Chinas Staats- und Parteichef: „Xi Jinping besitzt nun die absolute Kontrolle“
Seit seiner Wiederwahl als Generalsekretär ist Xi Jinping so mächtig wie nie. Doch es gibt auch Gegenwind, sagt der China-Experte Nis Grünberg im Interview.
München/Peking – Xi Jinping hat sich für mindestens fünf weitere Jahre die Macht gesichert. In einem historischen Schritt wurde der 69-Jährige am Sonntag (23. Oktober) erneut als Generalsekretär von Chinas Kommunistischer Partei bestätigt. Im Interview erklärt Nis Grünberg, Lead Analyst bei der China-Denkfabrik Merics, wie fest Xi wirklich im Sattel sitzt und worauf sich die Welt in den kommenden Jahren einstellen muss. „Xi will in die Geschichte eingehen. Und das lässt er sich von niemandem nehmen“, sagt Grünberg.
Xi Jinping hat sich eine historische dritte Amtszeit gesichert und ausschließlich loyale Politiker um sich versammelt. Ist China noch eine Ein-Parteien-Diktatur – oder schon eine Ein-Mann-Diktatur?
Xi Jinping besitzt nun die absolute Kontrolle über die Führung der Partei, daran gibt es keine Zweifel. Dennoch: Die Kommunistische Partei ist ein riesiges Konstrukt, und auch die Verwaltung in China ist gewaltig. Xi kann noch immer nicht wirklich kontrollieren, was auf Provinz-Ebene und auf den Ebenen darunter passiert. Es gibt nun in China einen Parteikern, der extrem auf Xi zugeschnitten ist, und es wird sich zeigen, wie gut dieser mit dem „Rest“ der Verwaltung im Einklang steht ist.
Gibt es denn innerhalb der Parteizentrale noch Reste einer sichtbaren Opposition gegen Xi?
Es gab auch zuletzt schon keine wirkliche organisierte Opposition mehr. Früher gab es noch unterschiedliche Gruppierungen, aber unter Xi wurden alle verbliebenen Reste ausgeschaltet.
Parteitag in China: Warum musste Xi Jinpings Vorgänger Hu Jintao den Saal verlassen?
Für Schlagzeilen sorgte am Samstag die „Entfernung“ von Xis Vorgänger Hu Jintao, der vor laufenden Kameras aus dem Saal geführt wurde. Hu galt nicht unbedingt als Anhänger von Xi Jinping. Wollte Xi damit ein Zeichen setzen?
Es ist unmöglich, genau zu sagen, was dahintersteckt. Wahrscheinlich weiß auch innerhalb der Partei niemand wirklich, was da los war. Eine Theorie besagt, dass es eine reine Machtdemonstration von Xi war. Gut möglich ist aber auch, dass Hu Jintao einen Protokollfehler gemacht hat und deswegen gehen musste. Wahrscheinlich lag es auch einfach daran, dass es Hu gesundheitlich nicht gut geht. Er ist 80 Jahre alt, gebrechlich, und Berichten zufolge leicht dement. So oder so: Xi hat auf jeden Fall gezeigt, dass er die Macht hat, jemanden aus dem Saal führen zu lassen, selbst einen ehemaligen Staats- und Parteichef. Wenn man das mit jemandem wie Hu machen kann, so die Botschaft, dann kann man das natürlich auch mit jedem anderen machen.

Xi Jinping hat sich über die bisherigen Gepflogenheiten seiner Partei hinweggesetzt, er hat die Amtszeitbegrenzung aufgehoben und den kollektiven Führungsstil abgeschafft. Wie konnte es so weit kommen?
Alles deutet darauf hin, dass Xi ein extrem guter Langzeitspieler ist. Er ist ein Machtpolitiker, er baut sich Netzwerke auf und schart loyale Unterstützer hinter sich. Er hat zehn Jahre auf diesen Moment hingearbeitet und alles geschickt vorbereitet. Der Parteitag war so etwas wie die Krönung seiner Anstrengungen der letzten Jahre.
Zuletzt wurden immer wieder Vergleiche mit Mao Zedong bemüht, Chinas Staatsgründer. Ist Xi so mächtig wie Mao – oder noch mächtiger?
Solche Vergleiche finde ich schwierig, weil China heute ein ganz anderes Land ist als unter Mao Zedong. Es ist technologisch viel entwickelter, es verfügt über einen ganz anderen Verwaltungsapparat, Xi steht modernste Überwachungstechnologie zur Verfügung. Xi ist auf jeden Fall ein ganz anderer Politikertyp als Mao, für ihn sind Stabilität und Vorhersehbarkeit das Wichtigste. Mao war da ganz anders, er hat erst alles kaputtgemacht und dann die Kontrolle übernommen. Zudem war Mao deutlich charismatischer, als es Xi Jinping ist.
