Deutsch-türkisches Verhältnis zunehmend zerrüttet

Berlin/ Ankara - Deutschland und Türkei kritisieren sich laufend gegenseitig. Mit der Inhaftierung von Deniz Yücel hat das Verhältnis einen neuen Tiefpunkt erreicht. Ein Überblick.
Mit dem Streit um die Inhaftierung des "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel hat das deutsch-türkische Verhältnis einen neuen Tiefpunkt erreicht. Doch schon seit Monaten sind die Beziehungen zwischen Berlin und Ankara von gegenseitiger Kritik und Vorwürfen bestimmt. Ein Überblick über die wichtigsten Streitpunkte:
UMGANG MIT DEM PUTSCH
Viele türkische Politiker haben Deutschland mangelnde Solidarität nach dem Putschversuch vom 15. Juli vorgeworfen, bei dem mehr als 240 Menschen getötet wurden. Die Bundesregierung hatte sich zwar noch in der Putschnacht klar hinter Präsident Recep Tayyip Erdogan und die demokratisch gewählte Regierung gestellt. Ankara beklagt aber, dass anschließend kein hochrangiger Vertreter Deutschlands in die Türkei kam, um seine Unterstützung auszudrücken.
REPRESSIONEN
Ein Grund für die relative Zurückhaltung der Bundesregierung waren die massiven Repressionen gegen die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen, die für den Putschversuch verantwortlich gemacht wird. Kritik aus Deutschland an der Entlassung und Inhaftierung zehntausender mutmaßlicher Gülen-Anhänger im Staatsdienst sowie an der Verfolgung kurdischer Oppositioneller wies Ankara verärgert zurück.
SPIONAGEVORWÜRFE
In Deutschland wiederum sorgten Vorwürfe für Empörung, wonach Imame des Moscheeverbands Ditib im Auftrag der türkischen Religionsbehörde Diyanet Informationen zu Gülen-Anhängern gesammelt haben. Diyanet berief sechs Imame als "Zeichen des guten Willens" in die Türkei zurück, bestritt aber jedes Fehlverhalten und kritisierte, dass die deutsche Justiz mehrere Wohnungen islamischer Geistlicher durchsuchte.
PRESSEFREIHEIT
Berlin hatte sich schon länger kritisch zur Inhaftierung von Journalisten und zur massenhaften Schließung kurdischer und anderer oppositioneller Medien geäußert. Dass die Justiz nun auch nicht vor der Festnahme des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel zurückschreckte, sorgte in der deutschen Politik für breite Empörung und hatte scharfe Warnungen verschiedener Minister an Ankara zur Folge.
PRÄSIDIALSYSTEM
Große Sorge gibt es in Berlin auch wegen des angestrebten Übergangs zu einem Präsidialsystem mit beispiellosen Vollmachten für den islamisch-konservativen Präsidenten Erdogan. Es besteht die Befürchtung, dass mit der Verfassungsänderung, über die am 16. April in einem Referendum abgestimmt wird, die Gewaltenteilung untergraben, der Rechtsstaat ausgehöhlt und einer autoritären Ein-Mann-Herrschaft der Weg bereitet wird.
WERBEAUFTRITTE
In Deutschland gibt es daher große Vorbehalte, Erdogan zu erlauben, vor den Türken in Deutschland für das Präsidialsystem zu werben. Schon ein Auftritt von Ministerpräsident Binali Yildirim in Oberhausen stieß Mitte Februar auf scharfe Kritik. Rechtlich ist es aber nicht ganz einfach, derartige Auftritte zu verhindern. Noch hat sich Erdogan nicht dazu geäußert, ob er tatsächlich nach Deutschland kommen will.
FLÜCHTLINGSPAKT
Wenn die Bundesregierung in ihrer Kritik trotz allem eher zurückhaltend ist, dann auch weil sie in der Flüchtlingspolitik auf Ankara angewiesen ist. Auf Initiative von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte die EU im März 2016 mit der Türkei ein Abkommen geschlossen, das die Rücknahme aller Flüchtlinge vorsieht, die von der türkischen Küste auf die griechischen Ägäis-Inseln gelangen. Seitdem ging dort die Zahl der Neuankömmlinge stark zurück.
VISA-FREIHEIT
Die Türkei beklagt aber, dass Europa seine Versprechen nicht eingehalten habe. So habe Brüssel weniger Geld zur Versorgung der 2,7 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei gezahlt als vereinbart. Brüssel bestreitet dies. Ankara kritisiert zudem, dass es keine Fortschritte bei der Gewährung von Visa-Freiheit für Türken gibt. Die EU fordert dafür aber eine Änderung der türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung, was Ankara ablehnt.
ANTI-TERROR-KAMPF
Ankara verweist dabei auf die akute Terrorgefahr, der die Türkei ausgesetzt sei. Die Regierung fordert von Deutschland ein härteres Vorgehen gegen die Gülen-Bewegung und die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die in Deutschland frei agieren könne. Für Streit sorgten auch die Asylanträge von rund 40 türkischen Offizieren in Deutschland, die Ankara nach dem Umsturzversuch zurückbeordert hatte.
afp