Es wäre nicht das erste Mal: Schon mehrmals beklagte die amerikanische National Security Agency den Diebstahl von Design und Technologie amerikanischer Flugzeuge. Besonders im Fokus der Spione: der B-2-Bomber, die F-22 Raptor – und eben die F-35-Jets. Vor allem die chinesischen Kampfflugzeuge Chengdu J-20 und Shenyang J-31 sollen stark von amerikanischer Technologie profitiert haben.
Eher zufällig kam China 2001 in den Besitz amerikanische Flugzeugtechnik. Am 1. April 2001 kollidierten ein US-Spionageflugzeug vom Typs Lockheed P-3 mit einem chinesischen Kampfflugzeug und musste anschließend auf Hainan notlanden. Wie im Protokoll vorgesehen, begann die US-Crew mit der Vernichtung wichtiger Daten und Technik. Doch der chinesische Zugriff erfolgte schnell – und war überaus ertragreich: Er sicherte sich unter anderem kryptografische Schlüssel oder Namen von Mitarbeitern der National Security Agency. Auch Informationen über die Radarsysteme der US-Alliierten weltweit fielen in chinesische Hände. Außerdem erfuhr Peking, dass die Vereinigten Staaten per Signalübertragung Chinas U-Boote verfolgen können. China nahm die US-Maschine komplett auseinander. Erst drei Monate nach der Kollision wurde das letzte Stückchen Flugzeug an die Amerikaner zurückgegeben.
Aber auch die USA seien beim „reverse engineering“ kein unbeschriebenes Blatt, erklärt der Rüstungsexperte Julian Spencer-Churchill im Gespräch mit China.Table. „Die Amerikaner haben beispielsweise 1975 sehr vom Belenko-Überlauf mit dessen MiG-25 nach Japan profitiert“, erklärt der Politologe von der Concordia Universität im kanadischen Quebec. Der sowjetische Pilot Wiktor Belenko desertierte am 6. September 1976 mit einer MiG-25P und landete im japanischen Hakodate. Seine MiG-25P galt bis dato als gut gehütetes Militärgeheimnis der sowjetischen Luftstreitkräfte.
Peter Layton führt im aktuellen Fall der F-35C im südchinesischen Meer noch einen dritten Aspekt an: „Die Oberfläche des Jets ist ein Mix aus Metallen und Kompositmaterialien, die Radarsignale absorbieren können. Sollte China das in die Hände bekommen, könnten sie gezielt Gegenmaßnahmen entwickeln und so die Wirkung neutralisieren.“ Das chinesische Radar könnte also künftige getarnte US-Flugzeuge sehen.
Spencer-Churchill glaubt dennoch nicht, dass China ernsthaft die Bergung der abgestürzten F-35C anstrebt. „Das würde die USA extrem provozieren, und in diesem Fall verfügen die Amerikaner ganz eindeutig über die Eskalationsdominanz.“ Zudem ist zu bezweifeln, ob sich Peking die extrem hohe technische Herausforderung einer Bergung aus derartiger Tiefe aufbürdet.
Experten wie Layton und Royce sind allerdings überzeugt, dass zwischen den USA und China längst ein Wettrennen um die Bergung des vom US-Konzern Lockheed Martin hergestellten Tarnkappenjets begonnen hat. Zu verlockend ist der Zugang zu neuester Militärtechnologie, zumal der US-Kampfjet im Südchinesischen Meer liegt – in einem Gebiet, auf das China seit Jahren mit Nachdruck Anspruch erhebt, in dem China fortwährend Militärstützpunkte aufbaut* und zu dem es einen internationalen Schiedsspruch schlichtweg ignoriert.
Von Michael Radunski
Michael Radunski berichtete viele Jahre aus Indien und China über Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport. Besonders prägte ihn sein Aufenthalt in Chinas Hauptstadt Peking. Vor seinem langen Aufenthalt in Asien arbeitete Michael Radunski für die FAZ, wo er unter anderem am Onlineauftritt der Zeitung mitwirkte. Seit kurzem ist Radunski wieder in Deutschland und arbeitet als Redakteur das China.Table Professional Briefing.
Dieser Artikel erschien am 14. Februar 2022 im Newsletter China.Table Professional Briefing – im Zuge einer Kooperation steht er nun auch den Lesern der IPPEN.MEDIA-Portale zur Verfügung. *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.