Diplomatische Töne statt Troll-Sprech: Chinas Diplomaten sollen freundlicher werden - kontrolliert von der Partei

Chinas Präsident Xi Jinping hat aggressive Diplomaten zur Ordnung gerufen. Er will ein positiveres Image für sein Land - rechtzeitig zum 100. Geburtstag seiner Kommunistischen Partei.
Peking/München - Während sich die Kommunistische Partei Chinas auf den 100. Jahrestag ihrer Gründung am 1. Juli vorbereitet, hat Staats- und Parteichef Xi Jinping seine Diplomaten zur Mäßigung aufgerufen: Es sei an der Zeit, das Bild eines „glaubwürdigen, liebenswerten und respektablen“ China zu präsentieren, sagte Xi bei einem Treffen des Politbüros der KP Anfang Juni. Diplomaten und Funktionäre müssten in ihrer Kommunikation mit der Welt „den Ton in den Griff bekommen“ und dabei „offen und selbstbewusst, aber auch bescheiden und demütig“ sein. Es sei notwendig, den Kreis der Freunde zu erweitern und Überzeugungsarbeit in der Welt zu leisten, sagte Xi laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua.
Xis Worte fallen in eine Zeit, in der das China-Bild in weiten Teilen der Welt so negativ ist wie noch nie. Peking befindet sich in einem tiefen Konflikt mit Washington, der zunehmend auch auf die Beziehungen zu Europa abfärbt. Freunde hat China kaum. Xis Aufruf sei ein seltenes Eingeständnis der eigenen Isolation, die durch aggressive Diplomatie sowie ineffektive Propaganda und Einfluss-Kampagnen im Ausland verschärft worden sei, schreibt die Hongkonger Zeitung South China Morning Post unter Berufung auf chinesische Beobachter.
Angriffslust ohne Rücksicht auf diplomatische Feinheiten: Die „Wolfskrieger“
Offenbar ist der Ärger in der Partei groß über Chinas Diplomaten, die sich immer öfter hässliche Wortgefechte mit ausländischen Politikern liefern, Kritikern drohen oder wütende Tweets um die Welt schicken. Beobachter bezeichnen dies als „Wolfskrieger“-Diplomatie, in Anspielung auf einen Rambo-ähnlichen Film namens Wolf Warrior 2 aus dem Jahr 2017, der bis heute Chinas größter Kassenschlager der Kinogeschichte ist.
Zu den „Wolfskriegern” gehört etwa Außenamtssprecher Zhao Lijian, der im Frühjahr 2020 abstruse Verschwörungstheorien über Covid-19 twitterte - etwa, dass der US-Geheimdienst das Virus nach Wuhan gebracht und dort freigesetzt habe. Einen Zwist mit Australien begleitete Zhao mit Tweets über angebliche Morde an Zivilisten und Gefangenen durch australische Soldaten in Afghanistan. Während des Gipfelmarathons der letzten Wochen bezeichnete Zhao die Europäer als „intellektuell herausgefordert“, und nach dem von Chinakritik geprägten G7-Gipfel sagte er: „Die USA sind krank, sehr krank“. Seine Kollegin Hua Chunying twittert gelegentlich im Stil von Ex-US-Präsident Donald Trump in Großbuchstaben „HÄNDE WEG VON XINJIANG!“. Dort sollen bis zu einer Million Uiguren in Umerziehungslagern stecken, was Peking verneint.
Ein anderes Beispiel ist Chinas Botschafter in Frankreich Lu Shaye. Lu drängte den französischen Senator Alain Richard in einem Brief, eine Reise zusammen mit anderen Politikern nach Taiwan abzusagen. Später beschimpfte die Botschft den französischen Akademiker Antoine Bondaz als „kleinen Schläger“ und „verrückte Hyäne“, weil Bondaz den chinesischen Druck auf den Senator kritisiert hatte. Frankreichs Außenministerium bestellte Lu ein - doch der ging nicht hin. Dafür sagte er kürzlich in einem Interview: „Da es so viele ‚verrückte Hunde‘ gibt, die China angreifen, fühle ich mich geehrt, den Titel des ‚Wolfskriegers‘ verliehen zu bekommen.“
China: Aggressive Diplomaten schaden dem Image im Ausland
Diese Art aggressiver Diplomatie sei eine Reaktion auf diejenigen im Westen, die China als Bedrohung darstellten, sagte Wang Yiwei, Direktor des Instituts für Internationale Angelegenheiten der Pekinger Renmin-Universität und Ex-Diplomat, der Nachrichtenagentur Bloomberg. Das aber gefalle weder dem nationalen, noch dem internationalen Publikum. „Chinas Image im Westen hat sich seit der Pandemie verschlechtert, und das muss ernst genommen werden“, so Wang. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Pew vom Oktober 2020 hat sich das Chinabild der befragten Menschen in 14 Staaten deutlich verschlechtert. In Ost und West findet eine Entfremdung von der jeweils anderen Seite statt. Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie habe es im Westen einige Besorgnis ausgelöst, dass China angesichts eigener Erfolge die Überlegenheit des Sozialismus hervorgehoben habe, sagte Wang. Auch sei Spott über die Versäumnisse anderer Länder im Kampf gegen Covid-19 „ein bisschen übertrieben“ gewesen. Einen wahren Machtzuwachs gebe es für China aber nur, wenn dieser Machtzuwachs auch von der Welt akzeptiert werde, glaubt Wang.
