Taliban: Warum die Chancen für Chinas „Neue Seidenstraße“ in Afghanistan schlecht stehen

Ein Gottesstaat als Wirtschaftspartner der Seidenstraßen-Initiative? Theoretisch hat Afghanistan für Peking großes Potenzial. Doch selbst das pragmatische China kommt in der Praxis schwer mit den Taliban zurecht.
- Afghanistan ist für China von großem Interesse - es gäbe Potenzial für die „Neue Seidenstraße“ und im Boden lagern wertvolle Rohstoffe.
- Doch bisher erlaubte die Sicherheitslage keine Investitionen Pekings - Projekte liegen auf Eis.
- Das künftige Emirat der Taliban bietet ebenso wenig das nötige Umfeld für sichere Investitionen.
- Dieser Text erscheint bei den Portalen von IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 19. August 2021.
Peking/Berlin - China möchte Afghanistan nach Möglichkeit in sein eigenes Außenhandelssystem einbinden: Die Neue Seidenstraße*, auch Belt and Road Initiative (BRI) genannt. Denn das Potenzial des Landes ist aus chinesischer Sicht grundsätzlich groß. Im Boden sollen sagenhafte Vorkommen an begehrten Industriemetallen liegen, den Seltenen Erden. Außerdem finden sich Kupfer, Gold und Eisen. Selbst Lithium lässt sich dort fördern, der Grundstoff für die Batterien in E-Autos und Handy. Vorkommen von Erdgas und Öl wurden ebenfalls nachgewiesen. Richtig verwertet, könnten diese Rohstoffe beide Länder richtig reich machen.
Dazu kommt die geografische Lage. Afghanistan* verbindet Süd- mit Zentralasien ebenso wie West- und Ostasien. Es könnte Drehkreuz des Seidenstraßen-Handels sein, wenn es die nötigen Häfen, Straßen und Zugstrecken gäbe. Deren Bau wiederum würde auf Jahre Wachstum und Arbeitsplätze schaffen, sowohl für China* als auch für Afghanistan selbst. Eine oft gehörte Einschätzung aus den Anfangstagen der BRI lautete daher bislang, dass sie Afghanistan in einer Weise wirtschaftlich einbinden könne, die zuvor für unmöglich gehalten wurde.
Das hohe Potenzial ist jetzt für China auch der Grund dafür, gute Miene zum bösen Spiel zu machen* und die Taliban zu hofieren. Doch Experten bezweifeln, dass sich wirklich eine vorteilhafte Wirtschaftspartnerschaft mit ihrem Regime aufbauen lässt. „Die chinesische Führung betont zwar, wie wichtig ihnen Afghanistan geografisch ist“, sagt Francesca Ghiretti, Seidenstraßen-Expertin bei dem China-Forschungsinstitut Merics. „Doch wenn eine tiefgreifende Zusammenarbeit zustande kommen soll, müssten die Taliban ihren Regierungsstil ändern.“
Afghanistan: Voraussetzungen für wirtschaftliches Engagement Chinas fehlen
China braucht folgende Rahmenbedingungen für eine sinnvolle Kooperation im Rahmen der BRI – und fast keine davon ist gegeben:
- Stabilität: Die Mitarbeiter chinesischer Einrichtungen müssen geschützt sein, bevor ein groß angelegtes Engagement möglich ist. Ebenso müssen der Verbleib und die Rendite der Investitionen sichergestellt sein. „Chinesische Investoren zeigten sich ohnehin zuletzt weniger risikobereit“, beobachtet Ghiretti. Uneinigkeit zwischen Gruppen im Land, ein fehlendes Rechtssystem, eine Gewaltkultur in der Gesellschaft und grassierende Korruption schaffen jedoch ein nicht tolerierbares Maß an Instabilität.
- Ein investitionsgetriebenes Entwicklungsmodell: Das erste Emirat der Taliban in den 90er-Jahren hatte keine nennenswerte Entwicklungspolitik, die Wirtschaft in dieser Phase kam praktisch nicht voran. Die wichtigste Einkommensquelle war der Verkauf von Opium. Religiöse Aktivität hatte Vorrang vor Wirtschaftsaktivität.
