China: 100 Jahre Kommunistische Partei - und der ewige Xi Jinping

Chinas Kommunistische Partei ist 100 Jahre alt - und feiert sich am 1. Juli selbst. Xi Jinping ist die unangefochtene Nummer Eins in der Partei - und wird es voraussichtlich noch einige Zeit bleiben.
Peking/München - Xi Jinping hält eine Videokonferenz mit Russlands Wladimir Putin, spricht mit den drei chinesischen Astronauten auf Chinas neuer Raumstation und gratuliert Ingenieuren zum offiziellen Start der ersten Wasserturbinen mit einem Gigawatt Leistung an einem Staudamm in Südwestchina. Wenige Tage vor dem 100. Jubiläum der Kommunistischen Partei Chinas ist der Staats- und Parteichef allgegenwärtig. Er prägt das Bild des Landes und der Partei wie seit Mao kein chinesischer Parteichef mehr. Seit Monaten ist eine landesweite Propagandakampagne im Gang, um die Legitimität der Partei und Xi Jinpings zu stärken.
Als Xi 2012 die Macht übernahm, war die Partei von Machtkämpfen und einer drohenden Zersplitterung in Fraktionen zermürbt. Die Wirtschaft wuchs in Rekordgeschwindigkeit, doch zugleich war das System zerfressen von Korruption. Es gab Bedenken, dass die zivile Führung die Kontrolle über das Militär verlieren könnte, das sich ein riesiges wirtschaftliches Schattenreich aufgebaut hatte.
Xi Jinping startete sofort eine in der Bevölkerung populäre Kampagne gegen Korruption, mit deren Hilfe er politische Gegner aus dem Weg räumte. Er stellte mächtige Cliquen kalt und brachte das Militär unter seine Kontrolle, unter anderem durch den Ersatz korrupter Generäle durch eigene Vertraute. Der Ausbruch des Coronavirus in Wuhan und dessen anfängliche Vertuschung Ende 2019 drohte diese Erfolge kurzzeitig zu stören, aber die Partymaschinerie trat schnell in Aktion: Mit harter Hand gelang es der Regierung, das Virus einzudämmen und dem Unmut mancher Bürger ein Erfolgs-Narrativ entgegenzusetzen. China verzeichnete als einzige große Volkswirtschaft der Welt 2020 ein positives Wachstum, während der Rest der Welt noch in der Krise steckte. Im Februar 2021 verkündete Xi, dass es China gelungen sei, die absolute Armut auszuradieren. Dieses Ziel hatte Xi 2013 gesetzt. Laut der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua hat das Land in den letzten acht Jahren fast 1,6 Billionen Yuan in die Armutsbekämpfung investiert - rund 210 Milliarden Euro.
China: 100 Jahre Kommunistische Partei - und der ewige Xi. Nachfolger sind nicht in Sicht
Für all das feiert die Partei sich selbst. Doch eine Herausforderung geht sie nicht an: Die Frage der Nachfolge für Xi Jinping. Bislang ist niemand in Sicht. Dabei wurden in den letzten beiden Dekaden die Kornprinzen früh benannt und über fünf Jahre an ihre künftige Aufgabe herangeführt. Bislang sieht es so aus, als wolle Xi über die üblichen zehn Jahre hinaus an der Spitze von Partei und Staat bleiben. Er ließ 2018 eigens die Verfassung ändern, um länger als zwei Amtszeiten Präsident bleiben zu können.
„Europa sollte davon ausgehen, dass Xi Jinping noch mindestens eine weitere fünfjährige Amtszeit unangefochten an der Macht bleibt”, erwartet Nis Grünberg, Senior Analyst beim Mercator Institute for China Studies (MERICS). „Er hat wichtige Verbündete um sich geschart, und potenzielle Anwärter auf die Führung eliminiert”, schreibt er in einer Studie zum Parteijubiläum. In den letzten Jahren habe er sowohl die Zentrale von Partei und Staat, als auch Führungspositionen in den Provinzen mit Loyalisten besetzt.
Xi hat sich unverzichtbar gemacht, indem er praktisch jedes Thema zur Chefsache erklärte, von Wirtschaftsfragen bis zur Diplomatie. Seine „Xi-Jinping-Gedanken” wurden in die KP-Verfassung aufgenommen. Er hat die Macht wieder stärker in Peking zentralisiert und toleriert unter dem Banner der „nationalen Sicherheit” keine abweichenden Meinungen oder Kulturen. China wird unter Xi ohne Zweifel autoritärer regiert als unter seinen Vorgängern. Das Wohlergehen der Partei steht über allem.
Kommunistische Partei Chinas: Rückzug Xis beim nächsten Parteitag unwahrscheinlich
Doch was dann? Im Oktober 2022 findet der nächste Parteitag statt - der nur alle fünf Jahre zusammenkommt. Nach bisheriger Tradition würde Xi dann Platz machen für einen bereits 2017 benannten Kronprinzen. Doch den gibt es noch gar nicht. Jude Blanchette vom amerikanischen Center of Strategic and International Studies (CSIS) sieht mehrere Szenarien. „Ein geordneter Übergang 2022 ist wohl am wenigsten wahrscheinlich”, glaubt er. Eher hält Blanchette einen Abgang Xis bei einem der folgenden Parteitage 2027 oder 2032 für möglich. „Es ist denkbar, dass Xi 2022 einen Nachfolger benennt, den er dann aufbauen kann”, so Blanchette kürzlich auf einem Webinar. Szenario 3 wäre ein Coup gegen Xi. „Machthaber werden oft von der Elite beiseite geschoben“, sagt Blanchette. Das habe es in China schon gegeben, ebenso wie in anderen autoritären Staaten. Doch seien die logistischen Herausforderungen zur Organisation eines Coups nicht zu unterschätzen - und wohl zu hoch, zumal Xi seit Jahren „Coup-Prävention” betreibe, etwa durch die Kontrolle des Militärs. Bliebe ein plötzlicher Tod im Amt.
