Corona-Gipfel in Deutschland: Ein umstrittenes Format
Auf den Corona-Gipfeln beraten Angela Merkel und die Länder über das weitere Vorgehen. Diese Runde ist zur festen Institution geworden. Das gefällt vielen überhaupt nicht.
- Seit März 2020 hat das Coronavirus auch Deutschland fest im Griff.
- Bei Corona-Gipfeln beraten Bund und Länder immer wieder über das weitere Vorgehen.
- Ein Format, an dem die Kritik nicht nur aus der Opposition immer lauter wird.
Berlin - „Die Weltgesundheitsorganisation hat das Coronavirus mittlerweile als Pandemie eingestuft. Wie auf eine solche Verbreitung einer neuartigen Infektionskrankheit zu reagieren ist, lässt sich nicht vorab bis ins kleinste Detail planen. Doch Deutschland ist für eine solche Situation gerüstet“, so steht es im ersten Beschluss von Bund und Länder über die Corona-Krise. Kurz zuvor hat am 12. März 2020 der erste Corona-Gipfel stattgefunden. Kaum jemand ahnte wohl, was danach auf Deutschland und die Welt zukommen würde.
Seit Pandemie-Beginn haben etliche weitere solcher Runden mit den Ministerpräsident*innen der Länder und Bundeskanzlerin Angela Merkel stattgefunden. Beinahe jeden Monat kam die illustre Gruppe zusammen, um zu erörtern, wie Deutschland mit der Corona-Pandemie umgehen soll. Die beschlossenen Maßnahmen hatten und haben einschneidende Veränderungen in unserem Alltag und auch massive Einschränkungen unserer Grundrechte zur Folge.
Corona-Gipfel in Deutschland: Hier wird der Kurs in der Pandemie entschieden
Dennoch hat man sich in Deutschland an das Hangeln von Gipfel zu Gipfel gewöhnt. Beinahe fiebrig hoffen viele auf baldige Öffnungen, um dann doch immer wieder mit Schließungen konfrontiert zu werden. Es scheint, als wolle das Virus einfach nicht locker lassen. Nach der ersten Infektionswelle im Frühjahr 2020 schien sich die Situation zwar zunächst zu entspannen, im Herbst kehrte die Pandemie dann aber mit voller Wucht zurück. Es wurde getagt und beschlossen, immer wieder. Auffällig ist dabei eine bestimmte Dynamik: Denn trotz demonstrierter Einigkeit bei der anschließenden Pressekonferenz machen die Länder-Chef*innen im eigenen Bundesland doch oft Ausnahmen.
Ein Vorgehen, das möglicherweise dazu beigetragen hat, den Vorteil aus dem Sommer 2020 zu verspielen. Der Lockdown light aus dem folgenden November gilt mittlerweile als verpasste Chance das Virus einzudämmen. Die Maßnahmen um Weihnachten und Silvester fielen dafür umso strenger aus. Seit Beginn des Jahres 2021 beschäftigen sich die Regierungen aus Bund und Ländern vor allem mit der Impfstrategie und hochansteckenden Mutationen. Immer wieder reagiert das Gremium aus Ministerpräsident*innen und Kanzlerin mit neuen Gesetzen und Einschränkungen auf die Lage. Der Kurs in der Pandemie wird dort verhandelt - oft am Parlament vorbei. Dagegen regt sich schon länger Widerstand.
Bundestag und Länderparlamente fühlen sich durch Corona-Gipfel übergangen
Viele Parlamentarier fühlen sich übergangen. Nach den Corona-Gipfeln folgt die Verkündung der Beschlüsse, meist durch die Kanzlerin. Erst am Tag danach folgt bisweilen die Generaldebatte im Parlament - allerdings ohne Abstimmung und damit auch ohne echte Konsequenzen. Die kritischen Stimmen kommen dabei längst nicht nur aus den Oppositionsparteien. Dabei geht es weniger um inhaltliche Aspekte, sondern viel mehr um die Art und Weise wie sie Zustande gekommen sind.
Die Politikwissenschaftlerin Suzanne Schüttemeyer beschwichtigt im Interview mit der Bundeszentrale für Politische Bildung. Eine Gefährdung der parlamentarischen Demokratie bestehe nicht, auch eine Krise des Parlaments könne sie nicht erkennen. Denn das Parlament habe - wenn auch indirekt - durchaus Einfluss auf die Beschlüsse. Sie betont aber auch, „dass der Bundestag und auch die Landtage sich wieder stärker als die Institutionen präsentieren müssen, in denen politische Entscheidungen öffentlich diskutiert, Vor- und Nachteile von Problemlösungen erläutert und kritisch beleuchtet werden..“
Widerstand der Parlamentarier gegen Corona-Gipfel: Scharfe Kritik aus den Parteien der Opposition
„Seit fast einem Dreivierteljahr erlässt die Regierung in Bund, Ländern und Kommunen Verordnungen, die in einer noch nie dagewesenen Art und Weise im Nachkriegsdeutschland die Freiheiten der Menschen beschränken, ohne dass auch nur einmal ein gewähltes Parlament darüber abgestimmt hat“, sagte zum Beispiel der Rechtsexperte Florian Post (SPD) schon im vergangenen Oktober zu Bild. Die Partei des Bundestagsabgeordneten ist Bestandteil der Regierungskoalition.
In der Opposition regt sich der Widerstand noch stärker. „Der Bundestag wird nicht beteiligt, obwohl es sich hier um drastische Einschnitte in unsere Grundrechte und Freiheiten handelt“, kritisierte FDP-Chef Christian Lindner laut der Deutschen Welle. Seine Partei forderte ebenfalls im Oktober 2020 mit einem Antrag, den Bundestag und die Länderparlamente stärker miteinzubeziehen. Applaus kam dafür auch von unerwarteter Seite: den Linken. „Überraschend gut“ nannte Jan Korte, Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion, den Vorstoß. Seine Partei unterstützte das Vorhaben im Parlament. Ein ungewöhnlicher Schritt.
Corona-Gipfel mit immer neuen Gesetzen - im Grundgesetz nicht vorgesehen
Tatsächlich sind die Beschlüsse aus den Konferenzen mit Bundeskanzlerin und Länder-Chef*innen wenig transparent. Die Beratungen finden hinter verschlossenen Türen statt, die Entscheidungen werden meist direkt im Anschluss in Anwesenheit der Presse kommuniziert. Das Grundgesetz sieht dieses Format nicht vor. Eine solche Runde als gesetzgeberisches Organ kann es also nicht geben.
Klar ist aber auch, dass bei einer sich rasant entwickelnden Infektionslage auch schnelles Handeln gefordert ist. Krisen sind nicht ohne Grund oft die Stunde der Exekutive. Dennoch gilt: Die Legislative, also der Bundestag und die Länderparlamente, beschließt die Gesetze. Sie vertritt laut Artikel 20 des Grundgesetzes den Willen der Bürger. Die Corona-Gipfel können also in einer parlamentarischen Demokratie kein Format für die Zukunft sein. (mam)