- Ein Zentralstaat als Ansprechpartner: Die Taliban sind eher ein Netzwerk von unterschiedlichen Gruppen. China baut gerne milliardenschwere Großprojekte – doch für deren Planung fehlt eine Regierung als Ansprechpartner. Auch für den Abbau der Bodenschätze fehlt die nationale Einheit. Stattdessen würde es Streit um die Verteilung der Gewinne geben.
- Ein funktionierender Bankensektor: Die strenge Auslegung des Koran schränkt die Möglichkeiten zu Kreditvergabe stark ein. Das Partnerschaftsmodell der Neuen Seidenstraße sieht jedoch die Vergabe hoher Darlehen zur Projektfinanzierung vor. Diese werden vor Ort weiter- und durchgeleitet werden. Expertin Ghiretti erwartet indessen, dass die Taliban hier pragmatische Lösungen finden, wenn ein Wille da ist.
China in Afghanistan: Investitionen bisher eher erfolglos
Wie Chinas Engagement in Afrika und anderswo zeigt, sind Pekings Anforderungen an die Herrschaftsform der Zielländer zwar grundsätzlich gering. Doch auch wenn der Zusammenarbeit mit den Taliban keine moralischen Bedenken entgegenstehen, gibt es zahlreiche praktische Hürden für Investitionen in Afghanistan. Diese gehen zum Teil nicht einmal auf die islamistischen Gotteskrieger zurück, sondern sind strukturell bedingt. Dies zeigt sich beim Blick auf die bestehenden chinesischen Projekte im Land:
- Die Kupfermine in Mes Aynak: Die zwei chinesischen Firmen Metallurgical Corporation of China und Jiangxi Copper haben 2008 eine Lizenz zum Abbau des kostbaren Metalls erhalten. Kupfer ist unter anderem der Grundstoff für Stromleitungen und Elektromotoren, aber auch für Armaturen. Chinas Bedarf an dem teuren Metall steigt und steigt. Die Mine in Afghanistan könnte die zweitgrößte ihrer Art weltweit sein. Doch bis heute wurde an dem Standort südöstlich von Kabul nichts gefördert. Zwischen den chinesischen Akteuren und der Regierung in Kabul kam es zu einem ewigen Vertragsstreit um die Verarbeitung des Kupfers. Ghiretti hält jedoch die generell mangelnde Stabilität und Sicherheit für den Hauptgrund des Scheiterns. Und das, obwohl die Taliban versprochen haben, keine Anschläge auf das Projekt zu verüben.
- Ein Kohlekraftwerk und eine Eisenbahnstrecke zwischen den Häfen Hairtan und Torkham: Auch sie wurden nie gebaut. Die chinesischen Investoren stellten ihre Notwendigkeit infrage, weil die damit verbundenen Projekte nie in Gang kamen – unter anderem die Kupferförderung und -verarbeitung in Mes Aynak.
- Das Ölfeld in Amu Darya: Als sich China National Petroleum (CNPC) den Zugriff auf das große Vorkommen gesichert hat, galt das als Erfolg für Chinas Rohstoffpolitik. Es liegt in der Nähe von Masar-e Scharif. Vertragspartner war die Watan-Gruppe, die von der Familie des Ex-Präsidenten Hamid Karzai kontrolliert wird. Doch auch die guten Beziehungen nützten nichts. Von Anfang an gab es Angriffe auf die Anlagen, und eine eigentlich nötige Raffinerie wurde nie gebaut.
In der Realität waren daher nicht etwa High-Tech-Metalle das wichtigste afghanische Exportgut nach China, sondern Nüsse, Baumwollgarn, Trockenfrüchte und Tierhaar. In der Praxis seien die konkreten Wirtschaftsinteressen in Afghanistan daher „minimal“, sagt Andrew Small vom European Council on Foreign Relations. Deshalb habe China – ganz uncharakteristisch – nicht einmal angefangen, eine massive Verkehrsanbindung durch die Berge zu schlagen.
China: Taliban sind innenpolitisch schwer tragbar
Die Projekte zeigen aber zugleich, dass China auch zu Zeiten der westlichen Intervention konstruktive Beziehungen zum afghanischen Staat aufgebaut hatte. „Sie sind mit der existierenden Regierung zurechtgekommen und haben ihre Zusammenarbeit signalisiert“, so Ghiretti. China hatte eben gute Beziehungen zu beiden Seiten, den Taliban und der bis zum Wochenende offiziellen Regierung. Die größten Investitionen im Land kamen auch zur Zeit der westlichen Militärpräsenz aus China.
