Menschenrechte in China: Die bisherige Entwicklung

In China sind die Menschenrechte zwar in der Verfassung verankert. Doch Peking versteht etwas anderes unter dem Begriff - etwa die Befreiung von Millionen aus der Armut. Meinungsfreiheit besteht nicht.
Im Jahr 2004 wurden die Menschenrechte in die chinesische Verfassung aufgenommen - 55 Jahre nach Gründung der Volksrepublik China. Trotzdem werden Peking immer wieder Verstöße gegen die individuellen Freiheitsrechte der Chinesen vorgeworfen. Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) wehrt sich gegen diese Vorwürfe und betont, dass die Rechte jedes Einzelnen stets gegen das Gemeinwohl abgewogen werden müssen. Diese Auslegung der Menschenrechte ist auch in der chinesischen Gesetzgebung verankert: Verletzungen individueller Menschenrechte sind legitim, wenn diese dem Gemeinwohl dienen.
Chinas Presse- und Internetzensur, die Vollstreckung der Todesstrafe und die Möglichkeit zur willkürlichen Inhaftierung werden von westlichen Staaten und internationalen Menschenrechtsorganisation vielfach kritisiert. China bezeichnet die Vorwürfe des Westens oft als scheinheiligen Versuch des Westens, das Land zu politisch zu schwächen. Die Menschenrechte gehören für Peking zu den „inneren Angelegenheiten“ Chinas, in die sich niemand einzumischen habe.
Menschenrechte in China: Geschichte und Verständnis in der Volksrepublik China
Seit dem Ende des chinesischen Bürgerkriegs im Jahr 1949 regiert in der Volksrepublik China die Kommunistische Partei (KPCh). In dem Ein-Parteien-Staat gibt es keine Gewaltenteilung wie in demokratischen Systemen. Die chinesische Bevölkerung hat deshalb faktisch kein Mitspracherecht in der Politik des Landes. Im Jahr 2004 - 55 Jahre nach Gründung des chinesischen Staates - wurden die Menschenrechte in die Verfassung aufgenommen. Allerdings behielt sich die Regierung in Peking einen Zusatz zum entsprechenden Artikel vor: Es wurde festgelegt, dass der Staat die Menschenrechte respektiert und gewährleistet. Dadurch besitzt die KPCh die Deutungshoheit darüber, wie sie die entsprechenden Gesetze auslegt.
Die Bedeutung der Menschenrechte, wie sie von den Vereinten Nationen verstanden werden, und ihre Auslegung durch die KPCh unterscheiden sich dabei grundlegend. Während die universellen Menschenrechte der UNO die Grundrechte und die Menschenwürde eines jeden Einzelnen sichern, hat in der Volksrepublik die Bevölkerung als Ganzes Priorität über die Freiheitsrechte des Individuums: Das Gemeinwohl steht über dem individuellen Wohl. Die UNO zielt dagegen mit ihren Abkommen vorrangig auf den Schutz der Einzelnen vor Übergriffen durch den Staat ab.
Es gibt zwei dieser Abkommen (UN Covenants), die gemeinsam mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Universal Declaration of Human Rights/UDHR) die internationale Bill of Rights bilden. Der von China unterschriebene und 2001 ratifizierte Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights/ICESCR) befasst sich unter anderem mit dem Recht auf Wohnraum, Bildung, Arbeit, Gesundheit. China zählt diese Aspekte zu den Menschenrechten und betont stets, das es durch seine erfolgreiche Armutsbekämpfung und die Schulpflicht deshalb große Fortschritte bei den Menschenrechten erzielt hat.
Im westlichen Verständnis werden Menschenrechte aber vor allem durch politische Freiheiten abgebildet: Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit. In diesen Bereichen setzt China der Freiheit enge Grenzen. 1998 unterzeichnete China dennoch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (International Covenant of Civil and Political Rights/ICCPR), in dem es genau um diese Rechte geht. Es hat hat diesen Pakt aber trotz anderslautender Zusagen bis heute nicht ratifiziert.
Trotz der verbreiteten Kritik an der Menschenrechtslage in China wurde das Land bereits mehrfach durch die UN-Vollversammlung für eine Mitgliedschaft im UN-Menschenrechtsrat ausgewählt, zuletzt im Oktober 2020.
Menschenrechte in China: Todesstrafe, erzwungene Geständnisse und Administrativhaft
Insbesondere aufgrund ihres drakonischen Strafrechts werden der Volksrepublik China seit langem systematische Verletzungen der Menschenrechte vorgeworfen. Noch immer wird regelmäßig wird die Todesstrafe verhängt, wobei unklar ist wie viele Hinrichtungen im Jahr vollzogen werden. Mit dem Tode bestraft werden nicht nur extreme Gewaltverbrechen, sondern auch Bestechung oder Drogenhandel. Die Zahl der mit dem Tod geahndeten Straftaten wurde 2011 und 2015 reduziert, von 68 auf heute immer noch 46. Seit 2007 müssen alle verhängten Todesurteile vom obersten Gericht geprüft werden. Damit sollte die Zahl der Hinrichtungen gesenkt werden. Der Oberste Gerichtshof empfiehlt aber, Todesurteile mit zwei Jahren Aufschub zu verhängen. Nach diesen zwei Jahren soll von einer Exekution möglichst abgesehen werden. Offizielle Daten dazu gibt es aber nicht.
Chinas Strafverfolgung basiert bis heute zu großen Teilen auf Geständnissen. Deshalb soll es immer wieder vorkommen, dass Inhaftierte auf lokaler Ebene durch körperliche und psychische Misshandlung zu Geständnissen gezwungen werden - die möglicherweise deswegen falsch sind. Die Regierung in Peking spricht sich offiziell gegen die Nutzung von entsprechenden Verhörmethoden aus. Trotzdem gibt es immer wieder solche Vorfälle. Opfer berichten etwa von Nahrungs- und Schlafentzug, Schlägen und sexuellen Übergriffen durch Polizeibeamte.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren zudem die Praxis der Administrativhaft: In diesem Fall kann eine Polizeibehörde eigenständig ohne Beschluss der Staatsanwaltschaft eine Inhaftierung anordnen. Diese Möglichkeit führt immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen, insbesondere von Regimegegnern.
Menschenrechte in China: Ein-Kind-Politik und Haushaltsregistrierungssystem
Im Visier internationaler Menschenrechtsorganisationen war viele Jahre auch die inzwischen abgeschaffte „Ein-Kind-Politik“. Die 1979 eingerichtete Geburtenkontrolle sollte der Überbevölkerung des Landes entgegenwirken. Die meisten Chinesen durften seitdem nur ein Kind zur Welt bringen. Eine Gesetzesänderung im Jahr 2002 erlaubte ethnischen Minderheiten sowie der Landbevölkerung mehr als ein Kind. Ab 2013 wurden die Regeln schrittweise auch für die Stadtbevölkerung gelockert. Am 1. Januar 2016 wurde die Ein-Kind-Politik abgeschafft. Heute darf jedes Paar zwei Kinder bekommen. Kritiker hatten China vor allem vorgeworfen, dass die Ein-Kind-Politik mit drakonischen Mitteln durchgesetzt wurde: Bespitzelung durch Nachbarschaftskomitees, Zwangsabtreibungen oder Sterilisation. Paare, die ein zweites Kind zur Welt brachten, mussten hohe Strafen zahlen.
Die Ein-Kind-Politik hatte zudem gesellschaftliche Folgen, die China jetzt zu spüren bekommt. Aufgrund der traditionellen Vorliebe für Jungen wurden viele weibliche Föten abgetrieben. Durch solche geschlechtsspezifischen Abtreibungen wurden über viele Jahre auf 1.100 Jungen im Durchschnitt lediglich 1.000 Mädchen geboren. Daher gibt es heute viele junge Männer, die keine Frauen finden können - da es in ihrer Generation einen Männerüberschuss gibt.
Ein weiteres Problem für viele Chinesen ist das strikte Haushaltsregistrierungssystem „hukou“ aus der Mao-Ära. Jeder Chinese ist in diesem System verwaltungstechnisch an den Ort seiner Geburt gebunden. Dort muss er zur Schule gehen und sich kranken- und rentenversichern. In anderen Orten haben die Menschen zu vielen öffentlichen Dienstleistungen keinen Zugang. Dies sollte unkontrollierte Wanderungsbewegungen in die Städte und Slumbildung verhindern. Das ist zwar gelungen, aber zu hohen Kosten vor allem für die Landbevölkerung. Soziale Dienste auf dem Land sind meist schwächer ausgebildet. Die Städte benötigen die Arbeitskraft der Wanderarbeiter:innen - räumen ihnen aber trotzdem nicht die gleichen Rechte ein wie denjenigen, die dort geboren sind. Viele Wanderarbeiter:innen lassen deshalb zum Beispiel ihre Kinder bei den Eltern in den Dörfern, denn sie können in der Stadt keine Schule besuchen. Dieses System wird zwar allmählich gelockert, stellt aber für Menschen aus ländlichen Regionen auch heute noch eine Benachteiligung dar.
Menschenrechte in China: Zensur und fehlende Meinungsfreiheit
Obwohl das Recht zur freien Meinungsäußerung 1982 in die chinesische Verfassung aufgenommen wurde, werden die öffentlichen Aussagen der Bürger weiterhin streng kontrolliert. Dabei begründet die Regierung in Peking Festnahmen in den meisten Fällen mit einer drohenden Gefährdung des Staates. Menschenrechtsorganisation sehen darin jedoch meist den Versuch, Regimegegner:innen zum Schweigen zu bringen. Auch akademische Debatten werden wieder zunehmend kontrolliert.
