Corona in Bayern: Herrmann will „Sicherheit statt Halligalli“ - aber macht gleich zwei Gruppen Hoffnung auf Lockerung
Im Interview über die Coronavirus-Pandemie spricht sich der bayerische Innenminister Herrmann dafür aus, lieber auf Vorsicht zu setzen statt zu schnell zu lockern.
München - Der Herr der Regeln, Verordnungen und Kontrollen: In der Corona-Krise hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) eine Schlüsselrolle. Der 64-Jährige erklärt Bayerns vorsichtigen Kurs, kündigt aber auch Lockerungen für Sport und Kultur an.
Münchner Merkur: Regieren im Ausnahmezustand: Für einen gestandenen Innenminister beglückend oder bedrückend?
Joachim Herrmann: Von Glück kann sicherlich nicht die Rede sein. Das waren Monate mit hoher psychischer und physischer Belastung. Wir mussten wahrlich existenzielle Entscheidungen treffen, die sich auf Leben und Tod auswirken.
Welche Maßnahme war nötig, wo denken Sie: Oh, wir haben übertrieben?
Wir alle haben unheimlich dazugelernt. Im Februar wussten wir so gut wie nichts über das Virus, haben aber die schrecklichen Bilder aus Bergamo erlebt. Die Restriktionen waren in der Gesamtheit richtig, um die Infektionen in Grenzen zu halten. Gleichzeitig durften wir erleben, dass Deutschland das beste Gesundheits- und Krankenhaus-System mindestens Europas hat. Ein Beispiel: Wir haben für die Bevölkerung sechsmal so viele Intensivbetten wie Großbritannien.
Leere Intensivbetten.
Wir haben bundesweit Betten für die Corona*-Patienten freigeräumt. Das haben die Kliniken exzellent umgesetzt. Gottseidank kamen dann nicht so viele Patienten. Das ist sicher ein Punkt, den wir für den kommenden Winter gelernt haben: Wir müssen die Kliniken nicht prophylaktisch räumen, sondern können schnell und flexibel reagieren.
Italien verhängt eine generelle Maskenpflicht fürs ganze Land. Ist das auch für Bayern denkbar?
Ich sehe das nicht. Wir müssen alles tun, um die Fallzahlen in Grenzen zu halten. Die Strategie ist aber: lokal statt Lockdown. Wir brauchen keine bayernweite Pflicht zum Mund-Nasen-Schutz, aber müssen örtlich reagieren. Für mich war schon interessant, wie das in München geholfen hat, als die Zahlen in der Stadt so in die Höhe gegangen sind. Innerhalb einer Woche nach der Anordnung des Oberbürgermeisters zur Maskenpflicht in der Fußgängerzone war die Trendumkehr da. Die Botschaft ist angekommen: Leute, aufpassen jetzt. Die allermeisten haben das offensichtlich respektiert.
Corona-Infektionen steigen in Deutschland langsamer - Herrmann sieht den Grund bei Lockerungen
In Europa schießen die Zahlen nach oben, bei uns vorerst nur moderat. Sind wir Deutschen disziplinierter? Oder besser regiert?
Beides. Die Maßnahmen waren eben richtig, genauso der vorsichtige Ansatz bei den Lockerungen. Ich maße mir nicht an, Regierungen in Frankreich, Spanien und Tschechien zu beurteilen. Aber ich sehe: Dort wurden schnell die Corona*-Regeln zurückgefahren, jetzt muss der Staat plötzlich wieder massiv einschreiten. Wir bleiben vorsichtig. Und die Mehrheit in unserem Land sagt seit Monaten*: Lieber mehr Sicherheit statt mehr Halligalli.
In der Stadt Berlin steigen die Zahlen deutlich. Hadern Sie mit dem Krisen-Management der Behörden dort?
In Ballungsräumen ist die Lage generell schwieriger als im ländlichen Raum. Man lebt enger aufeinander, das Freizeitverhalten ist – ich sage es mal vorsichtig– intensiver. Die Wohnungen sind kleiner.
Coronavirus: Bei der Bewertung der Berliner Strategie hält sich Bayerns Innenminister zurück
Die eigentliche Frage war nach Berlin...
Die Stadt muss reagieren und tut das jetzt auch. Die Sperrzeiten sind notwendig und müssen dann aber auch konsequent kontrolliert werden..
Ganz langsam füllen sich Stadien und Hallen wieder. Klappt das – oder hat der Sportminister Bauchschmerzen?
Ich habe bisher nur positive Meldungen bekommen, auch von Polizei und Gesundheitsbehörden. Das klare Alkoholverbot in Stadien wirkt, auch der Verzicht auf Kartenkontingente für Auswärtsfans.

Die Vereine rufen schon: Mehr als nur 20 Prozent der Sitze! Geht da was?
Erstmal ist mir wichtig, dass die Zahl der Infektionen* in München so runtergeht, dass auch hier wieder Zuschauer möglich sind. Ich hoffe sehr, dass wir bis zum Champions-League-Spiel des FC Bayern am 21. Oktober wieder Fans in der Arena unterbringen können. Ende Oktober ziehen wir dann eine Bilanz, wie das mit der Zulassung von zuschauern geklappt hat. So, wie es sich bisher anlässt, können wir vielleicht dann einen Schritt weitergehen, ein paar Prozent mehr Zuschauer. Ich sage aber klar: Sobald etwas außer Rand und Bandgerät, werden Lockerungen zurückgenommen.
Mehr Fans in den Stadien – sind Sie auch für mehr Zuschauerin der Oper?
In München läuft in der Staatsoper gerade der Probelauf mit 500 Besuchern. Nach dem, was mir Kunstminister Bernd Sibler sagt, klappt das absolut geordnet. Wir werden auch in der Kultur stärker auf den Einzelfall schauen: Oper oder Rockkonzert, wie hoch ist die Decke, wie stark ist die Lüftung? Dafür hatten wir im April/Mai weder Zeit noch die Erfahrung. Jetzt haben wir beides.
Corona-Auflagen in Bayern: Eine Lockerung hält Herrmann für möglich
Gibt es auch Lockerungen für Gottesdienste?
Darüber reden wir derzeit, gerade mit Blick auf Allerheiligen. Wir sollten auch hier bei Obergrenzen nach Risiken differenzieren: Menschen verhalten sich auf einer Hochzeit eben etwas anders als beim Besuch am Grab.
Eine parteipolitische Frage. Ihr Chef Markus Söder: Hat er das Zeug zum Kanzlerkandidaten?
Ja, auf jeden Fall. Das sieht man ja inzwischen überall in Deutschland so – er hat diese Krise super gemanagt, auch als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz.
Sie wollen ihn wegloben und Ministerpräsident werden.
Nein, sicher nicht. Es steht ja ohnehin nicht zur Debatte,weil er klar sagt, sein Platz ist in Bayern.
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