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Neue Seidenstraße zur Arktis? China plant „polare Großmacht“

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Von: Christiane Kühl

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Chinesischer Eisbrecher Xuelong 2, festgemacht an einer Pier in Shanghai
Chinesischer Eisbrecher Xuelong 2 in Shanghai, kurz vor dem Auslaufen zu seiner Arktis-Expedition Mitte Juli © Polar Research Institute of China/Imago/Handout via Xinhua

China will die Arktis in seine Neue Seidenstraße einbeziehen. Anrainer sind misstrauisch - Russland sucht den Mittelweg.

Tromsö/Peking/München - Interessen-Gerangel am Nordpol: Mit der globalen Erwärmung schmilzt das Eis im Nordpolarmeer, und die Arktis gerät immer mehr in den Fokus der Geopolitik. China* inszeniert sich als „arktisnaher” Staat und will im hohen Norden eine polare Neue Seidenstraße* mit Handelswegen und Infrastrukturprojekten aufbauen. Russland pocht derweil auf territoriale Ansprüche vor allem in der Nordostpassage. Die USA wittert eine künftige Militärpräsenz Chinas, und auch Nordeuropa ist misstrauisch. 

Zwar gehört China nicht zu den Arktis-Anrainerstaaten. Doch das stört Peking wenig. „China strebt einen Status als regionaler Akteur an”, sagt Marc Lanteigne von der Arctic University im nordnorwegischen Tromsö zu Merkur.de*. „Es will nicht außen vor bleiben, wenn es um Regelung und Strategie in der Region geht.” Die Region sei China zu wichtig, um sie allein den Arktisstaaten zu überlassen. In Russland will China sich am Bau mehrerer Häfen an der Nordküste beteiligen und besitzt Anteile am dortigen Flüssiggasprojekt Yamal. Ähnliche Projekte verfolgt es in Nordeuropa. Laut einer Studie der US-Denkfabrik Brookings spricht Präsident Xi Jinping* in internen Reden davon, dass China bis 2030 eine „polare Großmacht” werden wolle. Was das heißt, bleibt indes unklar. 

China betreibe derzeit vor allem eine aktive Forschungsdiplomatie, sagt Lanteigne. Derzeit ist der chinesische Eisbrecher Xuelong 2 auf einer Expedition in arktischen Gewässern unterwegs. Das im Juli von Shanghai aus aufgebrochene Schiff, zu deutsch „Schneedrache”, soll nach offiziellen Angaben Atmosphäre, Meereis, Mikroplastik und Ozeanversauerung erforschen und somit Erkenntnisse über Meereshydrologie, Klima und biologische Kreisläufe der Arktis gewinnen. China betreibt mehrere Forschungsstationen auf Spitzbergen und will 2022 einen Satelliten ins All schießen, der Schiffsrouten und Veränderungen des Meereises überwachen kann.

Arktischer Rat: Acht Staaten entscheiden über Regeln in der Region - China gehört nicht dazu

Rund vier Millionen Menschen leben in der Arktis, also jenseits des nördlichen Polarkreises. Viele Staaten Europas und Asiens zeigen wirtschaftlich-strategisches Interesse an der Region. Sie möchten alle an die unter dem Meer und Inlandeis ruhenden Rohstoffe Erdöl, Erdgas, Uran, Gold und Seltene Erden. Das Eismeer um den Nordpol ist zum großen Teil internationales Gewässer.

Gerade deshalb sind Regeln für die Rohstoffgewinnung und die Schifffahrt nötig. Entschieden wird über diese Dinge im Arktischen Rat mit Sitz in Tromsö, der acht Staaten umfasst: Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Schweden, Russland und die USA. China ist seit 2013 einer der 13 Beobachterstaaten, zu denen auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie in Asien Japan, Indien und sogar das tropische Singapur gehören. Politische Entscheidungen aber treffen nur die acht Vollmitglieder. „Im Gegensatz zu den meisten anderen Weltregionen ist die Arktis ein Insider-Club, und China muss sich auf Partner verlassen, um seine Interessen durchzusetzen – insbesondere Russland”, schreibt die amerikanische Politik-Professorin Elizabeth Wishnick in ihrem Blog zu Chinas Rohstoffrisiken.

China und Russland: Wieviel Kooperation geht in der Arktis?

Russland hat im Mai für zwei Jahre die rotierende Präsidentschaft des Arktischen Rats übernommen. Moskau will durchaus Kooperation mit China - allerdings nur im russischen Teil der Arktis. Außenminister Sergej Lawrow lehnte diese Woche eine Zusammenarbeit mit China innerhalb des Arktischen Rates ab. 

Treibende Eisschollen in der Arktis
Die USA, Russland und auch China haben seit längerem ein Auge auf die Arktis geworfen. Grund dafür sind Ressourcen in der Region sowie mögliche Schifffahrtsrouten. © David Goldman

Russland geht es anders als China in der Region auch um territoriale Ansprüche: Im UN-Seerechtsabkommen ist festgelegt, dass die fünf Staaten mit Land innerhalb des Polarkreises – Russland, die USA, Kanada, Dänemark/Grönland und Norwegen – nur eine an ihr Festland grenzende, 320 Kilometer breite Wirtschaftszone beanspruchen dürfen. Russland jedoch sieht weite Teile der Arktis als eine Fortsetzung seines Landgebiets unter Wasser, basierend auf Unterwasser-Höhenzügen - und beantragt seit langem eine Vergrößerung seines Festlandsockels bei der UN.

