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Terror in Deutschland? "Wir stehen im Zielfokus des IS"

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Salafisten verteilen in deutschen Fußgängerzonen kostenlos den Koran, um Glaubensbrüder für ihre Sache zu gewinnen. Hier eine Szene aus Berlin, aber auch in der Münchner Innenstadt gibt es solche Aktionen © dpa (Symbolbild)

München - Wie groß ist die Terrorgefahr bei uns? Und: Was tun die Behörden, um radikale Islamisten aufzuhalten? Ein Interview mit Burkhard Körner, Präsident des bayerischen Verfassungsschutzes.

Herr Körner, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Anschlag wie in Paris auch in Deutschland stattfindet?

Die Sicherheitsbehörden sind sich einig, dass nach wie vor eine abstrakt hohe Gefährdung besteht. Es gibt derzeit keine belastbaren Hinweise auf eine konkrete Gefährdung. Aber auch wir stehen im Zielfokus des IS, wie ja auch aus dem Bekennerschreiben deutlich geworden ist.

Abstrakt hohe Gefährdung – was heißt das?

Im Bekennerschreiben des IS wird Deutschland als Kreuzfahrerland bezeichnet. Das Länderspiel zwischen Frankreich und Deutschland wurde hiernach bewusst als Anschlagsziel gewählt.

Wie groß ist der Kreis der Kreuzfahrerstaaten?

Das bezieht sich im Grunde auf alle Staaten in Westeuropa, einschließlich Amerika. Vor allem stehen aber die Staaten im Fokus, die an der militärischen Allianz gegen den IS in Syrien und Irak beteiligt sind. Deutschland wird der Allianz zugerechnet. Auch wenn das Land nur bei der Ausbildung von Soldaten hilft.

Worin unterscheidet sich die deutsche von der französischen oder belgischen Islamistenszene?

In Frankreich und Belgien ist die Islamistenszene viel größer. Es gibt

Burkhard Körner
Bayerns oberster Verfassungsschützer: Burkhard Körner ist seit 2008 Präsident der Behörde. © dpa

auch viel mehr gewaltbereite Personen, die wir Gefährder nennen. In Bayern gibt es eben keine Stadtviertel, die solche Brutstätten für den Salafismus sind wie Chartres in Frankreich oder Molenbeek in Belgien. Das sind Brennpunkte, in denen Salafisten ihre Ideologie verbreiten können.

In diesen Vierteln gab es nun Razzien. Auch in Aachen wurden Verdächtige festgenommen. Gab es in Bayern auch Untersuchungen?

Es gab immer wieder Maßnahmen gegen salafistische Strukturen, zum Beispiel Vereinsverbote. Infolge der Anschläge von Paris wurden in Deutschland zahlreiche Gefährder angesprochen. Das gilt auch für Bayern.

Wie viele Gefährder gibt es hierzulande?

Wir zählen in Deutschland rund 7900 Salafisten, in Bayern etwa 600. Ein Fünftel davon hat eine große Nähe zur Gewaltideologie des Dschihadismus.

Früher galt El Kaida als Vorbild radikaler Islamisten. Hat der IS der Organisation den Rang abgelaufen?

Im Moment ist der IS absoluter Vorreiter. Man sieht das auch an den Ausreisen deutscher Salafisten in das von der Organisation kontrollierte Gebiet. In Bayern sind schon über 50 Personen ausgereist, weitere 20 stehen auf dem Sprung. Das hängt mit dem großen militärischen Erfolg des IS in Syrien und Irak zusammen. El Kaida ist da eher ins Hintertreffen geraten.

Die naheliegende Vorstellung ist: Das sind vor allem Verlierer, die Halt im Dschihadismus suchen.

So einfach ist es nicht. Wir stellen häufig fest, dass die salafistische Vita mit einem Bruch im Lebenslauf beginnt. Wir haben auch Personen in der Szene, die sogar studiert oder erfolgreich eine Ausbildung durchlaufen haben. Ein Beispiel ist David G. aus Kempten, der erste aus Bayern, der im Kampf für den IS getötet wurde. Er hatte einen guten Schulabschluss, kein religiöses Elternhaus. Er hätte alle Chancen gehabt, in dieser Gesellschaft Fuß zu fassen. Trotzdem hat er sich sehr schnell radikalisiert.

IS übt große Faszination auf junge Menschen aus

Was macht die Faszination des IS aus?

