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Krim-Befreiung oder „mehr“? Experten geben BBC Prognosen zum Ukraine-Krieg 2023

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Von: Patrick Mayer

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Nahe der Front bei Bachmut: Ukrainische Soldaten entladen Waffen und Munition.
Nahe der Front bei Bachmut: Ukrainische Soldaten entladen Waffen und Munition. © IMAGO/Celestino Arce

Welche Entwicklung nimmt der Ukraine-Krieg 2023? Der ukrainische Widerstand, Russlands Armee, die Krim – Analysten haben unterschiedliche Erwartungen.

München/London/Kiew – Die ukrainischen Streitkräfte dokumentieren angebliche militärische Fortschritte immer wieder bei Social Media. So geschehen auch am zweiten Weihnachtsfeiertag (26. Dezember), als das Verteidigungsministerium auf seinem Twitter-Account das Video einer mutmaßlichen Erstürmung eines russischen Schützengrabens durch die 10te Gebirgsjägerbrigade postete. Acht russische „Eindringlinge“ hätten sich dabei ergeben, hieß es.

Ukraine-Krieg: Ukrainische Verteidiger und russische Armee – wie geht es 2023 weiter?

Laut des Institute for the Study of War (ISW) konzentrierten sich die Kämpfe im Ukraine-Krieg, Stand 27. Dezember, um die Städte Kreminna, zwischen den Regionen Luhansk und Donezk gelegen, auf Bachmut mitten im Donbass, und auf Swatowe an der Grenze zwischen der Oblast Luhansk und der Region Charkiw.

Doch: Wie geht es 2023 weiter? Welche Ziele will Moskau-Machthaber Wladimir Putin durchziehen – trotz aller Verluste der russischen Armee? Eine neuerliche Großoffensive auf Kiew im Frühjahr? Was wird aus der Krim? Die britische BBC stellte solche Fragen Experten und Analytikern. Es folgten unterschiedliche Einschätzungen.

Im Video: Lawrow stellt Ukraine Ultimatum und befürchtet Eliminierung Putins

Für Michael Clarke, associate director of the Strategic Studies Institute im englischen Exeter, ist der „Schlüsselfaktor“ die seiner Ansicht nach erwartete russische Frühjahrsoffensive. „Putin hatte zugegeben, dass etwa 50.000 der neu mobilisierten Truppen bereits an der Front sind. Die anderen 250.000 mobilisierten Soldaten trainieren für das nächste Jahr“, schreibt Clarke in seiner Analyse.

Waffenstillstand mit Russland? Analyst glaubt, dass Ukraine im Donbass Druck macht

Im Strategic Studies Institute werden an der renommierten Universität Exeter Akademiker verschiedener Disziplinen zusammengefasst, etwa Politikwissenschaftler und Forschende zu Internationalen Beziehungen. Ein kurzer, aber instabiler Waffenstillstand wäre „die einzige andere Möglichkeit. Putin hat aber deutlich gemacht, dass er nicht aufhören wird. Und die Ukraine hat deutlich gemacht, dass sie immer noch um ihr Überleben kämpft“, meint Clarke weiter.

Wladimir Putin verschanzt seine Streitkräfte für den Winter, um auf eine neue russische Offensive im Frühjahr zu warten.

Michael Clarke, associate director of the Strategic Studies Institute, Universität Exeter

Er vergleicht: „Napoleon, Hitler und Stalin mussten alle ihre Armeen angesichts des Winters in der Steppe in Bewegung halten, und jetzt – seine Invasion ist auf dem Rückzug – verschanzt Wladimir Putin seine Streitkräfte für den Winter, um auf eine neue russische Offensive im Frühjahr zu warten.“

Die Ukrainer seien aber „besser gerüstet und motiviert“ und würden den Druck im Donbass aufrechterhalten, glaubt der Analyst.

Gut gerüstet: Ein ukrainischer Soldat posiert Winter-Unterstand an der Front bei Saporischschja.
Gut gerüstet: Ein ukrainischer Soldat posiert Winter-Unterstand an der Front bei Saporischschja. © IMAGO/Celestino Arce

Im Kampf mit Russland: Ex-US-General glaubt an militärischen Sieg der Ukraine

Sogar an einen militärischen Sieg der Ukraine glaubt Ben Hodges, früherer Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa. „Es ist noch zu früh, um eine Siegesparade in Kiew zu planen. Aber das ganze Momentum liegt jetzt bei der Ukraine, und ich habe keinen Zweifel daran, dass sie diesen Krieg gewinnen wird, wahrscheinlich im Jahr 2023“, erklärte der einstige Army-General der BBC auf Anfrage.

Es bestünde seiner Ansicht nach kein Zweifel daran, „dass die ukrainischen Streitkräfte aufgrund der gesamten Winterausrüstung, die aus Großbritannien, Kanada und Deutschland kommt, besser in der Lage sein werden, damit (dem Winter, d. Red.) fertig zu werden als die russischen“, meint er. Hodges glaubt nicht an eine weitere Großoffensive der Russen, sondern dass umgekehrt die ukrainische Armee in einer „letzten Phase“ dazu übergehen könnte, schließlich auch die Krim zu befreien. Russland hatte die Halbinsel 2014 völkerrechtswidrig annektiert. Ausrüstung, Logistik, Entschlossenheit – er sehe „kein anderes Ergebnis als eine russische Niederlage“, schreibt Militärexperte Hodges.

Dauer des Ukraine-Kriegs: Analystin – Schlüssel wird in Russland liegen

Barbara Zanchetta vom Department of War Studies am King‘s College London analysiert indes: „Der Winter wird schwierig, da Russland mit Angriffen auf die ukrainische Infrastruktur versuchen wird, die Moral und Ausdauer einer bereits erschütterten Bevölkerung zu brechen. Aber die Widerstandsfähigkeit der Ukraine hat sich als bemerkenswert erwiesen. Sie werden standhaft bleiben. Der Krieg wird sich hinziehen.“

Zanchetta erwartet, dass der militärische Konflikt noch lange dauern und ihrer Einschätzung nach auch nicht vor Ende 2023 überstanden sein wird. Die Verhandlungsaussichten seien im Ukraine-Krieg düster, meint sie: „Für ein mögliches Friedensabkommen müssen sich die Kernforderungen zumindest einer Seite ändern. Es gibt keine Hinweise darauf, dass dies geschehen ist oder bald geschehen wird.“ So beharrt die Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj etwa darauf, dass die Krim wieder Teil der Ukraine wird. Der russische Außenminister Sergej Lawrow schlug vor, dass die Ukraine aktuell besetzte Gebiete abtritt. Was Kiew kategorisch ablehnt.

Für ein mögliches Friedensabkommen müssen sich die Kernforderungen zumindest einer Seite ändern.

Barbara Zanchetta vom Department of War Studies am King‘s College London

Zanchetta vermutet einen Abnutzungskampf, dass die „materiellen und menschlichen Kosten des Krieges das Engagement der russischen politischen Elite sprengen könnten“. So hätten Fehlkalkulationen mündend in Proteste der Gesellschaft schon früher den Ausschlag gegeben, „wie in Vietnam für die Vereinigten Staaten oder in Afghanistan für die Sowjetunion“. Dies könne aber nur passieren, wenn der Westen fest an seiner Unterstützung für die Ukraine festhalte. Zanchetta fasst zusammen: „Der Schlüssel wird dann in Russland liegen.“ (pm)

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