Corona vorbei? Epidemiologe: „Die Abstände zwischen Pandemien werden kürzer“

Anfang Februar endet die Maskenpflicht in Bus und Bahn. Das Ende von Corona? Ja, sagt Epidemiologe Timo Ulrichs. Aber die nächste Pandemie kommt – es sei denn, wir ändern unser Verhalten.
Köln – Wo waren Sie am 18. März 2020? Schon klar, der 18. März ist nicht der 11. September. Eine besondere Bedeutung haben aber beide Tage. An jenem Frühjahrestag vor drei Jahren schwor Bundeskanzlerin Merkel die Deutschen in einer TV-Ansprache ein: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Seitdem hat das Land und die ganze Welt viel erlebt: R-Wert, AHA-Regeln, Brücken-Lockdown, Impfschwurbler und Long Covid – Begriffe, die wahrscheinlich in Geschichtsbüchern auftauchen werden.
Und jetzt ist alles einfach vorbei? Dass Anfang Februar die letzten Bundesländer die Maskenpflicht im ÖPNV aufheben, dürfte sich für die Allermeisten wie das endgültige Ende von Corona anfühlen. Dabei werden neue Pandemien immer wahrscheinlicher, sagt Timo Ulrichs. Er ist Epidemiologe an der Akkon Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin.
Corona als Warnschuss: Menschen und Wildtiere haben zu viele Überschneidungen
Der Grund für die gestiegene Gefahr sei ein grundsätzliches Problem. „Wir zerstören immer weiter den natürlichen Lebensraum von Tieren. Sie werden zurückgedrängt und müssen ausweichen. Zwangsläufig laufen sich Menschen und Wildtiere dann öfter über den Weg – und mit jedem Kontakt steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Erreger übertragen wird. Auf diese Art wird die nächste Pandemie sehr sicher entstehen“, sagt Ulrichs dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA. Für den Experten kann das nur eine Konsequenz haben: „Wir müssen achtsamer mit dem Habitat von Wildtieren umgehen.“

Doch das wird schwierig. Immerhin wächst die Weltbevölkerung rasant. Mitte November wurde die Grenze von acht Milliarden Erdbewohnern überschritten. Für Ulrichs nur bedingt ein Anlass zur Freude: „Mehr Menschen brauchen mehr Platz. Insofern wird es zwangsläufig mehr Kontakte mit Wildtieren geben.“ Dazu bedeuten mehr Menschen auf gleichbleibendem Raum auch mehr Kontakte – ein zusätzliches Risiko für eine noch schnellere Ausbreitung. Wann die nächste Pandemie auftritt, könne keiner seriös prognostizieren, sagt Ulrichs. „Aber immerhin kann festgestellt werden, dass die Zeitabstände zwischen zwei Pandemien eher kürzer als länger werden.“
Epidemiologe Timo Ulrichs: „Die Pandemie ist vorbei – zumindest in Deutschland“
Damit die Zeitabstände kürzer werden können, müsste die aktuelle Pandemie allerdings auch wirklich Geschichte sein. Ist sie das? „Die Pandemie ist vorbei – zumindest in Deutschland“, sagt Ulrichs. Doch ein Blick nach China reicht, um zu sehen, welche verheerenden Folgen das Virus nach wie vor anrichtet. „Das könnte auch für uns wieder ein Problem werden, weil damit die Gefahr für eine neue Variante weiter besteht.“
Nicht nur deswegen plädiert Ulrichs dafür, dass das Ende der Pandemie nicht das Ende der Masken bedeutet. „Es ist richtig, dass es keine Maskenpflicht mehr im ÖPNV gibt, aber die Empfehlung sollten wir beibehalten. Gerade wenn man ungeimpft ist, ergibt es durchaus Sinn, sich vor der saisonalen Grippe zu schützen. Auch ältere Menschen sollten sich nicht grundsätzlich von der Maske verabschieden.“
Vor allem der aktuelle Winter, in dem Corona kaum mehr ein Thema war, zeigt: Auch ohne substanziellen Pandemie-Einfluss ist ständig jemand krank. Fast alle Krankenkassen meldeten in jüngster Zeit Negativ-Rekorde. Beispiel DAK: Die Krankenkasse verzeichnete für ihre Versicherten so viele Krankheitstage wie noch nie. Im Durchschnitt fehlten die Beschäftigten 2022 mit einer Krankschreibung fast 20 Tage lang und damit rund 5,5 Tage mehr als 2021.
Masken im Alltag? „Das wäre schön“
Ulrichs überrascht diese Entwicklung nicht: „Durch Masken und Abstand haben wir nicht nur Corona abgehalten, sondern auch andere Viren. Unser Immunsystem hat vielfach keine Chance bekommen, zu trainieren.“ Deswegen sollten gerade vulnerablen Gruppen, ältere Menschen und Ungeimpfte, weiter Maske tragen. „Es wäre schön, wenn Masken in der Erkältungssaison zum Straßenbild gehören. Damit kann man ganz simpel sich und andere schützen“, so Ulrichs.
Und sonst? Was bleibt von dieser Pandemie – außer die Masken? Mit einer Bilanz tut sich der Experte schwer. „Hinterher ist man immer schlauer“, sagt Ulrichs. Insgesamt sei Deutschland „relativ gut durch die Pandemie gekommen.“ Eine wichtige Ausnahme gebe es allerdings. „In der zweiten Welle zum Jahresende 2020 hat die Politik es verpasst, früher einen Lockdown zu verhängen, weil es ein Kompetenzgerangel zwischen Bund und Ländern gab. Das hat Zehntausende Tote verursacht.“ Auch die Kita-Schließungen waren ein Fehler, sagt Ulrichs. „Das können wir mittlerweile sehr gut nachweisen.“ Und die Schulschließungen? „Sie waren zum Teil übertrieben.“
Für den Mediziner ist klar, was der Schlüssel war, um Corona zu überwinden: die Impfungen. Dabei hätte es bei der Kommunikation seitens der Politik durchaus Luft nach oben gegeben. Beispiel: die Debatte um die Impfpflicht. „Im Nachhinein hätte man dieses emotional besetzte Thema lieber weggelassen und stattdessen den Schwerpunkt der Kommunikation lieber auf eine generelle Impfkampagne gelegt“, so Ulrichs. Dennoch räumt er ein: „In der damaligen Situation war eine Impfpflicht eine sinnvolle Option.“