Mama Özdemir: Eine Impf-Bitte auf Türkisch

Lassen sich Menschen mit Migrationshintergrund zu selten impfen? Die Regierung befürchtet zu große Skepsis gegenüber den Impfstoffen. Migrantenverbände beklagen hingegen Sprachbarrieren in der Impfkampagne.
- Grünen-Politiker Cem Özdemir hat mit seiner Mutter einen Impfaufruf auf Türkisch gestartet
- Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sei es eine „große Herausforderung“, bei Migranten für die Impfung zu werben
- Man habe die Kommunikation mit Migranten vernachlässigt, heißt es von der Türkischen Gemeinde in Bayern
München – Die politische Bühne überlässt Cem Özdemir (Grüne) diesmal seiner Mutter. „Bitte lasst euch impfen”, sagt die 88-jährige Frau neben ihrem Sohn auf Türkisch, die beiden stehen vor dem Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. „Glaubt nicht den Impfgegnern – glaubt der Wissenschaft.”
Über 50 000 Mal wurde das Video bereits angesehen – es richtet sich speziell an die türkischstämmige Community auf Twitter. „Leider brodeln in der Gerüchteküche abstruse Verschwörungsmythen über den Impfstoff“, erklärt Özdemir gegenüber unserer Zeitung. „Dass er zum Beispiel unfruchtbar machen könnte oder generell lebensgefährlich sei.“ Solche Theorien gebe es auf Deutsch genauso wie auf Russisch oder Türkisch, meint der Politiker. „Deshalb ist es sinnvoll, Menschen gezielt in ihrer Sprache aufzuklären.“
Spahn: Migranten beim Impfen besonders skeptisch
Das ist gerade auch in der Bundesregierung Thema: Man hat offenbar die Sorge, dass viele Migranten bei Corona-Impfungen noch zu skeptisch sind. Laut „Bild“ sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in der Sitzung des CDU-Präsidiums, dass es eine „große Herausforderung“ sei, bei Migranten für die Impfung zu werben.
„Da kann ich nur sagen: Guten Morgen, Herr Spahn“, kritisiert Özdemir – das hätte man früher erkennen müssen. „Das Problem ist, dass türkischstämmige Menschen oft nicht durch die klassischen, deutschen Medien erreicht werden.“ Einfache Pressemitteilungen vom Gesundheitsministerium würden nicht ausreichen – man müsse die Leute gezielt in Vereinen, Betrieben und Moscheen abholen, findet Özdemir. Es sei auch wichtig, mit gutem Beispiel voranzugehen. „Man könnte insbesondere mit türkischen Promis eine Aufklärungskampagne starten.“
Belastbare Zahlen zur Impfbereitschaft von Migranten gibt es bislang nicht. „Mir berichten allerdings Beschäftigte in der Migrationsberatung, dass sie schon deutliche Vorbehalte gegen die Corona-Impfung wahrnehmen“, sagt die bayerische Integrationsbeauftragte Gudrun Brendel-Fischer (CSU). Ihr sei klar, dass „unzureichende Sprachkenntnisse ein Hindernis darstellen“. Deshalb habe sie kürzlich „einen leicht verständlichen Impfbrief“ in zehn Sprachen entwickelt, der informieren und aufklären soll – unter anderem mit der Türkischen Gemeinde Bayern (TGB).
Viele Türken wollen sich lieber in der Heimat impfen lassen
„Es ist das erste Mal, dass wir darum gebeten wurden, mitzuhelfen“, sagt TGB-Sprecher Vural Ünlü. „Aber es kommt viel zu spät – und es ist ehrlich gesagt auch zu wenig.“ Die Kommunikation mit Migranten sei während der Pandemie von der Politik „völlig vernachlässigt“ worden, sagt Ünlü.
„Es gibt viele irrationale Ängste, was den Impfstoff angeht“, erzählt er. „Aber dazu kommen auch simple, technische Barrieren: Wie melde ich mich an? In welcher Prio-Gruppe bin ich überhaupt?“ Mittlerweile würden sogar viele mit der Idee spielen, sich in den Sommerferien in der Türkei impfen zu lassen, sagt Ünlü. „Da sagen viele: In Deutschland läuft es ja sowieso nicht besonders flink – und wir Migranten stehen ohnehin am Ende der Nahrungskette.“
Auch der deutsch-rumänische Integrationsverein beklagt Sprachbarrieren
Sevghin Mayr ist Vorsitzende des deutsch-rumänischen Integrationsvereins Sgrim in München. Auch sie hat gemerkt, dass viele in der rumänischen Community gegenüber einer Impfung skeptisch sind. „Es ist nicht so leicht, Impf-Informationen auf Rumänisch zu bekommen“, sagt sie. Viele würden lieber auf sozialen Netzwerken Infos suchen – „wo man auch schnell auf Fake News stößt“.
Anders nimmt es der Medizintechniker Nedeljko Miletic wahr. „Ich arbeite auf einer Intensivstation und merke, dass die Corona-Patienten immer jünger werden – zum Teil liegen bei uns 30-Jährige, um die es nicht gut steht.“ Der Murnauer mit kroatischen Wurzeln versuche deshalb jeden Tag, Freunde und Bekannte von einer Impfung zu überzeugen. Trotzdem sei die Impfbereitschaft in seinem persönlichen Umfeld sehr niedrig. „Ich glaube aber nicht, dass es an der Sprachbarriere liegt“, sagt er. „Ob kroatisch oder deutsch – ich denke, die Menschen sind generell noch misstrauisch.“