Der Gedanke war von Anfang an, in jedem Fall einen Fuß in der Tür zu haben. Regionalexperten wie Raffaello Pantucci von der Rajaratnam School of International Studies in Singapur weisen daher die in den letzten Tagen oft geäußerte Behauptung zurück China wolle in die Lücke stoßen, die der US-Abzug hinterlässt.
Die Regierung in Peking hat noch ein weiteres Problem mit den Taliban. Bilder von wilden Männern, die Gewehre schwingen und jetzt Chinas neue Partner sein sollen, lassen sich nach innen kaum als großen Erfolg der Neuen Seidenstraße verkaufen. Und während die Regierung glaubt, in der Nordwestregion Xinjiang* die ohnehin toleranten Uiguren massenhaft umerziehen zu müssen, will sie in einem Nachbarland mit radikalen Gotteskriegern kooperieren? Hier bestehe ein allzu offensichtlicher Widerspruch, der sich nicht ohne Weiteres wegerklären lasse, meint Regionalexpertin Ghiretti. Daher hat Außenminister Wang Yi bei dem legendären Treffen in Tianjin* offenbar darauf gedrungen, dass die Taliban sich ein akzeptableres Image zulegen. Es ist höchst fraglich, ob so ein Wunsch Wirkung zeigt.
Taliban-Sieg in Afghanistan: Nicht das erwünschte Ergebnis für Peking
China ist mit den Taliban als neuen Nachbarn also vermutlich höchst unglücklich. „Ihr Sieg war mit Sicherheit nicht das gewünschte Ergebnis“, sagt Ghiretti. Als konstruktive – oder gar willfährige – Partner im Rahmen der BRI sind sie vergleichsweise ungeeignet. Sie nützen also dem großen Prestigeprojekt von Präsident Xi Jinping* vermutlich weniger, als es eine weltliche Regierung getan hätte. „Im Gesamtbild ist es unwahrscheinlich, dass China hier in absehbarer Zeit hohe Investitionen tätigt“, so Ghiretti.
Auch insgesamt dürfte China die Entwicklung in Afghanistan mit Misstrauen betrachten. Fast in jeder Hinsicht ist ein Gottesstaat ein schlechterer Nachbar, als es ein weltlicher Staat wäre. Eine Brutstätte des Terrors mit einer Landbrücke ins eigene Territorium wäre ein regelrechter Alptraum. Schließlich hat China durch seine restriktive Politik gegen die Muslime in Xinjiang* ein erhebliches Unruhepotenzial geschaffen. Die Führung glaubt jetzt schon, die Lage dort mit Polizeistaatsmethoden unter Kontrolle halten zu müssen. Schon jetzt fürchtet das China Institute of Contemporary International Relations, dass das Chaos in Afghanistan auf Tadschikistan, Usbekistan oder gar Pakistan übergreifen könnte.
Die Hemmnisse für die chinesischen Investitionen sind jammerschade für ein Land, das größtenteils in Armut lebt und in einer vormodernen Wirtschaftsweise verharrt. Gerade in so einem Umfeld könnten von China geförderte Entwicklungsstrategien in kurzer Zeit einen gewaltigen Unterschied machen. Das verspräche dann eine entsprechende Rendite auch für die chinesischen Investoren. Von einer wachsenden Wirtschaft und gedeihenden Großprojekten hätten dann auch andere Infrastruktur-Anbieter etwas, zum Beispiel Deutschland. So hatte Siemens Energy bereits Verträge für die Elektrifizierung des Landes unterzeichnet. Unter den Taliban stehen die Chancen für so einen Kurs jedoch vorerst schlecht.
Von Finn Mayer-Kuckuk
Seit Mai 2021 ist Finn Mayer-Kuckuk Redaktionsleiter des Briefing-Formats China.Table. Zuvor war er Hauptstadtkorrespondent in der Bundespressekonferenz in Berlin und China-Korrespondent unter anderem für das Handelsblatt und die DuMont-Gruppe. Er berichtet unter anderem über das Zusammenspiel der chinesischen mit der deutschen Wirtschaft, Digitalisierung und IT sowie über China-Trends in der deutschen Hauptstadt.
Dieser Artikel erschien am 19.8.2021 im Newsletter „China.Table Professional Briefing“ – im Zuge einer Kooperation steht er nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.
