CSU-Landesgruppenchef Dobrindt will bei Frisören lockern - erst später Kitas und Schulen öffnen

Die EU hat bei der Corona-Impfstoffbeschaffung Fehler gemacht, meint Dobrindt. Wenn sich das nicht bessert, sollte man über nationale Wege nachdenken.
München - Im Vordergrund bestimmt Markus Söder* den Kurs der CSU. Hinter den Kulissen handelt oft Landesgruppenchef Alexander Dobrindt die Details aus. Ein Gespräch über die nächsten Weichenstellungen in der Corona*-Politik.
Herr Dobrindt, Angela Merkel warnt vor „falschen Hoffnungen“, Jens Spahn sagt: „Wir können nicht den ganzen Winter im harten Lockdown bleiben.“ Wer hat recht?
Dobrindt: Da gibt es keinen Widerspruch. Es herrscht ein hoher Druck auf Lockerungen, aber wir dürfen nicht zu früh lockern und uns falschen Sicherheitsgefühlen hingeben. Gleichzeitig müssen wir aber auch klare Perspektiven geben, unter welchen Bedingungen mit Lockerungsmaßnahmen zu rechnen ist. Das kann nur mit Augenmaß und schrittweise gehen. Der Gesamtblick auf die aktuelle Situation spricht allerdings dafür, dass in der nächsten Woche schnelle Lockerungen nicht zu erwarten sind.
Wäre ein Stufenplan Teufelszeug?
Dobrindt: Ein komplexer Stufenplan wird dem sich verändernden Pandemie-Geschehen nicht gerecht werden können. Aber es braucht deutlich unterhalb von einer Inzidenz von 50 einen Orientierungspunkt, der begründbar mit Lockerungen im Zusammenhang steht.
Welchen Weg das Coronavirus gehen wird, kann man nicht vorhersagen
Vor der britischen Mutation wird nun schon seit vielen Wochen gewarnt – die Zahlen gehen aber immer weiter runter.
Dobrindt: Wir müssen froh sein, dass sich die Mutation* nicht schnell durchsetzt. Wir stehen gerade an einer Weggabelung: Noch kann man nicht vorhersagen, welchen Weg das Virus geht. In unseren Nachbarländern haben wir gesehen, dass neben den sinkenden Zahlen bei den Primärinfektionen eine versteckte, dynamisch steigende Zahl von Mutations-Infektionen* stattgefunden hat. Das hat zu den explosionsartigen Zahlen in Portugal, Irland und Spanien geführt.
Wenn Sie die Wahl hätten, was Sie aufsperren: erst Schulen und Kitas oder erst die Friseure?
Dobrindt: Noch mal, schnelle Lockerungen sehe ich noch nicht. Aber wenn man über die Reihenfolge von Lockerungsmechanismen diskutiert, muss nicht zwingend die Schule zu Beginn stehen. Ich weiß, dass die Forderungen danach besonders stark sind und es dafür auch gute Gründe gibt, aber ein mögliches Infektionsgeschehen in den Schulen stellt aus meiner Sicht kein unwesentliches Risiko dar. Ich könnte mir Lockerungen beispielsweise bei körpernahen Dienstleistungen oder anderen Bereichen zu Beginn eher vorstellen.
Markus Söder plädiert für einheitliche Regeln. Muss ganz Bayern warten, bis Tirschenreuth bei 50 ist?
Dobrindt: Einheitliche Regelungen sind unumgänglich – am besten in ganz Deutschland.
Wie sind einheitliche Regeln mit der bayerischen Ausgangssperre ab 21 Uhr zu vereinbaren, die es in weiten Teilen Deutschlands nicht gibt. Ist die bei einer Inzidenz unter 50 zu rechtfertigen?
Dobrindt: Ja, nach wie vor. Wir sind durch unsere Nachbarländer stärker vom Infektionsgeschehen betroffen. Und keiner kann sagen, wie sich das Infektionsgeschehen in Österreich durch die dortigen Lockerungen auf uns auswirkt.
Europa sollte sich in Sachen Corona-Impfung nicht als Tanker erweisen
Zum Impfen: Warum räumt Ursula von der Leyen Fehler ein, wenn doch laut Merkel „im Großen und Ganzen“ alles gut gelaufen ist?
Dobrindt: Ich will nicht die einzelnen Sätze bewerten. In Brüssel gab es Fehlleistungen und Fehleinschätzungen – weniger bei den benötigten Mengen des Impfstoffs*, aber beim zeitlichen Zulauf der Impfdosen. Zudem wurden wegen der Debatte um das völlig verfehlte Wort vom „Impfnationalismus“ die Prioritäten falsch gesetzt. Ich war immer für ein europäisches Vorgehen, aber parallel dazu war und ist eine nationale Initiative notwendig. Das gilt übrigens auch bei der Beurteilung und möglicherweise Beschaffung von russischen oder chinesischen Impfstoffen.
National?
Dobrindt: Am besten europäisch. Aber wenn man in Europa der Meinung ist, dass man nicht als Schnellboot agieren kann, sondern nur als langsamer Tanker, dann empfiehlt es sich, nicht auf den Tanker zu warten, sondern ergänzend auch nationale Maßnahmen zu ergreifen.
Viele Menschen sind verärgert, weil Frau Merkel darauf beharrt, es sei nichts schiefgelaufen.
Dobrindt: So habe ich sie nicht verstanden. Natürlich werden bei der Bewältigung einer Pandemie Fehler gemacht. Die Frage ist, mit welchen Maßnahmen Fehler auch korrigiert werden können. Wir müssen die Entscheidungen nachschärfen – zum Beispiel, indem man den Impfstoff von AstraZeneca nicht auf Erst- und Zweitimpfung* teilt, sondern gleich voll verimpft.
Markus Söder propagiert weiter die harte Linie. Mit Blick auf die Kanzlerkandidatur ist das riskant.
Dobrindt: Sie sollten die Sorge um die Gesundheit nicht mit strategischen Fragen zur Wahl vermischen.
Das Interview führte Georg Anastasiadis, Mike Schier und Christian Deutschländer. *Merkur.de ist Teil des Ippen-Digital-Netzwerks.