Der IS übt vor allem auf junge Menschen eine große Faszination aus. Die Organisation bietet eine klare und einfache Orientierung. Ein schwarz-weißes Weltbild. Manchmal spielt auch gerade die Opposition zur Elterngeneration eine Rolle, der Reiz, sich abzugrenzen. Es gab sogar einen Fall von einem jungen Menschen, der dem Rechtsextremismus nahestand und dann Salafist wurde. Manchmal ist es aber auch Abenteuerlust, wenn die sich entschließen, in Kriegsgebiete auszureisen.

Sehen Sie die Gefahr, dass sich Dschihadisten in Deutschland durch die Anschläge in Paris angestachelt fühlen?

Wir haben keine konkreten Hinweise. Aber aus meiner Sicht gibt es ein gewisses Risiko, dass Nachahmungstäter auch in Deutschland und Bayern tätig werden. Auf Seiten der dschihadistischen Medien wird immer wieder dazu aufgerufen, Anschläge auch mit einfachsten Mitteln zu begehen. Mit dem Auto, mit dem Messer oder mit den bloßen Händen. Solche Taten sind nicht auszuschließen.

Haben die Sicherheitsbehörden ausreichend Instrumente und Mittel, Anschläge zu verhindern?

In diesem Bereich wird es keine hundertprozentige Sicherheit geben. Wir kennen die Brennpunkte und wir haben die Aktivitäten im Blick. Man kann aber nicht ausschließen, dass es trotzdem zu Anschlägen kommt. Wir stellen fest, dass die Radikalisierung immer schneller geht. Teilweise verläuft sie innerhalb weniger Monate. Manchmal findet sie auch zuhause ausschließlich über das Internet statt. Also ohne Kommunikation nach außen. Wir haben kaum eine Chance, solche Radikalisierungsverläufe zu erkennen.

Ist diese Turboradikalisierung ein neues Phänomen?

Es ist ein Phänomen, das wir verstärkt in den vergangenen ein bis zwei Jahren feststellen. Die ausreisenden Personen sind teilweise extrem jung und hatten noch gar keine Zeit für eine richtige religiöse Entwicklung.

Selbst wenn Sie sie kennen – kann man die gefährlichen Personen rund um die Uhr beobachten?

Wir versuchen, an den Personen dran zu sein. Rund um die Uhr beobachten können wir aber nicht alle.

In Frankreich wird über Hausarrest für Syrien-heimkehrer nachgedacht. Ein Mittel auch für Deutschland?

Nach deutschem Recht wäre das nicht möglich. Für eine Inhaftierung muss man nachweisen, dass die Person sich an terroristischen Strukturen beteiligt hat. Einigen können wir das zum Beispiel durch Postings in Sozialen Netzwerken oder durch Informationen von Sicherheitsbehörden nachweisen, anderen nicht.

Sehen Sie die Gefahr, dass Terroristen als vermeintliche Flüchtlinge zu uns einreisen?

Tatsache ist, dass ein großer Teil der Personen derzeit nicht registriert wird. Für die Sicherheitsbehörden besteht ein großes Dunkelfeld. Bisher gehen wir aber davon aus, dass die größere Gefährdung von Personen ausgeht, die in Europa leben. Bei bisherigen Anschlägen war es so, dass die überwiegende Zahl der Attentäter im jeweiligen Land gelebt hatten.

Es gibt Berichte, Islamisten versuchten, gezielt Flüchtlinge in Deutschland anzusprechen und zu gewinnen. Auch in Bayern?

Es gibt islamistische Gruppen, die versuchen, die Situation vor allem in den Sammelunterkünften zu nutzen. Es werden zum Beispiel Gebetsstätten und Hilfeleistungen angeboten. Das stellen wir auch in Bayern fest.

Bei so vielen Flüchtlingen dürfte es auch Enttäuschte geben. Etwa, wenn einige nicht rasch anerkannt werden oder keine Arbeit finden. Steigt dann die Gefahr, dass die Salafisten mit ihren Versuchen Erfolg haben?

Es ist wichtig, diejenigen, die dauerhaft hier bleiben, schnell zu integrieren. Wenn Enttäuschungserfahrungen gemacht werden, steigt die Gefahr, dass diese Leute den salafistischen Predigern in die Hände fallen. Wichtig ist, dass die gemäßigten, nicht islamistischen Moscheen sich einbringen und diesen Menschen Angebote machen.

Das Interview führte Til Huber

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