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Christian Lindner: Ausgerechnet der Strebsame widerspricht Angela Merkel

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Von: Vanessa Fonth

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Nach dem Ende der Sondierungsgespräche - FDP
Christian Lindner - wer ist der Mann, der Deutschland in die Regierungskrise führte? © dpa

Etliche Tage nach seinem großen Auftritt steht Christian Lindner noch immer im Zentrum des Polit-Wirbels, den er selbst verursacht hat. Wer ist der Mann an der Spitze der FDP?

München - Mit 14 Jahren begann er seine politische Karriere - mittlerweile steht er an der Spitze der FDP: Christian Lindner. Seit dem Aus der Jamaika-Verhandlungen steht der Liberale mehr denn je im Fokus der Öffentlichkeit. Es gibt kaum jemanden, der keine Meinung zur Person Christian Lindner hat. Doch wer ist der Mann, der Deutschland eine veritable Regierungskrise bescherte? Und vor allem: Wo steuert er mit seiner FDP hin? 

Hintergrund: Privates und Politisches 

Der Mann, der Deutschland am 20. November diesen Jahres das politische Berlin Kopf stehen ließ, wurde 1979 in Wuppertal geboren. Mit 18 Jahren wurde über Christian Lindner - damals noch als Schüler - ein Beitrag für das Jugendmagazin „100 Grad“ gedreht, in dem er sich als protzig-dynamischer Jungunternehmer präsentierte, damals arbeitete er als freiberuflicher Unternehmensberater. Nach eigener Aussage trat er schon mit 14 Jahren der FDP bei. Der Beitrag wurde während des Bundestagswahlkampfs 2017 wieder aus dem Archiv gekramt und verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Netz. 

Seit 1998 ist Lindner im Landesvorstand der FDP in Nordrhein-Westfalen. Mit 21 Jahren zog er als jüngster Abgeordneter der Geschichte in den Landtag von NRW ein. Bei den Bundestagswahlen im Jahr 2009 wurde er für die FDP in den Bundestag gewählt. Im gleichen Jahr fragte ihn Guido Westerwelle, ob er das Amt des Generalsekretärs als Nachfolger von Dirk Niebel annehmen wolle - Lindner wurde der jüngste Generalsekretär in der bundesdeutschen Geschichte. In seinem etwas verfrühten Erinnerungsband Schattenjahre berichtet er von dieser Zeit. Unter seiner Führung und mittlerweile an der Spitze der Partei angekommen, hat Lindner die FDP nach dem Wahldebakel neu aufgebaut.

Rhetorisch kann sich kaum ein Politiker mit Christian Lindner messen. In puncto Schlagfertigkeit lobte ihn schon Westerwelle mit den Worten „Der kann auch Angriff.“ 

Der unverholene Einsatz seiner rhetorischen Fähigkeiten hat allerdings auch eine Kehrseite: Lindners Ruhe und Gelassenheit wirken eiskalt kalkuliert und in hunderten Stunden vor dem Spiegel trainiert. Wer schon einmal eine Polit-Talksendung mit Lindner als Gast gesehen hat, weiß um seine überdominante Gesprächshaltung. Es entsteht der Eindruck: Lindner wird nicht von Argumenten überzeugt, er hat selbst genug. Es ist nicht schwer, einen Zusammenhang mit dem Scheitern der Sondierungsgespräche herzustellen.

Hitzig diskutiert, heiß verspottet - aber in aller Munde

Über kaum eine Person wird derzeit so hitzig diskutiert, wie über Christian Lindner. Schon für den stark personalisierten Wahlkampf musste der FDP-Chef einigen Spott über sich ergehen lassen. Das Satire-Magazin Extra3 veröffentlichte einen Song für den Politiker - der kein gutes Haar an ihm lässt. 

Auch das Aus der Jamaika-Verhandlungen wird nicht unbedingt der FDP im Allgemeinen, sondern Christian Lindner im besonderen zugeschrieben. Entsprechend groß war der Widerhall, nachdem er den Gesprächsabbruch bekannt gegeben hatte. Die Meinungen über den Chef der Liberalen gehen dabei weit auseinander.

Die Journalistin Linda Tutmann schrieb in der linken Zeitung taz nach dem Jamaika-Aus über Lindner: „Man kann Christian Lindners Stil kritisieren, die Art und Weise, wie er die Gespräche platzen ließ, gut oder schlecht finden. Man muss ihn weiß Gott auch nicht mögen. Aber ich bin ihm dankbar. Und jetzt hat ausgerechnet der Strebsamste, den es in der deutschen Parteienlandschaft gibt, Christian Lindner, gewagt, ihr (Angela Merkel, Anm.d.R.) zu widersprechen. Ausgerechnet Christian Lindner hat an dieser letzten Bastion der Verlässlichkeit gerüttelt.“ 

Die Zeit kritisierte hingegen, dass Lindner seine Partei inhaltsleer in die Verhandlungen geführt hat. Dementsprechend gehen sie mit leeren Händen daraus hervor. „Wie viel Westerwelle steckt in Lindner? Das fragten sich viele, nachdem er (...) die Jamaika-Sondierungen kurzerhand für beendet erklärte. Überraschend, rigoros, draufgängerisch. Ganz nach der Art, die man von Westerwelle kannte. (...) Lindner dagegen wirkte in den vergangenen Wochen erratisch, sprunghaft. Westerwelle hatte die Partei inhaltlich zurechtgestutzt. Lindner ist es nicht gelungen, etwas an diese Stelle zu setzen, der Partei einen neuen Kern zu geben.“

FDP auf dem Prüfstand

Nach dem Abbruch der Verhandlungen revidierten einige internationale Medien ihren Eindruck vom FDP-Chef: „Dass es die Liberalen sind, die sich zurückziehen, ist überraschend. Aber es ist durchaus erklärlich. Überraschend ist es, weil gerade Christian Lindner lange Zeit optimistisch und pragmatisch zu sein schien“, schrieb die niederländische Zeitung de Volkskrant.

Die FDP als Ganzes steht nun auf dem Prüfstand. „Vor allem die CSU ist schwach (...). Aber auch die FDP, die ihre Entscheidungen an die zahlreichen, nicht immer realistischen Wahlkampfversprechen anpassen muss“, so schrieb La Stampa, eine italienische Tageszeitung, in einem Kommentar. 

Was genau ist das überhaupt für eine Partei, die Lindner aufgebaut hat? Die FAZ sucht ausgehend von der Partei einen Erklärungsansatz: „Alle rätseln jetzt über seine (Christian Lindners, Anm.d.R.) Motive, verdammen oder beglückwünschen ihn zu seinem Entschluss, von dem keiner weiß, wann er reifte oder ob er insgeheim von Anfang an feststand. Aber kaum jemand hat die Dinge im Vorhinein so kommen sehen. Das lag vielleicht daran, dass die meisten Lindners FDP betrachteten, als wäre sie in erster Linie eine politische Partei. Aber ihren Kern erfasst man damit nicht.“ 

Der Autor skizziert den systematischen und PR-strategischen Aufbau der Partei durch Lindner. Inhalte werden durch druckbare Formeln ersetzt. Unbequeme Forderungen treten zumindest auf Plakaten hinter Lindners Konterfei zurück. Mit Politik hat das kaum mehr was zu tun.

Lesen Sie außerdem: Den Leitartikel von Georg Anastasiadis (Chefredakteur Münchner Merkur) nach dem Scheitern der Koalitionsverhandlungen auf merkur.de*

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