So wie ihn Staatsgründer Mao Zedong 1976 ereilte. Es folgten Machtkämpfe zwischen Radikalen und Gemäßigten in der Partei. Maos Nachfolger Hua Guofeng wurde von Deng Xiaoping aus dem Amt gedrängt. Deng stieß Chinas große wirtschaftliche Öffnung an und führte die Amtszeitbegrenzung ein, um einen erneuten Diktator auf Lebenszeit zu verhindern. Es war die wichtigste politische Reform jener Zeit. Deng wählte zweimal einen Nachfolger für sich selbst aus - ersetzte aber nacheinander beide, weil sie ihm am Ende zu liberal waren. Der zweite, Zhao Ziyang, endete wegen seines Verständnisses für die Demokratiebewegung 1989 im Hausarrest. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste mit vielen Toten landete Jiang Zemin als Kompromisskandidat auf dem Chefsessel. Er leitete schließlich die geordnete Machtübergabe aller Partei- und Staatsämter ein: Auf Jiang folgte 2002 Hu Jintao, auf Hu folgte 2012 Xi. Man hielt sich an gestaffelte Altersobergrenzen für verschiedene Ämter zwischen 65 und 70 Jahren.
Xi Jinping: Mühsam errungene Normen in China außer Kraft gesetzt
Xi setzt diese mühsam gewonnenen Regeln wieder außer Kraft. „Je mehr ein Machthaber die Normen erodiert, desto größer wird aber das Risiko für ihn selbst”, warnt Jude Blanchette. Denn auch andere hielten sich dann nicht mehr unbedingt an Regeln. „Rivalen könnten darüber nachdenken, wie sie den Abgang Xis beschleunigen können - auf nicht-verfassungskonformem Wege.” Und: Es sei keineswegs so, dass Xi keine Rivalen habe, ergänzt Richard McGregor vom australischen Lowy Institute, der mit Blanchette eine Studie zum Thema geschrieben hat. Es gebe zwei Gruppen, die von der Abschaffung der Amtszeitbegrenzung genervt seien. McGregor nennt sie „gute Feinde und böse Feinde”. Erstere seien Liberale, Unternehmer oder Publizisten; letztere seien jene, die in Xis Anti-Korruptionskampagne unter die Räder gerieten.
Wie es in einem China nach Xi aussehe, hänge davon ab, wie der Machtwechsel stattfinde, sagt McGregor, der viele Jahre Korrespondent der britischen Financial Times in China war. „Wenn Xi bis 2032 im Amt bleibt, dann wäre der nächste an der Spitze heute schon 50 oder 55. Das heißt, es wurde eine ganze Generation aufstrebender Führungspolitiker übersprungen.” Es klingt wie ein Rezept für innerparteilichen Unmut. Es sei daher entscheidend, Nachwuchs ins Boot zu holen, um eine Nachfolgekrise zu vermeiden, schreiben die Experten.
Xi Jinping: „Chinesischer Traum“ vom wachsenden Wohlstand der Volksrepublik
Diese würde den von Xi höchstpersönlich ausgerufenen „Chinesischen Traum” vom „gemeinsamen Wohlstand“ gefährden. Auch ganz ohne KP-Krise sind die Herausforderungen groß genug. Die Partei muss die trotz der Erfolge in der Armutsbekämpfung weiter wachsende Vermögenskluft angehen. Chinas Bevölkerung altert rasant; das Land hat ein Imageproblem im Ausland und ist im Konflikt mit den USA und Europa über viele Themen von den Menschenrechten bis zu Technologie- und Handelsfragen.
2049 wird die Volksrepublik China 100 Jahre alt. Bis dahin will Xi das Land zu einer wohlhabenden und mächtigen Nation machen. Er selbst wäre dann 96 Jahre alt. „Wenn größere Katastrophen ausbleiben, ist es wahrscheinlich, dass China die USA bis Anfang der 2030er Jahre als größte Volkswirtschaft der Welt überholen wird”, sagte Sebastian Heilmann, Professor für Politische Ökonomie Chinas an der Universität Trier, kürzlich in einem MERICS-Interview. „Und solange der Westen nicht die Kurve kriegt, indem er den sozialen und politischen Zusammenhalt wiederherstellt, seine Innovationskraft stärkt und eine effektive Gegenstrategie zu Chinas Vormarsch entwickelt, sollten wir uns auf eine chinesische Supermacht mit globaler Reichweite einstellen.” (ck)
Lesen Sie auch den ersten Text zum 100-jährigen Jubiläum der Kommunistischen Partei über die Xi und die „Wolfskrieger“-Diplomatie.