Zoff in der CSU: Parteifreunde wettern gegen Seehofer wegen Flüchtlingen

Die CSU steht vor einer Neuausrichtung, die die Anhänger verschrecken könnte. Es gibt Parteiaustritte. Ministerpräsident Markus Söder hat einen Schuldigen gefunden.
München – Für gewöhnlich pflegt Bayerns Innenminister seine Worte genau abzuwägen. Kritik äußert Joachim Herrmann eher moderat, manchmal auch nur mit einem Brummen oder einem ironischen Gesichtsausdruck. Für seine Verhältnisse wurde er am Dienstag also sehr deutlich: In einer Sitzung der CSU-Landtagsfraktion hat Herrmann das Vorgehen von Bundesinnenminister Horst Seehofer bei der Seenotrettung scharf kritisiert und vor einem Rechtsverstoß gewarnt, berichten Teilnehmer.
Seehofer kämpft neuerdings für eine Quote bei der Aufnahme von Migranten aus dem Mittelmeer: Er sagt für Deutschland verbindlich die Aufnahme von 25 Prozent zu. Mit den Kollegen aus Frankreich, Italien und Malta hat er sich auf diesen zeitlich befristeten Notfallmechanismus geeinigt, Gespräche mit weiteren Ländern (Portugal, Irland, Kroatien) laufen. Seehofer argumentiert, es gehe um minimale Zahlen. Deutschland habe seit Juli 2018 nur – jeweils nach Einzelfallentscheidungen – die Aufnahme von 565 aus Seenot geretteten Migranten zugesagt. Kritik daran verbittet er sich: „Es ist unglaublich, dass man sich als Bundesinnenminister für die Rettung von Menschen vor dem Ertrinken rechtfertigen muss.“
CSU: Joachim Herrmann warnt vor Zusage
Ausgerechnet in seiner eigenen Partei gibt es allerdings Zorn und Unverständnis über das Quoten-Angebot. Die Lage im Nahen Osten sei sehr schwierig, wird Herrmann zitiert, „das Flüchtlingspotenzial ist sehr groß“. Schon einmal habe man den Fehler gemacht, Potenziale zu unterschätzen. Wer da pauschal die Aufnahme von 25 Prozent verspreche, schüre Unruhe in der Bevölkerung. Herrmann verlangt, dass vor der Aufnahme geprüft werde, ob die Migranten wirklich schutzberechtigt seien. „Darauf muss ich bestehen.“
Nach Angaben aus der CSU-Landesgruppe in Berlin kommen viele Bootsflüchtlinge aus Staaten mit sehr niedriger Anerkennungsquote. Herrmann warnt, wer Flüchtlinge verteile, ohne vorher auf die Schutzberechtigung zu achten, verstoße gegen europäisches Recht.
CSU: Markus Söder benennt Schuldigen für Parteiaustritte
Seehofers Lage ist ungewöhnlich: Die Opposition lobt ihn, die Linkspartei sieht einen „sehr späten, kleinen, aber richtigen Schritt in Richtung Humanismus“. Seine CSU wendet sich aber ab: Führende Innenpolitiker aus der Landesgruppe in Berlin, der Chef der Landtagsfraktion, Thomas Kreuzer, und nun auch Innenminister Herrmann kritisieren seine Quote scharf. Sogar Parteichef Markus Söder schaltete sich intern ein. Er klagte, es gebe wegen Seehofer eine nennenswerte Zahl an Parteiaustritten. Öffentlich äußert sich Söder dazu nicht. Man weiß allerdings, dass er von Seehofers Vorgehen ebenso nicht begeistert ist.
Auch die FDP kritisiert Seehofer scharf und wirft ihm einen Alleingang vor. Es sei „inakzeptabel“, dass er „auf europäischer Ebene Zusagen macht, im Rat Anfang Oktober mit anderen Staaten konkrete Vorschläge unterbreiten will und damit den Bundestag vor vollendete Tatsachen stellt", sagte FDP-Generalsekretärin Lina Teuteberg der „Rheinischen Post“. Es sei ein „Skandal“, dass Seehofer der Sitzung des Innenausschusses am Mittwoch ferngeblieben sei. Das wiederum überrascht Parteifreunde kaum: Seehofer bleibt auch fast allen Sitzungen der CSU-Landesgruppe und der Unionsfraktion fern.
Was aus dem Konflikt wird, ist offen. Seehofer will im Oktober nach Griechenland und in die Türkei reisen. An seinem Quoten-Plan hält er fest. An anderer Stelle sendet er an die Staatsregierung aber ein Entspannungssignal: Am Dienstag kündigte er an, die Grenzkontrollen nach Österreich würden nochmal ein halbes Jahr verlängert – das war ein dringendes Anliegen Herrmanns und Söders.
CSU ist gegen schwarz-grüne Regierung
Unterdessen bemüht sich die CSU, eine weitere Debatte zu entschärfen. Generalsekretär Markus Blume distanzierte sich klar von Aussagen des Parteivizes Manfred Weber, der leidenschaftlich für eine schwarz-grüne Koalition im Bund geworben hatte. „Es ist jetzt nicht die Zeit für Koalitions-Spekulationen.“ Die Grünen seien „nach wie vor eine Verbots- und Bevormundungspartei“, so Blume. Weber habe seinen Vorstoß mit niemandem abgestimmt.
Christian Deutschländer
Der Vorwurf kehrt immer wieder: Seenotrettung sei Teil des Problems, weil sie Migranten erst aufs Mittelmeer locke. Wissenschaftlich ist das aber nicht belegt.