„Freedom Plan“, jetzt? Ampel hadert - nun machen Ärzte bei Corona-Lockerungen Dampf

Lockern wie Dänemark? Ärzte fordern zumindest Pläne von der Ampel. Eine turbulente Debatte bahnt sich an - im Zentrum auch die Frage, wie mit den Bürgern kommuniziert wird.
- Ampel-Koalition und Länder ringen vor dem nächsten Corona-Gipfel weiter um Lockerungs-Perspektiven.
- Mehrere Ärzte und Medizinervereinigungen fordern nun konkrete Perspektiven.
- Doch die politische Debatte läuft zäh - im Kern steht wohl auch die Frage, ob sich die Politik traut, in der Omikron-Welle offen über kommende Öffnungen zu sprechen.
Berlin - Kanzler Olaf Scholz* (SPD) und die Ministerpräsidenten eiern seit Tagen um eine wichtige Frage: Lockerungen in der Omikron-Welle - ja oder nein? Uneinigkeit besteht offenbar sogar über die Frage, ob beim kommenden Corona-Gipfel am 16. Februar über konkrete Öffnungsschritte debattiert werden soll.
Nun kommt Druck von außen - ausgerechnet von den Ärzten im Land. Doch in der Corona-Debatte hakt es gleich an mehreren Stellen. Denn auch unter Medizinern gibt es unterschiedliche Einschätzungen. Teils geht es auch nur um rhetorische Nuancen. Die Pandemie-Kommunikation steht schließlich im Fokus. Und die Politik spricht vielstimmig und zugleich teils über unterschiedliche Sachverhalte: SPD-Gedankenspiele über ein Aus aller Maßnahmen im März etwa stehen neben entschiedenen Mahnungen der Grünen* - mit Blick auf den Februar.
Corona-Lockerungen? „Freedom Plan“ gefordert - Deutschland soll „lernen, mit Corona zu leben“
Der Tenor der Ärzteschaft scheint gleich wohl gen „lockern“ zu weisen. Sogar ein plakativer Ruf nach einem „Freedom Plan“ wurde am Freitag laut: Der ohnehin eher maßnahmenkritische Chef der kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, forderte in der Rheinischen Post einen konkreten Öffnungsplan. „Was wir jetzt brauchen, ist ein Freedom Plan - ein Plan, wie wir schrittweise und an Parametern orientiert lockern“, sagte er. Diesen zu erstellen sei nun „wichtigste Aufgabe der Politik“.
Deutschland müsse lernen, mit Corona* zu leben, sagte Gassen weiter. „Manche meinen, die Pandemie sei erst vorbei, wenn keiner mehr an Corona stirbt. Das ist ein Irrtum: Corona wird wohl dauerhaft Teil des Krankheitsgeschehens bleiben.“ Bei der Influenza gebe es auch stets neue Varianten, in manchen Jahren Zehntausende Tote. „Das müssen wir auch bei Corona akzeptieren und zugleich weiter Impfungen für Risikogruppen anbieten“, sagte Gassen weiter.
Ampel vor Corona-Problem: Auch Bundesärztekammer fordert jetzt Lockerungs-Vorbereitung
Gassen steht in seiner Zunft nicht allein da. In ebenfalls markigen Worten rügte der Verbandschef der deutschen Lungen-Kliniken, Thomas Voshaar, im ZDF „obsessive Angst“ in der jüngsten Corona-Welle. Er stellte Omikron gar als eine Art Geschenk des Himmels dar.
Auch die Bundesärztekammer forderte zuletzt einen Stufenplan für Öffnungsschritte in der Corona-Politik. „Wenn sich das Infektionsgeschehen so entwickelt, wie von Epidemiologen prognostiziert, werden die Fallzahlen von Ende Februar an allmählich sinken“, sagte ihr Präsident, Klaus Reinhardt, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). „Bund und Länder sollten deshalb vorbereitet sein und möglichst schon jetzt Stufenpläne für Öffnungen vorbereiten, die dann hoffentlich bald umgesetzt werden können.“
Lockern wie Dänemark? Ärzte fordern „Perspektive“ von Bund und Ländern - doch es gibt auch Warnungen
Reinhardt machte allerdings auch eine gewichtige Einschränkung: „Die Situation hierzulande ist einfach eine andere als in England oder Dänemark. Deutschland hat die zweitälteste Bevölkerung in Europa und eine im Vergleich zu Dänemark und England niedrige Impfquote unter Älteren.“ Der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft Gerald Gaß pflichtete dabei - mit einer etwas anderen rhetorischen Schwerpunktsetzung. „Die Krankenhäuser verzeichnen stark steigende Fallzahlen auf den Normalstationen und selbst auf den Intensivstationen werden wieder mehr Covid-Patienten eingeliefert“, sagte er dem RND. „Aber natürlich benötigen wir für die nahe Zukunft, wenn wir die Omikron-Welle hinter uns gebracht haben, klare Perspektiven für Öffnungen“, ergänzte er.
