land voranbringen und nicht wieder sozusagen in den klassischen Schützengräben stecken bleiben.“ Habeck und Lindner hatten auch schon vor Wochenfrist zarte Gemeinsamkeiten beim Thema Energiewende erkannt.

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Wenn sich nun weitere Gemeinsamkeiten finden, könnten FDP und Grüne durch die Hintertür zum Machtzentrum in den Verhandlungen werden. Die Konstellation ist interessant: Einerseits würden sowohl Jamaika als auch eine Ampel recht breite Bevölkerungsteile repräsentieren. Andererseits könnte genau dieser Umstand zu recht wässrigen Regierungsprogrammen führen. Läuft es schlecht, könnte sich der Aufbruch vor allem im Personal und in den Parteifarben niederschlagen.

Und zugleich ist der Pakt von FDP und Grünen nahezu alternativlos. So schloss die SPD am Wahlabend eine GroKo fast schon brüsk aus. „Mit dieser kaputten Union nicht!“, rief Generalsekretär Lars Klingbeil bei „Anne Will“.

Klar ist aber zugleich, dass die SPD trotz Wahlerfolg mit dem Rücken zur Wand steht. Sie ist nach der Bundestagswahl auf Bewährung: Laut einer Erhebung von Infratest dimap hätten 48 Prozent der SPD-Wähler ohne den Kanzlerkandidaten Scholz nicht die Sozialdemokraten gewählt. Die Partei hat also nun noch einmal die Chance an der Regierung ihren Niedergang zu stoppen. Doch ein Scheitern könnte schon einem Todesstoß nahekommen. Wobei dieses Scheitern wohl auch aus einem wachsweichen Regierungsprogramm in einer Ampel-Koalition bestehen könnte.

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Für die Union hatte derselben Umfrage zufolge Armin Laschet keine entsprechende Bedeutung. Dafür erklärten 71 Prozent der Befragten, sie hätten die Union gewählt, um ein Linksbündnis zu verhindern - ein recht zeitloses Argument. Die Konservativen müssen also möglicherweise eher den Sturz in die Opposition fürchten als den finalen Sturz in die zweite Reihe der Bundestagsparteien.

Umso ernster in die Lage aber für Laschet selbst. Er bemühte sich am Abend, keinen Zweifel an seiner Leader-Rolle in den Koalitionsverhandlungen aufkommen zu lassen. Doch schon einen Anspruch auf das Amt als Fraktionschef wollte er nicht erheben. Der Verlust des Kanzleramts könnte für ihn also das Aus bedeuten. Und auch CSU-Chef Markus Söder steht unter Druck. 2023 wird in Bayern gewählt - dann wird sich die CSU als Regierungspartei in Berlin präsentieren wollen und nicht als kleinste Oppositionspartei.

Für Laschet geht es also ebenfalls um alles, für Söder um viel. Beste Voraussetzungen für FDP und Grüne, das Maximum aus den Verhandlungen herauszuholen. Wenn sich die beiden so ungleichen Parteien denn selbst inhaltlich einig werden. Turbulente Wochen stehen dem politischen Deutschland bevor. Die Wähler haben übrigens eine klare Präferenz: Laut Infratest dimap wünschen sich 50 Prozent der Wählenden eine SPD-geführte Regierung. Nur 29 Prozent wollen Laschet und die Union im Kanzleramt. (fn)

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