„Null-Covid“ in China: „Die Menschen sind müde und werden kritischer“
Auch wenn Xi über absolute Kontrolle verfügt: In China gibt es durchaus Unmut, etwa wegen der „Null-Covid“-Politik.
Das stimmt. Xi Jinping hat Vertrauen eingebüßt, wegen seiner Corona-Politik und weil die Wirtschaft schwächelt. Über den Menschen schwebt die ständige Gefahr eines plötzlichen Lockdowns. Dadurch hat er ein Stück weit an Ansehen verloren. Die Menschen sind müde und werden kritischer.
Der ehemalige australische Premierminister Kevin Rudd sagte kürzlich in einem Interview, er glaube, dass Xi bis 2037 im Amt bleiben werde. Teilen Sie diese Einschätzung?
Das ist schwer zu sagen. Ich denke, Xi wird noch fünf oder zehn Jahre im Amt bleiben. Das ist aber auch gar nicht so wichtig. Denn auch wenn er keine offiziellen Ämter mehr haben sollte, wird er im Hintergrund wahrscheinlich weiter die Fäden in der Hand halten. Xi will die Macht nicht um der Macht willen, er will in die Geschichte eingehen. Und das lässt er sich von niemandem nehmen, auch wenn er eines Tages kein offizielles Amt mehr haben sollte. Auch dann wird er die Kontrolle weiterhin behalten wollen.

Wie sollen China und die Welt nach Xis Vorstellung aussehen?
Xi will, dass China wieder die Machtposition einnimmt, die dem Land seiner Meinung nach zusteht. China soll völlig autonom sein, auf eigenen Füßen stehen können und die größte oder eine der größten Wirtschafts- und Technologienationen der Welt sein. China soll in der Lage sein, zu tun und zu lassen, was es will, ohne dass ihm jemand reinredet. Das sind die Langzeit-Ziele, die Xi verfolgt.
China und Taiwan: Invasion bis 2049?
Und kurzfristig?
China versucht derzeit aktiv, eine größere Rolle in internationalen Organisationen zu spielen. Xi versucht auch, die internationale Ordnung nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Die Chinesen haben Angst, dass die USA den wirtschaftlichen und technologischen Aufstieg ihres Landes verhindern wollen. Deswegen will man möglichst schnell technologische Unabhängigkeit erreichen. Bis 2049 soll China dann eine starke, unabhängige Industriemacht sein.
Xis neue Nummer zwei ist Li Qiang, der Parteichef von Shanghai. Im Frühjahr wird Li wahrscheinlich neuer Premierminister. Was ist von ihm zu erwarten?
Li Qiang wurde dadurch bekannt, dass er den Lockdown in Shanghai vergeigt hat. Er galt manchen deswegen als eher unwahrscheinlicher Kandidat. Li ist allerdings ein enger Vertrauter von Xi, und in Shanghai hat er gezeigt, dass er Xis „Null-Covid“-Politik knallhart durchsetzen kann, koste es, was es wolle. Zudem besitzt er viel Erfahrung in der Verwaltung und gilt als businessfreundlich. Mit Shanghai hat er schließlich die wirtschaftlich stärkste Stadt Chinas unter sich.
In der Verfassung der Kommunistischen Partei findet sich neuerdings Pekings strikte Ablehnung einer Unabhängigkeit Taiwans. Und auch in seiner Rede zur Eröffnung des Parteitags hat Xi klargemacht, dass er eine Wiedervereinigung anstrebt – friedlich oder mit Gewalt. Sind das nur altbekannte Drohungen in neuem Gewand, oder hat das eine neue Dimension?
Ich glaube, das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Man verfestigt nur die Positionen, die man vorher schon hatte, und sagt dasselbe wie immer, nur mit etwas stärkeren Worten. In den nächsten fünf Jahren wird China mit sehr vielen internen Problemen zu kämpfen haben. Um dennoch außenpolitisch stark zu wirken, baut man die verbale Drohkulisse weiter auf. Damit will China zeigen, dass es sich von seinem langfristigen Ziel einer Wiedervereinigung mit Taiwan nicht abbringen lässt, auch nicht durch Taiwan-Besuche von ausländischen Politikern wie Nancy Pelosi.
Bis wann will China sein langfristiges Ziel einer „Wiedervereinigung“ erreichen?
Eine der wichtigsten Visionen von Xi ist das „Wiederaufleben der chinesischen Nation”. Bis 2049, zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, soll China eine Großmacht sein. Und dazu gehört für Xi die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan, die bis dahin erreicht werden soll – auf friedliche Weise oder mit Gewalt.