Infektionsschutzgesetz: Lauterbach will „Flickenteppich“ abwenden – warum genau das Gegenteil droht
Corona ist noch lange nicht überwunden. Aber das von der Ampel-Koalition vereinbarte neue Infektionsschutzgesetz löst auch Skepsis aus. Ärzte und Lehrer üben Kritik.
Berlin – Die Corona-Pandemie geht in ihren dritten Winter. Experten rechnen wie auch in den vergangenen Wintern mit einem saisonalen Anstieg der Corona-Infektionen. Damit Deutschland für alle Eventualitäten gewappnet ist, haben Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am 3. August die neuen Corona-Regeln für den Winter 2022 vorgestellt.
Es ist wie erwartet eine Kompromiss-Lösung: Buschmann beharrte in den vergangenen Monaten darauf, dass Freiheitseinschränkungen gut begründet sein müssen. Lauterbach gilt seit Beginn der Pandemie als vorsichtiger Mahner.
Die Verhandlungen über die Maßnahmen seien „kollegial, diskret und ergebnisorientiert“ abgelaufen, betonte Buschmann bei der Vorstellung der Regelungen überdeutlich. Das Ergebnis: Auf Schulschließungen, Ausgangssperre und Lockdowns soll auf Drängen der FDP verzichtet werden. Dafür soll die Maskenpflicht wieder ausgeweitet werden und die Länder Instrumente zur Verfügung gestellt bekommen, um auf sich zuspitzende Entwicklungen reagieren zu können. Erste Kritik folgte prompt – auch aus Bayern.

Neue Corona-Regelungen: Lauterbach will Flickenteppich vermeiden – Streeck übt bereits Kritik
Die Entscheidungsgewalt in die Hände der Länder zu legen, führte in den vergangenen Wintern zur Entstehung sogenannter „Flickenteppiche“ in Deutschland. Corona-Regelungen unterschieden sich zwischen den einzelnen Bundesländern zum Teil so stark, dass es für Bürger nur schwer nachvollziehbar war, welche Regelungen an ihrem aktuellen Aufenthaltsort gelten. Bei den gerade beschlossenen Regeln für den Winter 2022 soll die Bildung von Flickenteppichen jedoch vermieden werden, sagt zumindest der Gesundheitsminister.
„Dass da ein Flickenteppich kommt, hoffe ich nicht, wir arbeiten mit den Ländern zusammen, dass sie das Maximum nutzen, das wir anbieten“, erklärte Lauterbach am 3. August gegenüber dem Fernsehsender RTL. Der Virologe Hendrik Streeck hingegen kritisierte Lauterbachs Corona-Plan: Der 44-Jährige warnte gegenüber dem Fernsehsender Welt, angesichts der verschiedenen Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern vor einer Wiederholung der vergangenen Winter.
Verwirrung um Maskenpflicht in Schulen - „absolut nicht nachvollziehbar“
Um die Entstehung eine Flickenteppichs zu verhindern, forderte Streeck gerade mit Blick auf Maßnahmen wie die Maskenpflicht an Schulen klare Vorgaben. Hier haben die Länder durch die neuen Regelungen freie Hand, wann sie eine Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler einführen wollen – dann aber erst ab der 5. Klasse. Grundschulen sind von der Regelung ausgenommen. Hier ist keine Maskenpflicht möglich. Einheitliche Regelungen würden hier also nur dann entstehen, wenn alle Länder die aktuelle Infektionslage gleich einschätzen würden.
Kritik an diesen Vorgaben kommt auch vom deutschen Lehrerverband. „Warum im gleichen Fall, also zur Aufrechterhaltung des Schulbetriebs, eine Maskenpflicht an Grundschulen nicht angeordnet werden kann, ist allerdings absolut nicht nachvollziehbar“, sagte Präsident Heinz-Peter Meidinger gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Corona-Regelungen im Winter: Flickenteppich auch bei Maskenpflicht im Nahverkehr?
Auch mit Blick auf den öffentlichen Nahverkehr drohen krasse Unterschiede zwischen den Ländern. Hier können die Länder ebenfalls individuell über die Einführung einer Maskenpflicht entscheiden. Zu allem Überfluss kommt hinzu, dass die Corona-Regeln eine bundesweit verpflichtende Maskenpflicht für den Fernverkehr vorsehen. Ab 1. Oktober muss man sich also vor einer Fahrt mit der Deutschen Bahn darüber informieren, welche Masken-Regelungen jeweils an Start- und Zielort im ÖPNV gelten.
Doch auch hier enden die Ungereimtheiten bei der Maskenpflicht noch nicht. Die vom Bund festgelegten Regelungen sehen eine Ausnahmeregelung für Bürgerinnen und Bürger vor, deren letzte Impfung oder Genesung nicht länger als drei Monate zurückliegt. Diese Regelung würde demnach für den Besuch von Restaurants und Kultureinrichtungen in den Ländern gelten. Unklar ist jedoch aktuell weiterhin, wie diese Ausnahmeregelungen kontrolliert werden sollen.
„Wenn bei der Maskenpflicht beispielsweise danach differenziert werden soll, ob die letzte Impfung drei oder vier Monate zurückliegt, dann frage ich mich, wie das im Alltag funktionieren soll“, wundert sich Ulrich Weigelt, der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, gegenüber der Rheinischen Post. „Dass solche Regelungen nicht zur Akzeptanz in der Bevölkerung beitragen werden, ist offensichtlich. Im Zweifel muss man auch nicht alles gesetzlich haarklein regeln.“
Coronavirus: Ärzte-Präsident fordert einheitliche Maßnahmen für den Winter
Auch von der deutschen Ärztegesellschaft kommt Kritik an den teilweise unklaren neuen Regelungen. „Wichtig ist, dass in Zukunft im ganzen Bundesgebiet einheitliche Maßnahmen ergriffen werden, wenn bestimmte, klar definierte Kriterien erfüllt sind“, sagte der Ärztepräsident Klaus Reinhart gegenüber der Funke Mediengruppe. Die neuen Regelungen würden nicht festlegen, wie im Falle einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems reagiert werden sollte. Klare Grenzwerte sieht der Beschluss ebenso nicht vor.
Die Maßnahmen greifen ab dem 1. Oktober 2022 bis ins Frühjahr 2023. Dann wird sich zeigen, ob Deutschland erneut zum Flickenteppich wird. (fd)