Wo ist die Gegenposition bürgerlicher Parteien?
Rödder: Wir rollen auf das selbe Problem wie 2015 zu. Wir müssen weiterhin Mitgefühl haben mit den Menschen, die sich auf diese Flucht machen.
Schröder: ...aber wir müssen immer auch sehen: Die, die es dann nach Europa schaffen, sind eher die Männer als die Frauen, eher die Alleinstehenden als die Familien, eher die Gesunden als die Kranken...
Rödder: ...eher die Mittelschicht als die wirklich Armen. Sobald wir die Moralkeule auspacken, ist es mit jeder Differenzierung vorbei. Aber genau diese Differenzierung – wer braucht unsere Hilfe – muss bürgerliche Politik leisten.
Übernimmt die FDP in der geplanten Ampel-Koalition die Rolle der bürgerlichen Kraft?
Schröder: Man muss anerkennen, dass die FDP* in den Sondierungen bisher geliefert hat. Davor habe ich großen Respekt.
Rödder: An der Geschichte der FDP sehen Sie auch, wie unvorhersehbar Entwicklungen für bürgerliche Parteien sind. Vor acht Jahren hielten alle möglichen Medien den Tod der FDP für besiegelt, heute ist sie eine stabile Partei in der künftigen Regierung. Ansonsten würde ich im besten bürgerlichen Sinne sagen: Konkurrenz belebt das Geschäft.
Die CDU stellt sich gerade neu auf, und um den Vorsitz* bewerben sich unter anderem zwei Kandidaten, von denen der eine, Norbert Röttgen*, dem anderen, Friedrich Merz*, vorwirft, nicht die „echte Mitte“ besetzen zu wollen, sondern die „liberal-konservative Mitte“. Ist „konservativ“ inzwischen heute sogar in der Union zum Kampfbegriff gegen politische Gegner geworden?
Rödder: Genau das ist ein giftiges Problem in der Union. Die CDU spricht immer von ihren drei Wurzeln – der christlichen, der liberalen und der konservativen – die sich zu etwas Neuem, der Union verbinden. Heute klingt das aber in der innerparteilichen Diskussion so, als seien das drei Säulen, die nebeneinander und gegeneinander stehen. Wer einen Teil der Mitglieder mit dem Etikett der „Konservativen“ stigmatisiert, gefährdet die Union.
Was empfehlen Sie der CDU vor dieser Richtungswahl: Braucht sie mehr Kanten und Profil oder mehr Modernität?
Schröder: Die Union muss sich breiter aufstellen. Wir brauchen profilierte Konservative, Liberale, Soziale. In der Vergangenheit ist es zu oft so gelaufen, dass die CDU Positionen von Linken übernommen und zehn Prozent abgezogen hat, um das dann als unsere neue Unionsposition zu präsentieren. Das fand ich nicht rasend überzeugend.
Frau Schröder, manche in der CDU beklagen sich, dass sich nur Männer um den Vorsitz bewerben. Warum treten Sie nicht an?
Schröder: Diese Frage höre ich derzeit gelegentlich, sie ehrt mich. Aber mein Mann und ich haben klar beschlossen, uns nach 15 Jahren im Bundestag beruflich neu zu orientieren. Ich freue mich, wenn ich immer noch eine politische Stimme sein kann – mehr aber auch nicht.
Wie „bürgerlich“ fanden Sie es eigentlich, dass für den Unions-Kanzlerkandidaten Laschet aus München wenig Unterstützung und dafür umso mehr Sticheleien kamen?
Schröder: Jetzt müssen wir uns genau überlegen, was wir sagen.
Rödder: Mich hat das abgestoßen. Ich könnte es auch noch deutlicher formulieren.
Sind Sie enttäuscht von Laschets Scheitern?
Rödder: Ich mache mir da große Sorgen, weit über Laschet* hinaus. Wir erleben jetzt in der dritten Bundestagswahl nacheinander, dass ein Kandidat, der mit einem respektablen Profil an den Start gegangen ist, in einer Mühle der Medien regelrecht geschreddert worden ist. Armin Laschet 2021, Martin Schulz 2017, Peer Steinbrück 2013. Ich sorge mich wirklich, was da in unserer demokratischen Öffentlichkeit passiert.
Schröder: Die Lehre ist: Du darfst dich als Kandidat möglichst wenig auf Inhalte festlegen, möglichst wenig Menschlichkeit zeigen, am besten teflon-artig sein. Wollen wir das?
Rödder: Und noch eines kommt hinzu: Auch Armin Laschet hat erleben müssen, dass die alten Ressentiments gegen die Union nach wie vor lebendig sind. Merkel war die Projektionsfläche für diejenigen, für die die CDU dann akzeptabel ist, wenn sie möglichst wenig CDU ist. Aber das ist ja auch keine Lösung – weder für eine Partei noch für die Demokratie.
Interview: Georg Anastasiadis, Christian Deutschländer, Stefan Sessler
*Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA