Taiwan nach Pelosi-Besuch – militärische Fehler könnten „schlimme Gewaltspirale in Gang setzen“

Nach dem Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan drohen unruhige Zeiten. Die China-Expertin Angela Stanzel warnt im Gespräch mit China.Table vor einer Eskalation durch militärische Fehler.
- Die China-Expertin Angela Stanzel erklärt im Interview, warum sie Besuche wie jenen Pelosis grundsätzlich richtig findet, das Timing in diesem Fall aber unglücklich.
- Die Spannungen in der Region sind gestiegen, was im Falle militärischer Fehler gravierende Folgen haben könnte.
- Dieser Artikel liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 4. August 2022 – zu Beginn der chinesischen Militärübungen rund um Taiwan.
Berlin – Die Politikwissenschaftlerin Angela Stanzel, China-Expertin bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik in Berlin, befürwortet grundsätzlich die Pelosi-Reise: Solche Besuche sendeten ein klares Zeichen, dass die USA weiter fest an Taiwans Seite stehen. Dennoch sieht sie in der Aktion auch eine „PR-Show“ für Pelosi, die im Falle eines fatalen Fehler des Militärs durchaus noch Folgen haben könnte.
Nancy Pelosi ist nach Taiwan gereist – trotz ernster Bedenken aus der US-Regierung, während China massiv mit militärischer Gewalt gedroht hatte. Ist da jemand über das Ziel hinausgeschossen?
Nein, das sehe ich nicht so. Es gibt doch kein Verbot für US-Politiker nach Taiwan zu reisen. Und es ist auch nicht das erste Mal, dass die Spitze des amerikanischen Repräsentantenhauses eine solche Reise unternommen hat. Was man kritisieren kann, ist der Zeitpunkt, den Pelosi für ihre Reise gewählt hat.
Inwiefern?
Xi Jinping steht derzeit unter enormen innenpolitischen Druck: Die chinesische Wirtschaft wächst nur noch schwach, zudem will Xi im Herbst eine dritte Amtszeit als Präsident beginnen. Also Pelosi hätte durchaus einen anderen, besseren Zeitpunkt wählen können, zu dem sie dann nicht eine derartige Krise ausgelöst hätte.
Ich meinte auch nicht Pelosi, sondern das Verhalten Chinas: Die Androhung militärischer Gewalt bis hin zu Aussagen, Chinas Militär solle doch einfach das Flugzeug von Nancy Pelosi abschießen.
Das geht in der Tat absolut zu weit. Ohne Zweifel. Aber man muss dazu auch sagen, dass die Aussage des ehemaligen Chefredakteurs der Global Times nicht unbedingt die Sichtweise der Regierung in Peking widerspiegelt. Die chinesische Führungsspitze will offensichtlich keine militärische Eskalation, geschweige denn, einfach ein amerikanisches Flugzeug abschießen.
China und Taiwan: Gefahr eines Krieges

Wie hoch ist die Gefahr eines Krieges um Taiwan?
Zunächst muss man leider festhalten, dass sich die Lage verschärft hat. China zieht Truppen zusammen und hat militärische Manöver angekündigt. Das alles ist natürlich nicht gut. Aber die Gefahr eines Krieges sehe ich nicht. Den will weder China noch Amerika.
Klingt nur ganz anders, was man derzeit aus Peking so hört.
Stimmt. Aber schauen wir nicht auf die Worte, sondern auf die Taten. Und die deuten darauf hin, dass Peking darauf spekuliert, dass man eine Wiedervereinigung mit Taiwan vor 2049 auch ohne eine militärische Invasion erreichen kann.
Wie sehen diese Taten aus?
Es bleibt bei Drohen und Einschüchterungsversuchen. Im Grund geht es Peking um eine internationale Isolierung Taiwans. Man unternimmt Cyberangriffe, verbreitet Falschinformationen, und erhöht die wirtschaftliche Abhängigkeit.
Und dennoch zieht man das Militär an der Küste zu Taiwan zusammen. Das bleibt ohne Folgen?
Hoffentlich. Denn auch wenn man keinen Krieg will: Die Gefahr eines ungewollten Zwischenfalls erhöht sich natürlich enorm. Eine falsche Entscheidung, ein aus Versehen abgegebener Schuss, kann eine schlimme Gewaltspirale in Gang setzen. Das Risiko einer ungewollten militärischen Eskalation ist gestiegen.
China-Taiwan-Konflikt: Auch Deutschland drohen „gravierende Folgen“
Es ist bemerkenswert: Im Vorfeld des Besuchs richteten sich Chinas Drohungen gegen Pelosi und die USA. Chinas „Strafe“ für den Besuch richtet sich hingegen gegen Taiwan …
… genau. Das ist das typische Verhalten Chinas. Peking geht immer auf den vermeintlich schwächsten Akteur los. Man versucht, ein Exempel zu statuieren. So geht China auch in Europa vor – gegen Schweden, Litauen oder Norwegen.
Wie gravierend sind denn Chinas Strafmaßnahmen gegen Taiwan?
Der ökonomische Druck wächst weiter. Und das hat dann auch Folgen für uns. Sand wird weltweit in der Baubranche benötigt. Im Bereich Halbleiter hat Deutschland gerade Taiwan auserkoren zum größten alternativen Halbleiterhersteller für die deutsche Industrie. Wenn Chinas Führung tatsächlich gegen Taiwans Chips-Industrie vorgehen würde, hätte das gravierende Folgen für uns und die globalen Lieferketten.
Bei all dem drängt sich mir nun doch die Frage auf, wie sinnvoll der Besuch von Frau Pelosi überhaupt war.
Bei Pelosi vermischen sich hier in der Tat zwei Ebenen. Einerseits ist Taiwan für Pelosi schon immer wichtig gewesen. Das sollte man ihr auch zugestehen. Andererseits war es auch eine PR-Show für Pelosi. Die Demokraten stehen vor den Midterm-Wahlen enorm unter Druck, Pelosis eigene politische Zukunft ist mehr als ungewiss. Es geht ihr auch darum, einen politischen Fußabdruck zu hinterlassen.
Also in Zukunft lieber keine Politiker-Reisen mehr nach Taiwan?
Nein. Im Grunde sind solche Besuche sinnvoll. Sie senden ein klares Zeichen, dass die USA weiter fest an Taiwans Seite stehen. Auch dieser Besuch hat Taiwan einen moralischen Boost gegeben. Zudem zeigt man auch anderen Ländern in Asien, dass sie sich auf die Unterstützung der USA verlassen können. Und all das ist dann natürlich auch ein Zeichen an China.
Politikerbesuche in Taiwan: Symbolpolitik vermeiden
Was sollte dann nächstes Mal anders sein, damit die Reise nicht zu einer PR-Show verkommt?
Es wäre sinnvoller, wenn man solche Besuche mit den Verbündeten absprechen würde. Es hätte doch eine ganz andere Wirkungskraft, wenn nach dem Besuch von US-Politikern auch europäische oder deutsche Politiker nach Taiwan fliegen würden.
Apropos Verbündete: Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock und auch die deutsche Botschafterin in Peking, Patricia Flor, haben sich sehr deutlich auf die Seite Taiwans gestellt. Ist ein solch lautes Vorgehen sinnvoll?
Es ist zeitgemäß, denn es ist eine Reaktion auf Chinas immer lauter werdendes Verhalten, auch hier in Europa, wenn ich nur an das Beispiel Litauen denke. Vor allem, wenn es um Taiwan geht, bekommt die Welt immer deutlicher Chinas wolfskriegerisches Verhalten zu spüren.
Deutschlands Politik war bislang: wenn Kritik, dann nicht in der Öffentlichkeit. Sind diese Zeiten vorbei?
Ja, die Zeit der stillen Diplomatie mit China ist vorbei. Das ist gescheitert.
Deutschland und China: Stille Diplomatie gescheitert
Was hat das für Folgen für das deutsch-chinesische Verhältnis?
Es ist derzeit schlecht und wird wohl noch schlechter werden. Es gibt derzeit kaum Möglichkeiten, einen offenen und konstruktiven Austausch zu haben. Von daher glaube ich auch nicht, dass wir durch dieses neue Verhalten allzu viel aufs Spiel setzen.
Zeit für eine neue Taiwan-Politik?
Nicht ganz. Denn Deutschland sollte einen Punkt klar aufzeigen: Berlin hält sich an die Abmachungen mit Peking, die rote Linie „Ein-China“ hält man ganz klar ein. Es ist vielmehr Peking, das den Status Quo von Taiwan verändert hat. Denn dieser Status Quo beinhaltet, dass wir Austausch mit Taiwan haben, inklusive Politiker-Besuche. Diese Übereinkunft mit China hatte einst dazu geführt, dass 1997 der deutsche Wirtschaftsminister Günter Rexrodt nach Taiwan gereist ist. Es gibt also viel Spielraum, um die Beziehungen zu Taiwan zu intensivieren, ohne die vereinbarte rote Linie zu überschreiten. Daran muss man China erinnern.
Also sollte nach Nancy Pelosi nun Annalena Baerbock nach Taiwan reisen?
Warum nicht? Es muss natürlich nicht die Außenministerin sein, aber wir sollten den Austausch mit Taiwan wieder verstärken. Dabei geht es nicht nur um Besuche. Ein gegenseitiges Investitionsabkommen zwischen Deutschland und Taiwan wäre eine Möglichkeit. Und international muss man Taiwan aus der Isolation holen und wieder mehr in internationale Organisationen einbinden. Gerade in Zeiten einer globalen Corona-Pandemie sollten wir Taiwan in der Weltgesundheitsorganisation wieder einen Beobachterstatus geben.
Das Interview führte Michael Radunski
Michael Radunski berichtete viele Jahre aus Indien und China über Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Besonders prägte ihn sein Aufenthalt in Chinas Hauptstadt Peking. Vor seinem langen Aufenthalt in Asien arbeitete Michael Radunski für die FAZ, wo er unter anderem am Onlineauftritt der Zeitung mitarbeitete. Seit kurzem ist Radunski wieder in Deutschland und arbeitet als Redakteur das China.Table Professional Briefing.