Doch der Westen sieht dem Aufstieg Chinas mit großem Misstrauen zu - nicht zuletzt wegen des kommunistischen Systems und dem autoritären Regierungsstil Xi Jinpings. Peking ist verärgert, dass der Westen diesen Aufstieg nicht als legitim anzusehen scheint - sondern China eindämmen will. Erstaunen über den Wahlsieg Trumps oder auch die Schwäche des Westens bei der Pandemiebekämpfung brachte in China den trotzigen Slogan hervor: „Der Westen ist im Niedergang, der Osten steigt auf.“ Ein Mantra, das von vielen Kadern immer wieder benutzt wird - auch von Xi.
China: Außenpolitiker gehören nicht zum innersten Zirkel der Macht
Offiziell sind Staatsrat und Politbüromitglied Yang Jiechi und Außenminister Wang Yi die Gesichter der chinesischen Außenpolitik. Beide haben zuletzt auch schärfer formuliert als in früheren Jahren - wenn auch nicht mit “Wolfskrieger”-Rhetorik. Der Außenminister hat indes traditionell keinen sehr hohen Rang in der KP-Hierarchie, da er nicht im 25-köpfigen Politbüro sitzt. Yang stieg vom Außenminister zum Staatsrat und damit auch ins Politbüro auf - eine nicht unübliche Karriere. Wang and Yang aber seien “nirgendwo in der Nähe oder innerhalb von hundert Meilen” vom innersten Zirkel Xis, sagte Kurt Campbell, Koordinator für den Indopazifik im Nationalen Sicherheitsrat der USA, kürzlich bei einem Vortrag in der Stanford University.

Xi Jinping sieht sich selbst als zuständig für Chinas Rolle in der Welt. Seit Jahren spricht er vom „Chinesischen Traum“ oder von der „Großen Wiederbelebung der chinesischen Nation“. Xi sieht China als friedliebende Macht, die ihren historisch angestammten Platz im Kreise der Großmächte wieder einnimmt - angeführt von ihm selbst und der KP. “Unter Xi hat sich die Partei zunehmend in den Staat verwandelt, einschließlich der Außenpolitik“, sagte Heike Holbig, Senior Research Fellow am GIGA Institut für Asien-Studien und Politik-Professorin mit Schwerpunkt Ostasien an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main, kürzlich auf einem GIGA-Webinar.
Xi: China macht Politik für die Menschheit
Heike Holbig erinnerte an zwei von Xis Reden auf dem Davoser Wirtschaftsforum. 2017 präsentierte Xi sich als Anti-Trump und Streiter für den freien Handel. „2021 trat er als Verfechter der Menschlichkeit auf“. 20 Mal habe er das chinesische Wort Renlei verwendet, Menschheit. „Offizielle sprechen heute vielfach von ‚gemeinsamen Werten der Menschheit‘“, sagt Holbig. Das seien „Frieden, Entwicklung, Fairness, Gerechtigkeit, Demokratie oder Freiheit.“ Die Worte klingen alle gut - aber bedeuten nicht unbedingt dasselbe wie im Westen. „Demokratie“ ist laut Holbig für die KP Teil der „sozialistischen Werte“ Chinas. Es bezieht zwar die Interessen des Volkes ein, ist aber nicht vergleichbar mit dem westlichen Prinzip der liberalen Demokratie. Diese ist aus chinesischer Sicht durch den Wahlerfolg irrer Populisten wie Trump diskreditiert - worauf die “Wolfskrieger” gern genüsslich herumhacken. Gerade das von Xi gebrauchte Wort „Menschheit“ unterstreicht zugleich seine globalen Ambitionen: Nur eine Großmacht kann für sich beanspruchen, für alle Menschen auf der Erde da zu sein.
Unklar ist, ob künftige neue Sprachregelungen auch einen Paradigmenwechsel bedeuten. Eine bessere Kommunikationsstrategie reiche nicht aus, um Chinas Beziehungen zu anderen Ländern zu verbessern, sagte Gu Su von der Universität Nanjing der South China Morning Post. Dazu sei eine Überarbeitung der ganzen Außenpolitik erforderlich. Chinas selbst definierte Kerninteressen - etwa Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer - dürfte Peking dabei kaum aufgeben. Xi selbst habe schon 2012 das Prinzip der „umfassenden nationalen Sicherheit“ geprägt, sagte Außenpolitikexpertin Helena Legarda vom MERICS-Institut auf einem Webinar. Die Sicherheitsfrage werde seither in alle anderen Themen eingefügt - innen- und außenpolitisch. Xi prägte zudem den Begriff des „zunehmend herausfordernden Umfelds“. Es fühlt sich umzingelt und fürchtet Anti-China-Allianzen des Westens. Schwierige Voraussetzungen, um die Hand auszustrecken.
Jetzt will Xi erst einmal Teams von Fachleuten gründen, die neue Wege der Kommunikation mit unterschiedlichen Zielgruppen im Ausland ausloten sollen. Diplomaten haben zudem im Mai auf Geheiß von Xi damit begonnen, die KP-Geschichte zu studieren, um darin „Weisheit“ zu finden - in einer Kampagne zum 100. Parteigeburtstag. Ob‘s hilft? (ck)