Die Medien sind größtenteils in Staatshand und unterstehen der strikten Kontrolle durch die Propaganda-Organe der KPCh. Bei heiklen Themen wie Katastrophen oder politischen Problemen müssen sie Meldungen der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua verwenden. China hat zudem mit der „Great Firewall“ eines der umfassendsten Systeme zur Internetkontrolle errichtet. Viele internationale Websites oder Apps - von Facebook und WhatsApp bis zu Medien wie der New York Times - sind in China blockiert und nur mit Hilfe von Virtual Private Networks (VPN) erreichbar. In Sozialen Medien und Chatrooms filtert die Zensur gezielt unerwünschte Begriffe heraus. Internetfirmen sind für ihre Inhalte verantwortlich und müssen daher selbst Zensoren beschäftigen, die ihre Seiten auf verbotene Inhalte durchkämmen und diese löschen.
Menschenrechte in China: Ethnische Minderheiten
China ist groß, und auf seinem Staatsgebiet leben Millionen Menschen, die keine Han-Chinesen sind. Diese so genannten 56 ethnischen Minderheiten. Offiziell genießen die Angehörigen dieser Minderheiten gewisse Sonderrechte. Sie dürfen ihre eigene Sprache sprechen und an der Schule unterrichten, und durften zu Zeiten der Ein-Kind-Politik mehr Kinder bekommen. Doch nicht alle Minderheiten genießen diesen Status. Diejenigen, die das von Han-Chinesen dominierte politische System in Frage stellen, bekommen die harte Hand des Staates zu spüren. Vor allem gegen regionale Unabhängigkeitsbestrebungen geht Peking stets mit großer Härte vor.
Schon kurz nach Gründung der Volksrepublik traf es die Tibeter. Seit dem Einmarsch der chinesischen Armee in Tibet 1950 wurden Berichten zufolge über eine Million Tibeter getötet - unter anderem während des Tibet-Aufstandes 1959 und während der von Mao angezettelten Kulturrevolution ab 1966. Während des Aufstandes von 1959 schlugen friedliche Proteste gegen die Herrschaft Chinas über das Gebiet teilweise in Gewalt um; und China ließ die Armee eingreifen. In diesen Wirren flüchtete der junge Dalai Lama über das Himalaya nach Indien. Während der Kulturrevolution fielen Rote Garden über Tibets Klöster und Kunstschätze her; viele wurden dabei unwiederbringlich zerstört.
Der aktuell größte Brennpunkt ist die nordwestchinesische Region Xinjiang, in der mehrere muslimische Minderheiten leben. Dort gab es immer wieder kleinere Unruhen; auch verübten Terroristen aus der Region vereinzelt kleinere Anschläge in China. 2009 brachen in der Provinzhauptstadt Urumqi anti-chinesische Unruhen aus. Die Mehrheit der muslimischen Uiguren, Kasachen oder Kirgisen sind aber keine Extremisten. In den letzten Jahren zog Peking dennoch die Kontrolle über die Region an. So wurden in den Städten Überwachungskameras aufgestellt; eine zeitlang wurde das Internet abgestellt. Seit einiger Zeit gibt es ernstzunehmende Berichte, dass China bis zu eine Million Uiguren in Umerziehungslagern interniert hat, um sie dort an die chinesische Kultur zu assimilieren. Ehemalige Insass:innen berichten von einzelnen sexuellen Übergriffen, Folter und Zwangssterilisationen. China weist diese Vorwürfe zurück und bezeichnet die Camps als Ausbildungslager. Manche Politiker in den USA und Europa beschreiben die Vorgänge in Xinjiang als Genozid, oder kulturellen Genozid. Auch das weist China zurück. Eine unabhängige Prüfung der Vorwürfe ist mit Stand Anfang 2021 bisher nicht möglich gewesen.
Menschenrechte in China: Reaktionen auf die Vorwürfe
2009 veröffentlichte die chinesische Regierung erstmals einen Aktionsplan zum Thema Menschenrechte. Mit diesem Regierungsprogramm verspricht Peking zwar eine Verbesserung der entsprechenden Gesetze - betont aber auch, dass individuelle Freiheitsrechte gegen die Rechte der Gemeinschaft abgewogen werden müssen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International befürworteten viele der vorgeschlagenen Änderungen des Aktionsplans, bemängelten jedoch die Auslassung integraler Themen wie Meinungsfreiheit, Todesstrafe oder Internetzensur.
Peking betont stets, dass die erfolgreiche Befreiung der chinesischen Bevölkerung aus der Armut die „wahre Realisierung der Menschenrechte“ darstelle. Dabei könne nicht jedem Einzelnen individuelle Freiheit gewährt werden.
Regelmäßig betont die kommunistische Führung zudem ihre Sichtweise, dass westliche Nationen die Menschenrechtsdiskussion ausschließlich deshalb vorantreiben, um China politisch zu schwächen und seinen Aufstieg zu verhindern. Diese Vorwürfe weisen westliche Staaten zurück.