Doch es gilt das alte wissenschaftliche Prinzip: Keine Meinung ohne Gegenmeinung. Die Intensivmediziner warnen vor einer „Achterbahnfahrt“ der Infektionszahlen bei vorschnellen Lockerungen. „Lockerungen der Corona-Maßnahmen, wie sie jetzt einige Bundesländer angekündigt haben, kommen zu früh“, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Gernot Marx, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Es wäre fatal, wenn wir durch zu frühe Lockerungen in eine Achterbahnfahrt mit erneut steigenden Infektionszahlen gerieten.“
Von Gassen kamen derweil auch konkrete Vorschläge. Er kann sich eine Öffnung der Stadien vorstellen: „Fußball findet vor allem draußen statt, hier wird man bald wieder zunehmend vollere Stadien zulassen können.“ Auch im Handel hält Gassen Lockerungen rasch für möglich: „2G im Handel brauchen wir bald auch nicht mehr, da stimme ich unserem Finanzminister Lindner zu.“ Lindner hatte sich zuvor für ein Aus von 2G in Läden und Geschäften ausgesprochen. Auch die Stadion-Idee ist nicht neu - unter anderem CSU-Chef Markus Söder hatte sie auf die Agenda gesetzt*.
Ampel-Zoff bei Corona? SPD denkt an Ende aller Maßnahmen im März - Grüne bremsen
Ob nun schnell gehandelt wird? Ein Tauziehen droht. Die Unions-Fraktion im Bundestag schlug sich am Freitag auf die Seite der Lockerer. „Andere Länder zeigen uns: Man kann sehr wohl lockern, ohne gleich in Leichtsinn zu verfallen. Es muss stufenweise Öffnungsschritte geben, die für alle Bürgerinnen und Bürger verständlich sind“, sagte ihr Gesundheitsexperte Tino Sorge der Neuen Osnabrücker Zeitung. Der Expertenrat sollte dafür „zeitnah“ eine Leitlinie formulieren. Dafür wäre jetzt tatsächlich noch Zeit. Auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil äußerte im Gespräch mit der Zeitung den „Wunsch“, mit der nächsten Corona-Verordnung ab 23. Februar einige Maßnahmen fallen zu lassen - wenn die Infektionslage das zulässt.
Die Ampel-Fraktionen im Bundestag scheinen uneins. FDP-Politiker wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki drängen auf Lockerungen. Und auch die SPD* denkt an Öffnung - sogar an einen komplett Wegfall der Regeln, wenn auch erst etwas weiter in der Zukunft. Wir werden uns in den nächsten Wochen in aller Ruhe anschauen, ob eine Verlängerung der Corona-Schutzmaßnahmen über den 19. März hinaus überhaupt notwendig ist“, sagte Fechner der Welt. Wenn Mitte Februar tatsächlich ein Rückgang der Omikron-Variante festgestellt werde, stelle sich die Frage, ob es die Einschränkungen im Frühjahr und Sommer überhaupt noch brauche.
Die Grünen wollen soweit aber noch nicht denken. „Auf bestimmte Maßnahmen wie Maskenpflicht oder auch eine Reduzierung der Kontakte werden wir jetzt nicht verzichten können“, sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann, ebenfalls in der Welt. Sie verwies auf aktuelle Infektionszahlen, Impflücke und den neuen Omikron-Subtyp BA.2. Und Kanzler Scholz hatte zuletzt eh von höchster Stelle gebremst. Die Lage sei nicht nach Lockerungen, sagte er zuletzt im ZDF. Die aktuellen Maßnahmen seien die Basis, um nach dem Höhepunkt der Welle über „Lockerungsschritte entscheiden und beraten zu können“. „Aber da sind wir leider noch nicht angekommen.“ Kanzler und Grüne blenden mögliche spätere Öffnungen eher aus - womöglich aus Vorsicht vor überschießenden Hoffnungen.
Im Kern der Debatte könnten nun zwei Punkte stehen: Gelingt der Ampel, anders als der GroKo, eine vorausschauende Corona-Politik? Und: Wie offen will die Politik mit den Bürgern über die künftige Entwicklung sprechen? Antworten stehen noch aus. (fn/AFP/dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA