Auslieferung für Nato-Beitritt? Erdogan will Journalisten – Gericht in Schweden schiebt Riegel vor

Recep Tayyip Erdogan hat von Schweden ultimativ die Auslieferung eines Journalisten gefordert. Daraus wird nichts: Ein Gericht hat den Schritt verboten.
Stockholm – Nach wie vor bangt Schweden um das grüne Licht der Türkei zum angepeilten Nato-Beitritt. Ganz oben auf der Wunschliste Recep Tayyip Erdogans stehen Auslieferungen vermeintlicher „Terroristen“. Doch zumindest in einem Fall hat nun die Justiz einen Riegel vorgeschoben: Der Journalist Bülent Kenes darf nicht in Ankaras Hände gelangen.
Aufgrund von Kenes‘ politischer Überzeugung bestehe in der Türkei das Risiko der Verfolgung, begründete Richter Petter Asp am Montag (19. Dezember) das Urteil in einer Erklärung. Zuvor hatte sich auch die schwedische Generalanwaltschaft gegen eine Auslieferung gewehrt. Erdogan persönlich hatte die Auslieferung gefordert – und sie bei einem Besuch bei Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson vor laufenden Kameras als Bedingung für den Nato-Beitritt Schwedens genannt.
Schwedens Nato-Beitritt: Gericht verbietet Auslieferung – Erdogans Forderung bleibt unerfüllt
Die türkischen Behörden werfen dem Ex-Chefredakteur der englischsprachigen Zeitung Today‘s Zaman vor, ein Mitglied der Gülen-Bewegung und an dem gescheiterten Putschversuch im Jahr 2016 beteiligt gewesen zu sein. Nach Informationen der schwedischen Nachrichtenagentur TT wurde Kenes vor sieben Jahren auch zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er Erdogan auf Twitter verunglimpft haben soll.
Das oberste schwedische Gericht bestätigte in seiner Entscheidung hingegen den Status des Journalisten als Flüchtling. Die von türkischer Seite erhobenen Anschuldigungen ebenso wie die Mitgliedschaft in der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen ließen sie nicht als hinreichenden Grund für eine Auslieferung gelten.
Erdogan setzt Schweden unter Druck: Regierung will nach Urteil „beraten“
In einer ersten Reaktion äußerte sich Kenes erleichtert. Er warf der Erdogan-Regierung vor, die Anschuldigungen gegen ihn erfunden zu haben. „Ich bin Journalist und kein Terrorist“, sagte er. Es sei offensichtlich, dass Ankara ihm das Leben so schwer wie möglich machen wolle. Türkische Medien hätten sogar Fotos von ihm und seiner Frau sowie seine Wohnadresse veröffentlicht, klagte Kenes.
Auch der schwedische „Publizistenklub“, das Gremium von Journalisten, Rundfunk Radio, begrüßte die Entscheidung. „In Schweden entscheiden Gerichte über Auslieferungen und nicht Politiker. Darüber sollten wir uns freuen“, sagte der Vorsitzende Robert Aschberg.
Offen sind allerdings die politischen Konsequenzen der Entscheidung. Schwedens Justizminister Gunnar Strömmer wollte auf Anfrage des Senders SVT nicht über mögliche Schwierigkeiten beim Nato-Beitritt spekulieren. „Schweden ist ein Rechtsstaat und wir haben Regelungen, um mit derartigen Angelegenheiten umzugehen“, sagte er. Die Regierung werde nun beraten.
Schwedens Regierung vor Nato-Problem: Heikler Punkt bleibt offen
Naheliegend scheint aber, dass sich Kristersson Kabinett nun vor Problemen sieht. Erdogan werde die Entwicklung früher oder später als Beweis für die Nichterfüllung der Bedingungen ins Feld führen, mutmaßte der Aftonbladet-Kolumnist Oisín Cantwell in einem Kommentar. Der Richterspruch sei aber bindend: Da könne Außenminister Tobias Billström „grummeln und fluchen so viel er will“ und Kristersson werde sich wohl nach „der nächsten Dose mit blutdrucksenkenden Medikamenten“ strecken.
Die Türkei ist zusammen mit Viktor Orbáns Ungarn das einzige Land, das den Nato-Beitritt von Schweden und Finnland noch verhindert. Erdogan steckt aktuell im Wahlkampf. Die beiden nordischen Länder hatten den Beitritt zur westlichen Militärallianz angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beantragt.
Schwedens Ministerpräsident Ulf Kristersson hatte bei einem Besuch in Ankara Anfang November zugesagt, grundsätzlich auf die türkischen Auslieferungsforderungen einzugehen, die dutzende Menschen betreffen. Die Auslieferung von Oppositionellen und kurdischen Aktivisten, die in Schweden Zuflucht gefunden haben, ist einer der heikelsten Punkte bei den Nato-Beitrittsbemühungen. Zuletzt hatte Stockholm allerdings auch seinerseits Auslieferungen eingefordert. (AFP/fn)