Moskau will die Hoheit über die Nordostpassage, die durch die globale Erwärmung heute im Sommer schiffbar ist. China sieht das Tauen als Chance auf eine kürzere Fahrtzeit nach Europa und engagiert sich deshalb für Navigationsfreiheit in der Arktis - inklusive der begehrten Route. Chinesische Frachter fuhren bereits durch die Nordostpassage; auch plant Peking den Bau eines atombetriebenen Eisbrechers. Solche Schiffe besitzt bisher nur Russland; Moskau dürfte an einer Konkurrenz wenig Interesse haben. Ebensowenig dürfte es begeistert sein, wenn die zur kollektiven russischen Identität gehörende Nordostpassage zu einem Anhängsel der chinesischen Seidenstraßen-Initiative werde, schreibt Wishnick.

Russlands China-Kurs in der Arktis: Ein Mittelweg

Derzeit erscheint der russische China-Kurs als Mittelweg: Investitionen chinesischen Geldes wie in Yamal oder in Nordmeer-Häfen sind willkommen, ebenso wie Hafengebühren durch Schiffe aus China, Japan oder Südkorea, die die Passage benutzen. Aber über Militär und Sicherheit in seinem nördlichen Hinterhof will Moskau selbst entscheiden. Russlands Arktis-Bauftragter Nikolai Korschunow lehnte im Juli Chinas Selbst-Definition als „arktisnaher Staat” ab.

Dieser eigentlich in akademischen Zirkeln geschaffene Begriff hatte 2018 Eingang in ein Arktis-Strategiepapier gefunden, in dem China vor allem friedliche Entwicklung, gemeinsame Interessen oder Forschung anstrebt. Man sei von den klimatischen Veränderungen in der Arktis direkt betroffen, begründete Peking das Konzept. Nach außen agiert China in der Region vorsichtig und diplomatisch. „Peking bemüht sich, nicht als Spielverderber aufzutreten”, beschreibt es Lanteigne. „Es akzeptiert die Beobachter-Rolle im Arktischen Rat.” So habe der Nationale Volkskongress vor einigen Monaten einen Fischerei-Stopp im Nordpolarmeer ratifiziert, den der Arktische Rat verabschiedet hatte.

China: Ambitionen stoßen im Westen auf Widerstand

Doch Chinas Ambitionen könnten an seinen angespannten Beziehungen zum Westen zerschellen. Bis auf Russland zählen die Arktis-Anrainer zum Westen. Norwegen und Schweden waren anfänglich offen und genehmigten chinesische Forschungs- und Satellitenstationen. Doch inzwischen kriseln die Beziehungen, es geht um Menschenrechtsfälle und den Ausschluss des chinesischen Telekommunikationsausrüsters Huawei* vom 5G-Netzwerk etwa in Schweden.

China habe daher zwar durch den Bau des Eisbrechers Xuelong 2 und eisfähiger Frachter den physischen Zugang verbessert, zitierte die South China Morning Post die Arktisforscherin Mia Bennett von der University of Hong Kong: „Doch wenn man bedenkt, wie die USA und Dänemark, Finnland und Kanada in den letzten Monaten und Jahren alle chinesischen Investitionen in Infrastruktur und Ressourcen blockiert haben, erscheint das Investitionsklima für chinesische Unternehmen in weiten Teilen der Arktis außerhalb Russlands ziemlich feindselig.”

Die finnische Regierung suspendierte kürzlich ein Projekt zur Mitfinanzierung einer Eisenbahn durch China. Die Parlamentswahl in Grönland gewann im April die Inuit-Partei Inuit Ataqatigiit, die sich im Wahlkampf gegen den Abbau Seltener Erden* durch eine chinesische und eine australische Firma positioniert hatte. Das Projekt liegt nun auf Eis. Mehrere Rohstoffprojekte scheiterten aufgrund von Problemen der chinesischen Firmen, darunter eine Zinkmine in Kanada.

Einzelne Regionen oder Länder wie Island seien allerdings offen für Geschäfte, sagt Marc Lanteigne. Stimmen in Nordnorwegen hätten sich zum Beispiel für den Bau von Häfen ausgesprochen, die Schiffe aus Fernost nach Durchfahren der Nordostpassage anlaufen könnten, erzählt Lanteigne. Auch warte Nordnorwegen seit 30 Jahren auf einen Eisenbahn-Anschluss an den Süden des Landes, erzählt Lanteigne. Manche hätten daher China als Investor für das Projekt ins Spiel gebracht. Doch Oslo lehne das entschieden ab.

USA: Fokus nur auf Geopolitik und Militär

Norwegen* setzt eher auf Zusammenarbeit mit den USA und erlaubte unter anderem amerikanischen Atom-U-Booten die Nutzung des Hafens von Tromsö. Und die USA trommeln seit Jahren gegen chinesische Aktivitäten im Nordmeer, die es seit der Trump*-Regierung vor allem als militärisch motiviert einstuft. Manche US-Beamte setzten Chinas Verhalten in der Arktis dabei mit aggressiven Aktionen im Südchinesischen Meer gleich, sagt Lanteigne. Doch der Vergleich hinke: China erhebt anders als im Indopazifik keinerlei territoriale Ansprüche in der Arktis. Interne Militärdokumente schließen allerdings nach der Brookings-Studie Kämpfe der Großmächte einschließlich China um internationale Räume wie in der Arktis nicht aus. Inwieweit so etwas die offizielle Politik ausdrückt, ist nicht zu verifizieren. Es bleibt zu hoffen, dass sich der friedliche Ansatz des Strategiepapiers durchsetzt. (ck) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.

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