Sicherheitsexperte kritisiert China-Deal des Kanzlers: „Scholz hat die Lehre nicht verstanden“
Chinas Staatsreederei Cosco erhält eine Beteiligung am Hamburger Hafen. Sicherheitsexperte Prof. Dr. Krause hat Bedenken, wie er im Interview mit dem Münchner Merkur erklärt.
München – Die Entscheidung, dem chinesischen Staatskonzern Cosco den Einstieg beim Hamburger Hafen zu genehmigen, sorgt weiter für Befremden. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Professor Dr. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel, warum Bundeskanzler Olaf Scholz falsche Prioritäten setzt.
Verstehen Sie die Entscheidung des Kanzlers?
Prof. Dr. Joachim Krause: Ich kann sein Verhalten nicht nachvollziehen. Wir leben in einer „Zeitenwende“, die Kanzler Scholz ja ganz richtig so benannt hat. Zur „Zeitenwende“ gehört auch, dass wir uns aus strategischen Abhängigkeiten von Staaten wie Russland oder China befreien, die offensichtlich kriegerische Absichten verfolgen und die uns mit diesen Abhängigkeiten erpressen. Das ist hier offensichtlich nicht geschehen.
Etliche Fachministerien sahen es anders als Scholz.
Prof. Dr. Krause: Das zeigt, dass der Kanzler immer noch nicht verstanden hat, was „Zeitenwende“ bedeutet. Es sieht so aus, als ob kurzfristige ökonomische Erwägungen, in diesem Fall für seine Heimatstadt Hamburg, den Ausschlag gegeben haben, aber keine langfristige Perspektive. Das ist kein guter Ausweis für seine Führungsqualität als Kanzler aller Deutschen, die er ja gerne für sich beansprucht.
Hat Deutschland aus der Abhängigkeit von Russland nichts gelernt?
Prof. Dr. Krause: Hat es offenkundig nicht, zumindest nicht der Bundeskanzler. Die Abhängigkeiten von China sind sehr umfassender und viel tiefgreifender als im Fall Russlands. Und wir merken derzeit, wie schmerzhaft es ist, sich von der Abhängigkeit von russischem Erdgas zu befreien. Bei China sieht die Lage sehr viel schwieriger aus. Man kann nicht von heute auf morgen alle Abhängigkeiten von China beseitigen. Das ist ein Prozess, der lange Zeit in Anspruch nehmen wird und wo es darauf ankommt, dass die Politik der Wirtschaft hilft, sich umzustellen. Auf keinen Fall sollte man aber zu diesem Zeitpunkt die Verflechtung mit und damit die Abhängigkeit von China vergrößern.

Sicherheitsexperte Krause zum China-Deal: „Lehre hat Olaf Scholz offensichtlich nicht verstanden“
Ist das eine Fortsetzung der Politik Gerhard Schröders und Angela Merkels?
Prof. Dr. Krause: In gewisser Weise ja: Die beiden haben sich immer sehr stark an den Interessen der Industrie orientiert. Das wurde dann garniert mit hehren Zielen wie Völkerverständigung, Vertrauensbildung, Dialogbereitschaft und so weiter. Da kam denn eine ganz gefährliche Mischung im Sinne einer Beschwichtigungspolitik heraus, wie wir in der Ukraine sehen. Diese Lehre hat Olaf Scholz offensichtlich nicht verstanden.
Wie wirkt es auf kleinere Länder, wenn das Schwergewicht Deutschland China schon nicht widersteht?
Prof. Dr. Krause: Viele Länder sehen uns als Vorbild an. Wenn dann so etwas passiert, können andere sagen: „Ach, dann machen wir das auch.“
Dass China Abhängigkeiten schaffen will, gerade durch das Projekt Neue Seidenstraße, ist bekannt.
Prof. Dr. Krause: Das ist Teil der chinesischen Politik, die darauf abzielt, die Welt neu zu ordnen, nämlich im Sinne eines globalen chinesischen Vormachtanspruchs und des totalitären Anspruchs der Kommunistischen Partei Chinas. Peking geht dabei mit militärischen, diplomatischen, wirtschaftlichen und industriellen Strategien vor und findet aufgrund seiner Stärke immer wieder Partner, die sich einspannen lassen. Angesichts dieser Herausforderung muss man strategisch denken und nicht nur auf die Auslastung des Hamburger Hafens und die Arbeitsplätze in der Region schauen.

China-Deal am Hamburger Hafen: „Für die westliche Gemeinschaft ein fatales Signal“
Was für ein Signal sendet Scholz an China?
Prof. Dr. Krause: Für Peking ein gutes, aber für die westliche Gemeinschaft ein fatales Signal. Es zeigt, dass China mit seiner Politik doch noch Erfolge erzielen und die westliche Welt spalten kann. Nächste Woche reist der Kanzler nach China, mit großer Wirtschaftsdelegation. Ich habe dafür kein Verständnis. Unter Bedingungen der „Zeitenwende“ ist es nicht die Zeit für solche Delegationsreisen. Vielmehr müssen wir uns mit unseren Freunden und Verbündeten in Europa, Nordamerika und Asien darüber verständigen, wie wir am besten mit der chinesischen Herausforderung umgehen und uns wirtschaftlich, technologisch und diskursiv auf die chinesische Herausforderung einstellen, die eine Bedrohung der freien westlichen Welt und unserer individuellen Freiheit ist.
Wie soll die konkret aussehen? Den Plan gibt es schon seit Corona.
Prof. Dr. Krause: Es könnte bedeuten, dass wir viele Vor-, Zwischen- und Endprodukte, die wir heute aus China beziehen und gar nicht mehr selber herstellen, aus anderen Ländern beziehen oder wieder in Europa herstellen. Dies ist besonders wichtig bei Technologieprodukten oder Vorprodukten sowie bei bestimmten Metallen und Mineralien, wo China deswegen ein Monopol hat, weil es keine scharfen Umweltauflagen vornimmt. Das ist ein langwieriger und schmerzhafter Prozess, den wir aber endlich anfangen müssen und bei dem auch manches Verbot bei uns infrage gestellt werden muss. Nach dem Schock, den wir gerade durchmachen, müssten wir das dringend tun.
Droht Deutschlands Führungsrolle in Europa Schaden zu nehmen?
Prof. Dr. Krause: Leider ja. Die Vorbildrolle hat schon in vielen Bereichen gelitten. Unser Erscheinungsbild in Osteuropa kann schlechter gar nicht mehr werden, gerade wegen unserer Haltung zu Russland. Der Kanzler erweckt den Eindruck, business as usual zu betreiben, obwohl China androht, Taiwan zu erobern. Tatsächlich muss er eine neue Strategie für den Umgang mit China und Russland entwickeln, davon sehe ich leider derzeit im Kanzleramt nichts.
Interview: Marc Beyer